Zukunft als Zielscheibe

Screenshots (Montage) aus der “heute-show” des ZDF vom 7. Mai 2021

„Ziele haben ist ja schön. Sagen, wie es geht, ist noch viel besser.“ Olaf Scholz’ Kommentar zum „coolen Spruch des Bundesverfassungsgerichts“ ist der Hilferuf uncooler Politik. Wie bitte geht Corona, Klima und Kanzlerschaft (nicht)? Eine Gehhilfe.

Bild: wikimedia commons

Früh im Leben werden die kleinen Erdenbürger in Schule und Elternhaus geimpft, um Antikörper “zu entwicklen” gegen die Zwecklosigkeit des Lebens. Ziele sind der Impfstoff. “Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?“ „Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest“, antwortet die Grinsekatze in “Alice im Wunderland”.

Wer Ziele hat, hat zumindest etwas zu verlieren. Aber Zielsetzung ist kein Garant für Klugheit. Für die Probleme einer ausgeprägten Zweckbesessenheit der Politik ist die Corona-Krise ein Beispiel. Ist zurück zur vorherigen Normalität ein kluges oder nur ein bequemes Ziel? Ziele und Zwecke sind vor allem zu unterscheiden von Strategien und Instrumenten. Trotzdem tut man so, als seien die Ziele bereits eine Strategie nach dem Motto „die Ziele, die wir verfehlen, werden wenigstens immer großartiger” (Oliver Welke).

Das übliche Vorgehen der Strategischen Planung betrachtet die Zukunft als hochgerechnete Gegenwart. Die Notwendigkeit der Operationalisierbarkeit und Messbarkeit steht außer Frage. Aus den so formulierten Endzielen werden kaskadenartige Mittel-Zweck-Beziehungen abgeleitet, um das Zweckprogramm möglichst erfolgreich umzusetzen.  Die Abbildung illustriert diese Denkweise. Mittel-Zweck-Relationen dominieren Wirtschaft und Politik. Wenn von einem klaren Kurs ohne Zielabweichung die Rede ist, steckt dahinter diese Vorstellung.

Aber bereits die Zielformulierung hat ihre Tücken. Ziemlich irrsinnig sind Gesundheits- und Sicherheitsziele; denn wahrnehmbar und damit operationalisierbar sind nur ihre Abweichungen. Auf eine (in Zahlen: 1) Gesundheit kommen unzählige Krankheiten und auf eine Sicherheit unzählige wahrscheinliche Unsicherheiten. Man sollte sich mal Gedanken machen über die Zwecke hinter den Ministeriumsbezeichnungen. Verbraucherschutz und Naturschutz sind schon da. Aber was ist dann mit dem „Schutz“ von Recht, Finanzen, Wirtschaft, Familie und vielleicht auch mal dem Schutz von Kindern?

Es gibt aber durchaus auch Kritik an diesem Konstrukt der Zielverfolgung. So müssen Konkurrenzen zwischen Zielen ebenso ausgeblendet werden wie die Unsicherheit des menschlichen Faktors. Der Mensch ist ja zum Glück keine verlässliche Maschine. Darüber hinaus gibt es grundsätzliche Zweifel, ob unsere Spezies überhaupt fähig ist zu einer Vorhersage oder Festlegung der Zukunft, weiß Ökonomienobelpreisträger Herbert A. Simon. Inzwischen geben selbst die Regierenden an, ausdrücklich auf Sicht und nicht mehr auf Entfernung zu fahren.

Alle, die schon mal mit Zukunftsplanungen und Zielableitungen zu tun hatten, wissen um die magische Bedeutung von Zahlen, die man sich in Ermanglung von Informationen Pi mal Daumen aus den Fingern saugt. Dasselbe Schicksal tragen Inzidenz und Klimaziele etc.. Sie sind, wie nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand berichtet wird, eher als Politikum und Verhandlungsmasse zu verstehen und entbehren häufig jeder Kausalität.

Mittel-Zweck-Zusammenhänge beruhen auf Wissen und Erfahrung. Empirie und Evidenz sind Voraussetzung dafür. „Manche halten das für Erfahrung, was sie zwanzig Jahre lang falsch gemacht haben“, erfahren wir dazu von George Bernhard Shaw. Für die Beschreibung der Zukunft fehlen sogar Erfahrungen. Das trifft vor allem diejenigen, die sich nicht ohne Evidenz und Transparenz entscheiden können, zum Experimentieren also nicht bereit sind.

Ziele sind notwendig, aber nicht hinreichend und auch nicht entscheidend – schon gar nicht in Krisenzeiten. Besonders verrückt ist der Trugschluss vieler Menschen, erreichte Ziele hätten immer etwas mit den eingesetzten Mitteln zu tun. Der Pharmakologe und Nobelpreisträger für Medizin Albert Szent-Györgyi von Nagyrápolt erzählt dazu eine schöne Geschichte. Soldaten verirren sich auf einem Manöver in den Schweizer Alpen. Ohne Orientierung in auswegloser Lage entdeckt dann eine Person noch einen Teil einer Landkarte im Rucksack. Die Gruppe orientiert sich an der Karte und findet zurück. Im Nachhinein stellt sich dann aber heraus, dass die Karte zu den Pyrenäen und nicht zu den Alpen gehörte. Wer mehr wissen will, schreibe einen Kommentar. Fortsetzung folgt (dann).

Print Friendly, PDF & Email
Jürgen Schulz
Prof. Dr. Jürgen Schulz lehrt und forscht im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin (UdK). Er arbeitet auch in der Redaktion von „Ästhetik & Kommunikation“.

2 Kommentare

  1. (Noch ein Schulz, wie unterhaltsam …)
    Also nochmals unbedachte Assoziationen …

    Ursprünge
    Das Ziel im vormodernen Sinn war immer sichtbar. Das englische target war eine kleine Zielscheibe, die man aufhängte, um Schießübungen zu machen. Im Gothischen (sagt mir der Grimm) war tilarids (zum Ziel strebend) der Name eines Speers (da hatten Waffen ja immer Namen).
    Klare Ziele
    Das gute an Kultur & Komfort-Gesellschaft: Es gibt einige klare Ziele. Eine Ziellinie beim 100-Meter-Sprint. Das Abitur, der Bachelor. Leider ist nicht klar, wie schnell man laufen soll /will. Oder welches Fach zu wählen ist. Also doch sofort Kontingenzen. Und Entscheidungszwänge. Genau genommen: Kaskaden von Entscheidungen: Das Studienfach > der Job-Bereich > die potenziellen Unternehmen > die Aussichten der Wirtschaft > die globale Lage. Gesund ist also, nicht zu weit und nicht zu kurz zu schauen.
    Komplexität + Kontingenz
    Je mehr geht, desto mehr muss entschieden sein. Desto weniger weiß man, weil man ja sonst nicht entscheiden müsste. Altes Systemtheorie-Paradox. Passend:
    „Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren. Einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er einzusehen, und er gewöhnt sich, die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand sind. Sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder, was er will, noch was er soll.“ Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre VI
    Aber auch darauf wusste G. schon Antwort:
    „Man geht nie weiter, als wenn man nicht mehr weiß, wohin man geht.“
    Corona-Chaos
    Corona offenbart Chaos. Was erst einmal gut ist, denn komplexe Vorgänge sind immer chaotisch, weil sie nicht kausal determiniert, also nicht vorhersehbar sind. Wir wollen das nur nicht sehen, weil wir zu dumm sind, um es zu verstehen. Wer steckt sich wann wo bei welche Belüftung, Innentemperatur, Fenstergröße, Kipphebelkonstruktion des Fensters, Bewegungsmuster, Körperfülle und Bekleidungsstil der Zimmermitbenutzer an oder nicht an? Nobody knows. Die Modelle sind entweder einfach und sehr unsicher. Oder komplex und sehr unvorhersehbar.
    Genauso beim Impfverhalten. Minimale Beunruhigungen (ein paar Tote auf 1 Million Impfungen bei Astra Zeneca) führen zu maximalen Impfaversionen. (Schmetterlings-Tornado-Metapher). Die aber in bestimmten Impfmilieus nicht auftauchen. Aber wann tun sie es wo? Nobody knows.
    Dann die Infektionsverläufe in Relation zu „Maßnahmen“ (Atmen, nicht Atmen, Stoffmaske, OP-Maske, FFP2-Maske, Gasmaske, Taucherflasche) in Relation zu politischer Einstellung, Alltagsmentalität, Klima in den Ländern dieser Welt. Dass sich da überhaupt noch einer mit Modellen abgibt. Aber was sonst? Immerhin gibt es künstliche Intelligenzen zur Mustererkennung, die Korrelationen sehen, die Menschen nicht sehen, weil sie evolutionär nicht dafür gemacht sind.
    Das Ideal
    Vollständige KI-Modelle. Die Welt, 1:1 im Rechner. Nichts muss geplant werden, also kann alles vorab geprüft werden. Maßnahmen und Ziele werden modellierend kurzgeschlossen. Leider klappt das aus informationstheoretisch-physikalischen Gründen nicht. Aber wäre schon toll. Immerhin ein Ziel, auch wenn wir es nicht erreichen können.
    (Und jetzt bekommen wir eine Fortsetzung …?)

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

bruchstücke