Plattformen: Wüste Kommunikation in Echokammern

Bild: geralt auf Pixabay

Nach der kurzen Auseinandersetzung mit der Kritik von rechts an der demokratisch verfassten öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft wollen wir uns den Plattformen widmen. Sie gehören zu den wichtigsten medialen Institutionen, die sich in Folge der Digitalisierung entwickelt haben. Plattformen sind politisch nicht neutral. Sie stellen nicht nur den Programmcharakter der öffentlich-rechtlichen Medien in Frage, sondern produzieren mediale Konsumgewohnheiten, die der Entwicklung urteilsfähiger Bürger:innen nicht förderlich sind.1

Plattformen ermöglichen grenzenlose Verknüpfungsmöglichkeiten von unbegrenzt vielen Marktakteuren und kommunzierenden Bürger:innen. Im breiten Spektrum der Plattformen betrachten wir nur diejenigen, auf denen politische Meinungen gebildet werden. Sie stellen im globalen Netz dezentralisierte Verbindungen zwischen Mediennutzer:innen her. Man könnte geneigt sein, Plattformen „demokratisch“ zu nennen, wenn man die Gleichung „dezentral = demokratisch“ akzeptiert. Jedoch, so gesehen, ließen sich dann auch der Straßenverkehr, der Massentourismus oder die massenhaft Lebensmittel herstellende Industrie als „demokratisch“ bezeichnen. Unterhalb gesetzlicher Regelungen steuern sie das Verhalten der Bürger:innen nicht. So verwendet wird das Adjektiv „demokratisch“ jedoch beliebig und deshalb unbrauchbar.

Jede Information wird unterschiedslos zugelassen

Nun ist Dezentralität zwar ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium von Demokratie. Demokratie benötigt weitere Kriterien, und dazu gehören die Entwicklungsbedingungen von Meinungen und Urteilen der Bürger:innen.

Öffentlich-rechtliche Medien sind für Programme verantwortlich, also für kommunikative Inhalte, die Journalist:innen professionell herstellen und redaktionell filtern. Im Gegensatz dazu produzieren, redigieren und selegieren Plattformen keine Informationen. Die dezentralisierten Verbindungen zwischen Mediennutzer:innen sind wegen der fehlenden professionellen Schleusen inhaltlich ungeregelt. Jede Information, gleichviel welchen Wahrheitsgehalt sie hat, ob sie Glaube, Weltanschauung, Meinung oder ein sachlich begründetes Urteil ist, wird unterschiedslos zugelassen. Und ebenso wenig unterliegt die Art und Weise, wie die Nutzer:innen miteinander kommunizieren, zivilisatorischen Standards. Das Spektrum in den Social Media reicht von Beleidigungen und Mobbing bis zu Mordandrohungen.

Also: Plattformen sind nicht wie die klassische Presse, Radio oder Fernsehen für Programme verantwortlich. Die neuen digitalen Unternehmen machen sich diese Technologie zunutze, um den potentiellen Nutzer:innen die unbegrenzten digitalen Vernetzungsmöglichkeiten wie „leere Schrifttafeln für eigene kommunikative Inhalte“ anzubieten.

Fragmentierung und Regression

Mit ihren grenzenlosen Verknüpfungsmöglichkeiten entledigen sie sich der professionellen Standards der alten Medien. Sie ermächtigen alle potentiellen Nutzer prinzipiell zu selbständigen und gleichberechtigten „Autor:innen“. Was es mit dieser Art von Autorschaft auf sich hat, sahen wir am Beispiel der Binnenkommunikation der „Querdenker“ und sich radikalisierender Gruppen von politisch Gleichgesinnten. Es sind Bürger:innen, die, frei nach Karl Kraus, „für sich selbst und ihre Existenz, wie überhaupt für die bloße Existenz der Dinge wenig Interesse haben, sondern die Dinge erst in ihren Beziehungen spüren.“ Deshalb muss auch die Autoren:innenrolle gelernt werden. Solange es beim politischen Austausch in den sozialen Medien daran fehlt, leidet darunter einstweilen die Qualität der gegen dissonante Meinungen und Kritik abgeschirmten Diskurse.

Der egalitäre und unregulierte Charakter der Beziehungen zwischen den Beteiligten und die gleichmäßige Autorisierung der Nutzer:innen zu eigenen spontanen Beiträgen bilden das Kommunikationsmuster, das die neuen Medien ursprünglich auszeichnen sollte. Dieses große emanzipatorische Versprechen wird heute von den wüsten Kommunikationen in fragmentierten, selbstbezüglichen Echoräumen übertönt.

Die Gefahren für die politische Meinungs- und Willensbildung daraus sind zu benennen: zum einen droht dem politischen Gemeinwesen seine Fragmentierung. Den Bürger:innen geht eine grundsätzliche Verständigung auf die gemeinsamen Probleme verloren. Zum anderen wird die Ö̈ffentlichkeit entgrenzt: die grenzenlosen Kommunikationsnetze, können sich zentrifugal ausbreiten und gleichzeitig zu Kommunikationskreisläufen verdichten, die sich dogmatisch voneinander abschotten. Fragmentierung und Entgrenzung verstärken sich zu einer Dynamik, die die Integrationskraft des Kommunikationszusammenhangs der nationalstaatlichen Öffentlichkeiten, die Presse, Radio und Fernsehen stiften, entgegenwirkt.

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Politische Unterwanderung durch Fake News

Seit der Einführung der neuen Medien ist ein Einbruch dieser Integrationskraft zu verzeichnen. Er spiegelt sich im dramatischen Rückgang der Reichweite gedruckter Zeitungen und Zeitschriften von 60 % im Jahre 2005 auf 22 % im Jahre 2020. Wahrscheinlich wird sich dieser Trend fortsetzen. In der Altersgruppe der 14–29-Jährigen lasen 2005 noch 40 % der Personen gedruckte Zeitungen oder Zeitschriften. In der gleichen Altersgruppe taten dies 2020 noch 6 %. Gleichzeitig hat sich die Leseintensität verringert. Der Zeitungskonsum dürfte durch das Internet nicht aufgefangen werden. Die Lektüre von Gedrucktem und von Digitalisiertem verlangt nicht das gleiche Maß an intensiver Aufmerksamkeit und analytischer Verarbeitung.

Andererseits: an den veröffentlichten Meinungen können nur Bürger:innen teilnehmen, die für Aufmerksamkeit und Interesse Zeit und Bildung investieren. Der Umfang und die Art der Mediennutzung sind schon seit langem unbefriedigend. Heute zeigen sich Zeichen politischer Regression.

Nach allem, was man gegenwärtig weiß, hat seit der Einführung des Internets die durchschnittliche Aufmerksamkeit für politische Nachrichten und die analytische Verarbeitung von politisch relevanten Fragen nachgelassen. Außerdem ist die zunehmende Unterwanderung der politischen Ö̈ffentlichkeit durch Fake News zu beobachten, die in den USA während der ersten Regierungszeit Trumps zu einer erschreckenden Normalität geworden ist.

1  Ich folge der Argumentation von Jürgen Habermas „Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit“, in: Leviathan, 49. Jg., Sonderband 37/2021, S.476-506

Ausblick

… in den nächsten Beiträgen befassen wir uns mit der Frage, wie die öffentlich-rechtlichen Sender auf die soeben dargestellten Tendenzen antworten: mit der „Personalisierung“ des Politischen und der Arbeit der „Zuspitzung“.


In der Streifzüge-Serie bisher erschienen:
(1) Misstrauen, massenmedial potenziert;
(2) Protest und Mobilisierung mit dem Smartphone als Nahkörper-Technologie
(3) Social Media uniformiert und polarisiert
(4) Wenn Meister der Zensur über Zensur schimpfen

Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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