Zielkonflikte ökologischer Transformation: Wasserknappheit im Süden Spaniens

Tajo bei Aranjuez, rund 50 km südlich von Madrid (Benjamín Núñez González auf wikimedia commons)

Wenn alternative Formen der Energieerzeugung anstelle der Nutzung von Kohle und Atomkraft real werden, wie dies im Falle des Baus von Windparks und neuer Stromtrassen der Fall ist; wenn Inlandsflüge verboten werden sollen oder der Wasserverbrauch verringert werden soll, um die Umwelt zu schützen, entstehen Zielkonflikte. Dafür gibt es Gründe: zum einen strapaziert ökologisches Handeln in sozial integrativer Hinsicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt und läuft Gefahr seine Legitimation zu verlieren, zum anderen kollidieren ökologische Strategien mit systemintegrativen Erfordernissen vor allem der Wirtschaft. Im ersten Falle gehen Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und bestrafen die Regierung an der Wahlurne. Im zweiten Fall drohen Unternehmen damit, ihren Standort zu verlegen. Für die Regierenden aller europäischen Staaten ist es schwer, darauf adäquat zu antworten. Ich will dies an Beispielen aus der neueren Vergangenheit erläutern.

In Deutschland entstand der sogenannte Heizungsstreit1, weil die Bundesregierung anfangs beabsichtigte, dass jede neu eingebaute Heizung von 2024 an zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollte. Dann lief einiges schief. Nicht alle Koalitionspartner behandelten den Gesetzesentwurf vertrauenswürdig, der Startzeitpunkt der Gesetzesmaßnahmen war schlecht berechnet, so auch der Geltungsbereich – sollte von dem Gesetz sowohl Alt- wie Neubauten betroffen sein? – und die Wahl der Technologie der Heizungsanlagen war verengt. Also waren die praktischen Folgen des Gesetzes für Städte und Kommunen, Hauseigentümer, Mieter nicht klar und die Opponenten in Politik und Gesellschaft hatten leichtes Spiel, das Vorhaben als „lebensfremd“ zu kritisieren.

In den Niederlanden wollte die Regierung die Stickstoffemissionen bis 2030 um 50 Prozent senken, um die Qualität von Luft, Boden und Gewässern zu verbessern. Die geplante Reduzierung des Stickstoff-Ausstoßes hätte für viele Bauern im Land das Aus bedeuten können. Dagegen demonstrierten Tausende Bauern in Den Haag2, darunter auch Berufsverbände, die Bauernorganisation Farmers Defence Force und Klimaschützer von Extinction Rebellion. Letztere kündigten an, einen Autobahnzubringer zu blockieren. Rechtspopulistische Parteien wollen die Großdemonstration ebenfalls nutzen, um zum Widerstand gegen die Regierung aufzurufen. Für die Bauern aber stand ihre Existenz auf dem Spiel. Sie fühlten sich von der Politik im Stich gelassen und zweifelten die Notwendigkeit der gesetzlichen Maßnahmen an.

Immense Entscheidungsunsicherheiten

In Spanien war zwischen dem trockenen Süden und der Mitte des Landes 2023 ein Streit um das knappe Wasser entbrannt.3 Die Nationale Regierung in Madrid hatte für den Tajo, mit rund tausend Kilometern der längste Fluss auf der iberischen Halbinsel, ein Minimum an Wasser festgelegt, damit der Fluss ökologisch überleben kann. Dies brachte die Plantagenbetreiber in der Provinz Murcia auf die Palme, weil sie befürchteten, dass sie ohne das Wasser aus dem Norden auf ihren Plantagen nicht mehr bis zu viermal im Jahr ernten konnten. Also hatten die Landwirte mit ihren Traktoren vor dem Umweltministerium in Madrid demonstriert und parteiübergreifende Sympathien auf ihrer Seite. Nicht nur in Murcia und Andalusien, sondern auch in der Region Valencia unter der Führung eines sozialistischen Regierungschefs wollte man sich nicht damit abfinden.

Jede Regierung, die mit der ökologischen Transformation Ernst macht, steht vor immensen Entscheidungsunsicherheiten. Die Schwierigkeiten liegen nicht bei der Beschreibung der Umweltschäden und Klimaveränderungen, denn die wissenschaftliche Evidenz für die „ökologische Desintegration“ ist überwältigend.4 Sie beginnen dort, wo es darum geht, die Strukturen in der Gesellschaft zu identifizieren, die die ökologische Krise verursachen. Es ist schwer zu sagen, welches Ausmaß an Nichtnachhaltigkeit noch gesellschaftlich aushaltbar ist und wann welche Kipppunkte irreversibel überschritten werden.

Ökologisch verantwortlich handelnde Regierungen müssen damit leben, dass es keine verlässlichen Voraussagen darüber gibt, welche Auswirkungen eine systemische Entscheidung hat. Die Wirkungszusammenhänge einer Vielzahl gleichzeitig implementierter Maßnahmen sind schwer zu durchschauen und multiple Betroffenheiten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Wenn beispielsweise der Gütertransport von der Straße auf die Schiene verlagert wird, müssen auch die Folgen für die Anrainer der Bahnstrecken und die Beschäftigten der Transport- und Automobilindustrie bedacht werden.

Extreme Positionen sind nicht hilfreich

Für den verantwortlichen Umgang mit der Transformationsfrage sind extreme Positionen nicht hilfreich. Selbstverständlich liegt keine adäquate Antwort bei den Bremsern, die die ökologische Frage vernachlässigen; von der Leugnung ökologischer Probleme ganz zu schweigen.5 Aber sie wird auch nicht von Organisationen wie Extinction Rebellion oder Last Generation gegeben, die sie verabsolutieren. Würde eine Regierung ihre Forderungen nach radikalen ökologischen Integrationsmaßnahmen erfüllen, dann wären die Erfordernisse gesellschaftlicher Sozial- und Systemintegration von der politischen Agenda gestrichen. Die Folge wären tiefgreifende Interessenkonflikte bis hin zu Auflösungsprozessen der Gesellschaft.

Stattdessen sind konsistente und kohärente Lösungen für einen Ausgleich der Interessen gefragt. Nehmen wir das Beispiel der Beendigung der Kohleförderung. Konsistente Lösungen müssen für diesen Weg umwelt-, wirtschafts- und beschäftigungspolitische Alternativen entwickeln. Kohärente Lösungen betreffen die Frage, wie diese Lösungen in die Handlungskontexte und die Lebenswelt der strategisch relevanten Akteure, sprich der Regierungen, Unternehmen, Gewerkschaften, Umweltverbände und Bürgerinitiativen eingebettet werden können. Beim Kohleausstieg in Mecklenburg-Vorpommern und im rheinischen Revier war und ist eine Debattenkultur dieser Akteure unverzichtbar, um diese Zukunftsfrage sachorientiert zu behandeln und zu von allen getragenen Konzepten zu gelangen. Deshalb sind stabile und nachhaltige Transformationskonzepte nicht einfach „am grünen Tisch“ zu planen, sondern müssen im Dialog mit den strategisch relevanten Akteuren entwickelt und verabredet werden.

Wasserknappheit und das Dürreproblem im Süden Spaniens

Foto: AnishRoy auf Pixabay

Ich will dies am Beispiel der Bemühungen in Spanien, der Wasserknappheit und des Dürreproblems im Süden Herr zu werden, beschreiben. Auf der größten Mangoplantage Spaniens in Málaga ist das Wasser knapp. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass subtropische Kulturen wie der Anbau von Mangos und Avocados mit intensivem Wasserverbrauch den Regenfeldbau mit geringerem Verbrauch ersetzt haben. Außerdem sind Umweltschäden zu beklagen, die die GENA-Ecologistas en Acción detailliert beschrieben haben. Durch die Anbauweise hat sich nicht nur eine Mango-Blase, sondern eine subtropische Blase (La burbuja de los subtropicales) gebildet. Die anfänglich kontrollierte Entwicklung mit genau definierten Grenzwerten wurde von einer unkontrollierten abgelöst und wird mittlerweile „politisch“ geduldet. Die Umweltaktivisten sprechen von einem „kontrollierten unkontrollierten“ und politischen Doping und von einem Wasserkollaps. Sie versprechen sich offenbar mit solchen dramatisierenden Metaphern, die Umweltschäden rascher beheben zu können.

Wenn es aber um konkrete Lösungen geht, sind die Ecologistas nüchtern und sachlich. Sie fordern

  • die Umwandlung von unbewässerten in bewässerte Flächen zu stoppen,
  • das Verbot und die Kontrolle des Weiterverkaufs und des Pumpens von Wasser,
  • effiziente Bewässerungssysteme obligatorisch zu machen,
  • bei nicht-konventionellem und konventionellem Wasser vom Prinzip Nutzung auf das Prinzip Versicherung umzuschalten,
  • die Löschung und Versiegelung illegaler Bohrungen.

Und sie fordern, um den Mangoanbau zu kontrollieren

 die Ausarbeitung von Regeln für gute Praxis,
 die Verpflichtung, einen Umweltbericht zu erstellen,
 die strenge Kontrolle aller verbrauchsorientierten Wassernutzungen,
 die Kontrolle und Überwachung der Arbeiten auf den Feldern,
 die Wiederholung regelmäßiger Inspektionen ohne Ankündigung.

 Die zuletzt genannte Maßnahme, die ein Misstrauen gegenüber den Landwirten zum Ausdruck bringt, dürfte kaum Zustimmung finden wird. Die Agricultores reklamieren, das sie schon „viel Wasser eingespart“ haben und schlagen einen Mix vor aus der Reduzierung der Entnahme von Wasser und dem Ausgleich durch entsalztes und aufbereitetes Wasser. Damit sind Konflikte programmiert.  

Der World Wide Fund For Nature (WWF) Spaniens hat die zunehmenden extremen Dürreperioden mit der Gefahr der Wüstenbildung in Zusammenhang gebracht. Dies ist der Topos, der das „selbstzerstörerische Bewirtschaftungsmodell“ stoppen und rückgängig machen soll. Nähme man die Expertise und Forderungen des WWF, von Greenpeace und der Ecologistas zusammen, so ließe sich ein gehaltvolles politisches Tableau bilden, um mit der Regionalregierung Andalusiens in Beratungen über das weitere Vorgehen einzutreten. Und mit der nationalen Regierung in Madrid. 

Foto: David J. Stang auf wikimedia commons

Nun machte aber der Streit um das Wasser zwischen dem Süden und der Mitte Spaniens im Vorfeld der nationalen Wahlen 2023 die Schwierigkeiten einer kohärenten Bekämpfung der Dürre und des Wassermangels deutlich. Der Tajo, der schließlich bei Lissabon als Tejo in den Atlantik mündet, hat infolge des Klimawandels in den vergangenen Jahren etwa die Hälfte seiner natürlichen Zuflüsse verloren. Zugleich ist der Südosten Spaniens von seinem Wasser abhängig. Die Plantagenbetreiber fühlen sich bis auf den heutigen Tag in ihrer Existenz bedroht und werfen der Zentralregierung vor, sie behandele die Menschen im Süden wie „schwarze Schafe“. Die Landwirtschaftsministerin Andalusiens sprach ironisch von einer „ideologischen Dürre“ linker Minister. Dabei hatte das Umweltministerium nur mit mehrjähriger Verzögerung mehreren Gerichtsurteilen und der Wasser-Rahmenrichtlinie der Europäischen Union Folge geleistet. Im Norden hingegen hatte der sozialistische Regionalpräsident von Kastilien-La Mancha den Wassertransfer mit einer „Vergewaltigung“ verglichen. In seiner Region, im Quellgebiet und am Oberlauf des Tajo, wo der Kanal in den Süden abzweigt, müsste man angesichts dieser „Ausbeutung“ durch den Süden schon weniger Felder bewässern, damit das Trinkwasser reiche. Mein Eindruck ist: solange die gegnerischen Parteien sich mit solchen Metaphern bekämpfen, werden sie zu keiner Lösung kommen.

Kultur des Wassersparens

 Dabei hat der WWF ein Leitbild der Wasserökologie und das zentrale Ziel bündig formuliert: Spanien braucht eine Kultur des Wassersparens und muss seinen Bedarf an die verfügbaren Ressourcen anpassen. Eine Biologin von der Stiftung „Fundación Nueva Cultura del Agua“ argumentiert in dieselbe Richtung. Sie fordert ein anderes landwirtschaftliches Modell. Konkret: Die bewässerte Fläche und der Eintrag von Nährstoffen in die Lagune in Murcia müssen dringend abnehmen. Sie bewertete den Streit um das Wasser als eine völlig unkritische Unterstützung des Bewässerungssektors, obwohl alle die Pflicht haben, dafür zu sorgen, dass die Flüsse überleben können.

 Die Zentralregierung Spaniens hat mit der Estrategia nacional de lucha contra la desertificación ein Bündel kurz- und mittelfristiger Maßnahmen beschlossen, das auch die Zustimmung des spanischen WWF gefunden hat. Jetzt muss aber dieser Beschluss konsequent in die Tat umgesetzt werden. Die schwierigste Frage lautet, ob eine Kultur des Wassersparens einen wichtigen Wirtschaftssektor Spaniens, das Exportmodell für Lebensmittel, in Frage stellt. Statt einer bündigen Antwort kann ich nur mit einem Hinweis dienen, der weiteres Nachdenken anregen könnte. Spanien kann auf die Erfahrungen mit den intelligenten Bewässerungssystemen der Huerta zurückgreifen.6 Die im Jahr 1435 (!) eingeführte Allmendeverfassung hatte sich über Jahrhunderte bewährt, wurde aber durch Zentralisierung und Modernisierung zerstört. Vielleicht bietet sich hier ein Ansatzpunkt, um die Abhängigkeit vom Wasser des Tajo zu reduzieren. Können die Grundprinzipien dieser Allmendeverfassung ein Hinweis für die Kultur des Wassersparens sein?

Überforderung und Populismus

Gute Governance in ökologischer Absicht muss die mögliche Überforderung der Sozial- und Systemintegration im Blick haben und die selbstverständliche Verankerung der Politik in der Lebenswelt garantieren. Im Falle des Wasserstreits in Spanien scheint der Staat lange Zeit Umweltbelastungen geduldet oder mit Ausnahmeregeln legalisiert zu haben, obwohl die Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, damit die landwirtschaftliche Produktion nicht eingeschränkt werden musste. Ähnlich liegt der Fall bei der Landwirtschaftspolitik in den Niederlanden. Diese Berücksichtigung sozial- und systemintegrativer Erfordernisse ist konfliktträchtig.

Wenn die Bevölkerung sich überfordert fühlt, ist der Vorwurf eines ökologischen Jakobinismus schnell zur Hand. Und wenn sogenannte „handwerkliche“ Governancefehler einer Regierung das beherrschende Thema der Öffentlichkeit sind, werden Zweifel an ihrer Kompetenz und ihrem Realitätsbezug wach. Eine Regierung steht dann schnell unter dem Verdacht, in ökologischen Fragen „dogmatisch“ und „lebensfremd“ zu sein. Dies spielt oppositionellen politischen Parteien und Verbänden in die Hände. Sie benötigen in diesem Fall nicht viel mehr als ein Gespür für die aktuellen Interessen betroffener Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger. Gut gemeinte, aber schlecht gemachte Politik macht die Ziele der Transformation für populistische Politik angreifbar.


1  Siehe meinen Beitrag „Dem Unbehagen an der Moderne mit Sorgfalt nachgehen“ vom 5. Juli 2023 auf diesem Blog.
2 „Bauern protestieren gegen Umweltauflagen“, www.tagesschau.de vom 11.03.2023 (E: 05-10-2023)
3  Hans-Christian Rößler, Nord und Süd kämpfen um das Wasser, FAZ 11-04-2023
4  Uwe Schimank, Die drei Integrationsprobleme moderner Gesellschaften, Merkur Juli 2023, Heft 890
5  Bruno Latour, Das terrestrische Manifest, Suhrkamp Verlag Berlin 2018
6  Vgl. Elinor Ostrom, Die Verfassung der Allmende, Mohr Siebeck 1999 (1990), S.89ff

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Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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