Mark Zuckerberg und die sogenannte Zensur

Bild: MickeyLIT auf Pixabay

Mark Zuckerberg, CEO von Facebook und Instagram, hat 2024 angekündigt, in seinen Medien Faktenprüfer durch Community Notes, also Notizen der Kunden, Nutzerinnen und Nutzer, zu ersetzen. Dann werden Partnerorganisationen von ihrer Aufgabe enthoben, streitbare Beiträge auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und sie gegebenenfalls als falsch zu melden. Zuckerberg hält dieses Verfahren der Faktenprüfung nicht für zuverlässig, er hat sogar bei den prüfenden Instanzen eine „politische Schlagseite“ ausgemacht. Angeblich waren seine Kundinnen und Kunden misstrauisch geworden. Was hat es damit auf sich?

Zunächst ist festzustellen, dass Faktenprüferinnen und -prüfer ihre Arbeit seriös und gewissenhaft machen müssen, aber nicht per se Garanten für Objektivität und Sachlichkeit sind. Der Vorbehalt Zuckerbergs lässt sich mit einigen Stichworten markieren: „moralische Aufdringlichkeit“, „Anmaßung“, „ökonomische Weltfremdheit“ oder „Konkurrenz mit anderen Regelwerken unserer überregulierten Welt“.1 Es sind keineswegs haltlose Vorurteile, die sich in solchen Einschätzungen spiegeln. Sie sind zumindest mitverschuldet vom Auftritt und der Selbstprofilierung der Verfechterinnen und Verfechter einer Medien-Ethik, mögen sie nun aus den Berufsfeldern Politik, Theologie oder Konfliktmoderation kommen, oder aus dem Consultig mit seiner kontinuierlichen Neuerfindung von Managementstrategien und Unternehmensphilosophien; häufig selbsternannte Anwältinnen und Anwälte wahrer Bedürfnisse und Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher etc. Den Praktikerinnen und Praktikern in Entwicklung, Produktion oder Vertrieb, die auf ihr Know-how stolz sind, erscheinen jene Direktiven manchmal eigentümlich. Das Faktenprüfermodell bedarf also selbst ausgewiesener qualitativer Kriterien.

„Applaudierende Fanboys“

Allerdings ist nicht zu erkennen, dass Zuckerberg eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber führen will, wie eine seriöse Prüfung auszusehen hätte. Dafür gibt es drei Anhaltspunkte: bei Facebook und Instagram war die mangelnde Moderation bei Inhalten wie Drogen, Terrorismus und Kindesmissbrauch schon in die Kritik geraten. Der Vorwurf „zunehmender Zensur“ durch herkömmliche Medien nimmt das Ergebnis einer seriösen Prüfung vorweg, statt die Probleme unvoreingenommen und sachlich zu analysieren. Schließlich ist es offensichtlich, daß Zuckerberg die Nähe zur neuen Regierung in den USA sucht.

Donald Trump hatte dem Silicon Valley weniger Sicherheitschecks, mehr Staatsaufträge und billigen Strom für den großen Energiebedarf der Rechenzentren in Aussicht gestellt. Bei seiner Amtseinführung entstanden Bilder, die um die Welt gingen: sie zeigen die versammelten „Tech-Titanen“ Mark Zuckerberg (Meta), Jeff Bezos (Amazon), Sundar Pichai (Google) und Elon Musk (Tesla, X, xAI) in der ersten Reihe. Sie standen, wie die FAZ befand, als „applaudierende Fanboys“ des neuen US-Präsidenten geschlossen im Trump-Lager.

President Trump Meets with Mark Zuckerberg (Foto: September 2019, The White House auf wikimedia commons)

Grenzen einer demokratischen Öffentlichkeit

Mark Zuckerberg hat nun Zuflucht zu den Community Notes gesucht, was Elon Musk bei Twitter bzw. X eingeführt und als das Werkzeug zur Wahrheitsfindung propagiert hatte. Statt des Faktenprüfer-Models sollen Gemeinschaftsnotizen von anderen Nutzerinnen und Nutzern verfasst werden, gut sichtbare Fußnoten unter Beiträgen, die wichtigen Kontext für den eigentlichen Beitrag liefern oder diesen sogar widerlegen sollen.

Als Grund für seine Abkehr vom Faktenprüfer-Modell nannte Zuckerberg „die Zensur“. Nach unserem Verständnis ist dies unzutreffend. Laut Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland findet „eine Zensur nicht statt.“ Dies soll heißen, dass niemand den Staat um Erlaubnis fragen muss, wenn er Bücher, Zeitungen, Radio- oder Fernsehsendungen macht oder etwas im Internet schreibt. Aber die Medien und die Bürgerinnen und Bürger müssen sich an Gesetze halten und dürfen nicht Lügen verbreiten. Das Grundgesetz zieht für eine demokratisch verfasste Öffentlichkeit hier Grenzen.

Der unbegründete und ungefähre Zensurvorwurf bringt Mark Zuckerberg in die Gesellschaft der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), die auf diese Weise die öffentlich-rechtlichen Medien angreift. Was beide als Zensur bezeichnen, ist keine. Stattdessen üben professionalisierte Journalistinnen und Journalisten mit Hilfe des Gatekeeper-Modells Autoren-, Redakteurs-, Lektoren- und Managerfunktionen aus. Sie korrigieren Falschmeldungen, erfüllen also publizistische Sorgfaltspflicht und sichern so die Qualität der Informationen. So können die Bürgerinnen und Bürger die notwendigen Kenntnisse erwerben, um sich über politisch regelungsbedürftige Probleme ein begründetes Urteil zu bilden. Gewiss, die öffentliche Kommunikation der Massenmedien ist von der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie gelenkt, aber nicht manipulativ.

Selbstregulierung mit garantiertem Wahrheitsbezug?

Zuckerberg präsentiert die Abschaffung von Faktenprüferinnen und Faktenprüfern als einen Schritt von mehreren, „um die freie Meinungsäußerung wiederherzustellen“ und will den Nutzerinnen und Nutzern seiner Medien wieder „eine Stimme geben“. Welche Stimme meint er?

Es gibt eine Stimme des zivilisierten und vernünftigen Dialogs von Bürgerinnen und Bürgern, die im besten Fall den „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Jürgen Habermas) respektieren und gegebenenfalls die Schwäche ihres Argumentes akzeptieren. Der eigene Standpunkt und die eigene Sicht der Dinge treten zugunsten von mehr Klarheit und einer vernünftigen Verständigung zurück. Dies können wir bei jenen, die sich mit ihrem Unwillen und ihrer Wut unkontrolliert in den Social Media zu Wort melden, eher ausschließen. Das Internet ist ein Kommunikationsraum für starke Affekte, denen viele Nutzerinnen und Nutzer nicht Einhalt gebieten können oder wollen.

Der Netzhetze ausgesetzt

Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter, X usw. haben das Phänomen des Shitstorms ermöglicht. Damit gemeint sind Stürme der Entrüstung in den Medien des Internets mit beleidigenden Äußerungen bis hin zur Schmähkritik. Sie verbreiten sich lawinenartig in den Social Media, Blogs oder Kommentarfunktionen von Internetseiten. 2 Insbesondere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind harter Kritik oder der Netzhetze ausgesetzt. Eine kleine Auswahl: kürzlich hatte sich ein AfD-Mann über „nuttiges Verhalten“ der Bundessprecherin der Grünen Jugend Jette Nietzard ereifert, weil sie ein Bikini-Foto gepostet hatte. Aus seiner Sicht war dies eine Zumutung, die von ihm als ungehörig empfunden wurde.

Zornbereite Bürgerinnen und Bürger zeigen, dass sie nicht bereit sind, „alles“ hinzunehmen. 3 Im Jahr 2021 war über die Bundessprecherin der Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich ein Sturm der Entrüstung von angebrachter Kritik, aber auch Beleidigungen hereingebrochen. Unbekannte hatten alte Tweets dieser Spitzenpolitikerin mit verletzenden Äußerungen im Netz verbreitet. Es waren u.a. ihre schwulenfeindliche Beschimpfung „Tunte“ und ihre Äußerung über eine „eklig weiße Mehrheitsgesellschaft“ wieder aufgetaucht.

Der Zorn von Bürgerinnen und Bürgern trifft aber auch das arrogante und unangemessene Verhalten von öffentlichen Persönlichkeiten, etwa im Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Bahn. Sie verspüren ein tatsächliches oder vermeintliches Recht, der Anmaßung oder dem Übergriff durch Dritte zu begegnen. Die Zornigen äußern sich überall dort, wo immer ihnen jemand offen in die Quere kommt.

Der Zorn dringt jedoch auch auf Entschädigung oder Vergeltung. Die AfD leistet dabei Hilfestellung als Verstärkerin. Sie steht bereit, dass sich bei den Wahlen ein Teil der Bevölkerung in eine Rachsucht oder Raserei verrennen kann und dass der Furor jedes Gefühl der Proportion von Recht und Demokratie verliert. Die AfD missbraucht das Gefühl und Weltbild bestimmter Teile der Bevölkerung, die ihre Selbstachtung bewahren indem, indem sie ihren Widersachern, den „etablierten Parteien“, die Stirn bieten.

Die Unduldsamkeit der Zornbereiten macht sie unbeherrscht und unberechenbar oft gerade dort, wo sie allen Grund haben, ihren Unmut zu äußern. Sie haben die Neigung, über das Ziel hinauszuschießen, blicklosen Auges, dröhnendes Gehörs und rasend. Ihre Reizbarkeit kann für die ständig Aufgebrachten selbst zu einem Fluch werden. Wer allzeit zornbereit ist, macht sich letzten Endes lächerlich.

Wenn eine zivilisierte vernünftige Stimme fehlt …

Zuckerberg will auch den unzivilisierten menschenverachtenden Stimmen einen Raum geben. Zivilisierte Stimmen und vernünftige Dialoge sind nicht selbstverständlich, sondern voraussetzungsreich. Dafür bieten sich zwei komplementäre Strategien an.

Zum einen sind die Lenkung der Kommunikation und die Einhaltung von Regeln und von Verfahrensweisen der Nachrichtenproduktion unerlässlich. Weil es an Selbstkontrolle in den Kommunikationsgemeinschaften der Social Media fehlt, ist eine seriöse Redaktionsarbeit mit ihren professionellen Maßstäben nicht zu ersetzen.

Weltpolitische Ereignisse wie die Migration, der russische Krieg gegen die Ukraine oder der neueste Regierungswechsel in den USA stellen diese Seriosität der Medien vor große Herausforderungen: Verschwörungsmythen, gezielte Desinformations-Kampagnen, Lügen und Irrtümer sind weit verbreitet. Um besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklungen wie diesen etwas entgegenzusetzen, hat die Deutsche Presseagentur (dpa) als unabhängige Nachrichtenagentur und Gemeinschaftsunternehmen der deutschen journalistischen Medien Standards im Bereich Faktencheck etabliert und will sie redaktionell vorantreiben. Eine eigenständige Faktencheck-Redaktion überprüft gezielt mögliche Falschbehauptungen und erstellt professionelle Faktenchecks.

Zum anderen kann das eigenständige Urteil der Bürgerinnen und Bürger gefördert werden. Die Medieninformation ZEBRA der Landesanstalt für Medien NRW gibt dazu folgende praktische Antwort: „Wenn du an der Glaubwürdigkeit einer Nachricht zweifelst, kannst du überprüfen, ob es sich um eine Falschmeldung handelt. Recherchiere die Fakten, informiere dich auf Seiten von Recherchenetzwerken, überprüfe Quellen und achte auf die Herkunft der Bilder.“ Um einzuschätzen, ob eine Nachricht wahr ist, sollten die Mediennutzerinnen und -nutzer reißerische Überschriften kritisch beleuchten, zweifeln und Quellen prüfen, Fakten checken (z.B. mit dem ARD-Faktenfinder), auf die Aktualität achten und Bilder oder Videos unter die Lupe nehmen („Was ist zu sehen?“ „Woher stammt das Bild oder Video?“)


1  Vgl. Christoph Hubig, Die Kunst des Möglichen II. Ethik der Technik als provisorische Moral, transcript Bielefeld 2007, S. 15f
2  Vgl. Jon Ronson, In Shitgewittern, J.G. Cotta´sche Buchhandlung, Stuttgart 2016
3  Vgl. Martin Seel, 111 Tugenden, 111 Laster, S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011, S. 73f

Ausblick und Rückblick

… die nächsten Beiträge widmen sich der ursprünglichen und aktuellen Faszination der Bilder …

In der Streifzüge-Serie sind bisher erschienen:
(1) Misstrauen, massenmedial potenziert;
(2) Protest und Mobilisierung mit dem Smartphone als Nahkörper-Technologie
(3) Social Media uniformiert und polarisiert
(4) Wenn Meister der Zensur über Zensur schimpfen
(5) Plattformen: Wüste Kommunikation in Echokammern
(6) Alter und neuer Glaube an große Männer
(7) Der Mythos der intelligenten Maschine

Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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