Wenn Meister der Zensur über Zensur schimpfen

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In den letzten beiden Beiträgen hatte ich die Wirkungen der Digitalisierung auf die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), die selbsternannten „Querdenker“ und auf die internen Strukturen solcher sich abschirmenden Gruppen beschrieben. Zu ihrem polemischen Wortschatz, mit dem sie „die Medien“ pauschal kritisieren, gehören „Zensur“, „Entmündigung“, „Staatsmedien“, „Mainstream“ usw. usf. Diese Form der Kritik von rechts ist vielleicht eine Reaktion auf die vierte Enttäuschung (Dirk Baecker), die die Digitalisierung den Bürger:innen zumutet. Nachdem die Menschheit lernen musste, dass weder die Erde der Mittelpunkt des Universums, noch der Mensch die Krone der Schöpfung ist und dass Triebe, nicht Vernunft ihr Verhalten steuern, muss sie nun eine weitere große Desillusion verkraften: Was sie gemeinhin unter „Intelligenz“ versteht, ist nicht so viel mehr als ein berechenbares Kalkül; im Alltag macht das Gehirn nicht viel anderes, als eine jede Situation darauf zu überprüfen, ob diese bekannt ist.

Auf jeden Fall zielt der antidemokratische Standpunkt der Kritik darauf, die seriöse Nachrichtenberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zu desavouieren. Es ist eine Vorstufe zur Antiaufklärung und zur Lüge. In der nächsten Stufe würde dann die reale Zensur folgen, die die öffentliche Darstellung der Verletzung von Menschen- und Grundrechten der Bürger:innen untersagt. Also das, was die Herrschenden in autoritären Staaten wie China, Russland oder Venezuela tun.

Vermutlich wird der erneut gewählte Präsident der USA die Versuche in diese Richtung fortsetzen. Auch in Polen hatte die Prawo i Sprawiedliwość (PiS) versucht, mit einem Mediengesetz Polens Medienfreiheit beschleunigt abzubauen: der öffentliche Rundfunk sollte in seinem Programm die regierenden Parteien bevorzugen, während private Fernseh- und Radiosender durch eine unberechenbare Lizenzvergabepolitik und Strafzahlungen eingeschüchtert werden könnten. Dies war von der organisierten Zivilgesellschaft vereitelt worden.

Professionelle Standards der alten Medien

Es gibt aber eine zweite Form der Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen, die davon zu unterscheiden ist. Sie will die politische Urteilskraft der Bürger:innen und damit ihre Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft stärken. Sie hält die klassische Presse, Radio oder Fernsehen für kritikfähig, aber auch kritikwürdig. Schließlich bieten sie eine große Vielzahl analytisch hochwertiger Beiträge, die das politische Geschehen verständlich machen. Genannt sei etwa eine Analyse der Öffentlichkeit in der Ukraine, gesendet auf Arte, die die Arbeitsweise der ukrainischen Medienpolitik des Präsidenten Woldymyr Selenskyj für alle Bürger:innen transparent macht.

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Dennoch haben die öffentlich-rechtlichen Medien noch viel „Luft nach oben“. Verbessern ließe sich beispielsweise das „journalistische Meinungsbeamtentum“ (Claus Koch). Wir werden insbesondere auf die Personalisierung des Politischen und die spezifische Art der Zuspitzung zurückkommen. Angesichts der desorientierenden Kritik von rechts am öffentlich-rechtlichen Mediensystem soll mit einigen Spiegelstrichen an ihre Leistungen erinnert werden:

  • Das Mediensystem hat eine ausschlaggebende Bedeutung für die Rolle der politischen Öffentlichkeit, konkurrierende öffentliche Meinungen hervorzubringen. Deshalb ist die Rede von einem homogenisierten „Mainstream“ unzutreffend.
  • Welche öffentliche Meinungen sind relevant? Nur solche, die bei regelungsbedürftigen Problemen von Meinungsproduzenten aus der Gesellschaft, also Verbände, Institutionen und Individuen, entdeckt werden. Sie müssen auch für den richtigen Input sorgen.
  • Gewiss, die öffentliche Kommunikation der Massenmedien ist gelenkt, aber nicht manipulativ. Sie bildet allein den Bereich ab, worin sich die kommunizierten Ereignisse zu relevanten und effektiven öffentlichen Meinungen verdichten können.
  • Professionalisierte Journalist:innen üben Autoren-, Redakteur-, Lektoren- und Managerfunktionen aus. Sie haben zugleich die des Gatekeepers inne.
  • Und schließlich: Presse, Rundfunk und Fernsehen sind dazu verpflichtet, Falschmeldungen zu korrigieren. Sie üben damit eine publizistische Sorgfaltspflicht aus.

Diese Vorzüge der „alten Medien“ sind zweifellos zu verteidigen.

Zensur oder Qualitätssicherung?

Der vielleicht wichtigste Vorwurf, den die undemokratische Rechte gegen die öffentlich-rechtlichen Medien vorbringt, ist der der „Zensur“. In Artikel 5 Absatz (1) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland heißt es: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Dies bedeutet praktisch, dass niemand den Staat vorher um Erlaubnis fragen muss, wenn er Bücher, Zeitungen, Radio- oder Fernsehsendungen macht oder etwas im Internet schreibt.

Allerdings müssen sich Organisationen oder Individuen an Gesetze halten. Auch die Medien dürfen zum Beispiel nicht Lügen verbreiten und so jemandem schaden. Es gibt bestimmte Grenzen einer demokratisch verfassten Öffentlichkeit. In Artikel 5 Absatz (2) des GG findet eine Grenzsetzung statt: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Die materiale Konzeption der „allgemeinen Gesetze“ wollte für die Grenzbestimmung solche Werte in Anschlag bringen, die ohne Rücksicht auf die Freiheit der Meinungsäußerung Schutz verdienen und deshalb den Vorrang beanspruchen. Die Werte werden beweglich, sie können schnell in Stellung gebracht werden, zum Beispiel gegen die Einfuhr verfassungsfeindlicher Schriften. Karl Heinz Ladeur hat es beschrieben.

Die professionellen Journalist:innen in den öffentlich-rechtlichen Medien arbeiten an der demokratischen Strukturierung der Willensbildung mit einem Gatekeeper-Modell. Es funktioniert kurz gefasst so: sie sichten unterschiedliche Informationsquellen, prüfen, was für die Kommunikationsflüsse in Frage kommt und entscheiden, was gesendet wird. Bei den Berichten z.B. über den Krieg im Nahen Osten betonen sie, dass sie die zur Verfügung stehenden Nachrichten und Bilder nicht unabhängig prüfen konnten. Bei „Plattformen“, die durch die Digitalisierung ermöglicht wurden, gibt es keine professionelle Auswahl und diskursive Prüfung der Inhalte. Medienwissenschaftler:innen sprechen daher vom „erodierenden Gatekeeper-Modell“ der Massenmedien.

Was die reaktionären Kritiker:innen als „Zensur“ dieser Medien bezeichnen, ist keine. Dieses Modell stellt keineswegs eine „Entmündigung“ der Mediennutzer:innen dar, sondern ist der Begriff für eine Gestalt der Kommunikation, die die Staatsbürger:innen instand setzen kann, die Kenntnisse und Informationen zu erwerben, die notwendig sind, damit sich jeder und jede über politisch regelungsbedürftige Probleme ein eigenes Urteil bilden kann.

Ein Beispiel: Wer Standards für Entmündigung hält, sollte sich fragen lassen: Stellen die Qualitätskriterien für die Herstellung von Produkten, die in den Produktinformationen für Konsument:innen enthalten sind, z.B. bei Lebensmitteln (Bier, „gebraut nach deutschem Reinheitsgebot“), eine Entmündigung der Produzent:innen und/oder Konsument:innen dar? Oder bieten sie Informationen, die schnelles Entscheiden im Alltag möglich machen, und tragen zu Lebensqualität bei?

Verspielte emanzipatorische Potenziale

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Die Digitalisierung muss demokratisch formatiert werden, damit daraus neue demokratische Chancen entstehen. Gewiss, für viele Lebens- und Funktionsbereiche eröffnet die mediale Innovation unzweideutige Fortschritte. Die Kommunikationsflüsse haben sich mit unerhörter Geschwindigkeit über den ganzen Erdball ausgebreitet, beschleunigt und vernetzt. Beliebig viele Teilnehmer:innen in beliebiger Entfernung können daran partizipieren. Das stellt ein großes demokratisches Potenzial dar.

Allerdings zeigt die Gegenwart: Für die demokratische Ö̈ffentlichkeit ist es kein eindeutiger Vorteil. Die Digitalisierung hat auch höchst ambivalente und möglicherweise disruptive Auswirkungen. Dazu gehört zunächst die politische Seite. Die digitalen Techniken ermöglichen Aktivitäten von antidemokratischen und gegen die Aufklärung gerichteten Kräften. Das ist eine wichtige Variante digitaler Entwicklung, die von einem demokratischen Standpunkt aus gesehen keineswegs wünschenswert ist. Mehr noch, sie verstellen wichtige demokratische Entwicklungsmöglichkeiten.

Ausblick

… wir werden uns im nächsten Beitrag mit einer neuen Kommunikationsgestalt der Digitalisierung beschäftigen: den Plattformen. Befördern oder beeinträchtigen sie demokratische Entwicklungsmöglichkeiten?
… danach werden Antworten unter die Lupe genommen, wie die „alten Medien“ auf die sozio-kulturellen Herausforderungen antworten.

In der Streifzüge-Serie bisher erschienen:
(1) Misstrauen, massenmedial potenziert;
(2) Protest und Mobilisierung mit dem Smartphone als Nahkörper-Technologie
(3) Social Media uniformiert und polarisiert

Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag! Das Halten bzw. Erreichen hoher Standards ist aus meiner Sicht unabdingbar für den Bedeutungserhalt „traditioneller“ Medien. Analoge Medien bringen Menschen zusammen, wenn sie attraktiv sind, digitale Medien vereinzeln sie.

    1. Ja, dies scheint, so wie die Dinge gegenwärtig laufen, wohl leider der Fall zu sein. Dies wirft die Frage auf, wie digitale Medien zu gestalten wären, damit die Neigung bei einigen, sich aus dem öffentlichen demokratischen Diskurs auszuklinken, nicht gefördert wird. Ein weites und unüberübersichtliches Feld. Wir werden sehen …

  2. Nur kurz der Einwurf: Wenn analoge Medien zusammenführen und digitale Medien vereinzeln, dann tun sie das trotz ihrer gegenteiligen Fähigkeiten. Denn analoge Medien können nur sehr begrenzt mit ihrem Publikum kommunizieren, und dieses Publikum kommuniziert wiederum in der Regel untereinander nicht, kann es gar nicht, aufgrund technischer Grenzen. Die digitalen Medien wiederum fördern doch gerade aufgrund ihrer Technik die vielseitige Kommunikation, sowohl zwischen Sender und Empfänger, als auch unter den Empfängern.

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