„Arbeiterklasse“ – der rote Mythos  

Mit der „Arbeiterklasse“ hat „die Linke“ einen Mythos geschaffen, der sie bis heute daran hindert, sich von unserer Gesellschaft ein realistisches Bild zu machen. Außerhalb linker Kommunikation hat „die Arbeiterklasse“ als Akteur nie existiert, als nationaler nicht und als internationaler schon gar nicht. Der groß angekündigte Hauptdarsteller hat die Bühne nie betreten. Sich Trost zu spenden und Illusionen zu machen, dass die große, wenn schon nicht revolutionäre, so doch solidarische Aktion noch kommen wird, ist die linke Lieblingsbeschäftigung; plus die Suche nach Schuldigen dafür, dass die ausbleibt.
Die moderne Gesellschaft funktioniert sozial zutiefst ungerecht und ökologisch katastrophal verantwortungslos, aber eine Klassengesellschaft ist sie nicht. Keinem Arbeiter ist es verboten, kein Arbeiter zu sein. Der Integrationsmodus der Moderne ist nicht die Klasse, sondern die Karriere, der Personen ebenso wie der Organisationen, die gelingende ebenso wie die scheiternde. Karrieren sind ungerecht, weil sie unter ungleichen Voraussetzungen starten und eine sich selbst verstärkende Mechanik haben: Auf dem Weg noch oben verbessern sich die Aussichten, höher zu steigen, auf dem Weg nach unten wächst die Gefahr, tiefer zu sinken. Karrieren fördern Verantwortungslosigkeit, weil jede Person und jede Organisation zuerst die eigene durchzusetzen versucht ohne Rücksicht auf die Folgen für alle(s) andere(n). Die Ideologie sagt, alle hätten ihre Karriere selbst in der Hand, in der Realität entscheiden zu neunzig Prozent andere darüber.

Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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