Die Linke in Not – setzt auf Wut statt auf Debatte

Die neu gewählten Parteivorsitzenden (Screenshot: Website Die Linke)

Die Ampel hat sich abgeschaltet, jetzt steht ein Wahlkampf ins Haus, bei dem es nach den Worten des Sozialwissenschaftlers Horst Kahrs für Die Linke darum geht, überhaupt eine Rolle zu spielen. Im Interview mit Wolfgang Storz lautet seine Zustandsbeschreibung: „Ich sehe eine Partei, die sich darauf konzentriert, bei der Bundestagswahl um ihr politisches Überleben zu kämpfen. Die deshalb den seit Jahren überfälligen längerfristigen Erneuerungsprozess noch einmal hinausschiebt. Eine Partei, die sich, aus existentieller Not heraus, auf außerparlamentarische Bewegungen fokussiert, auf gesellschaftliche Opposition und sich noch weiter vom Anspruch einer sozialistischen Gestaltungspartei entfernt.“ Als er diese Diagnose stellt, hat Kahrs diesen Wahlslogan der Partei Die Linke noch gar nicht kennen können: „In diesem Wahlkampf geht es um eines: wir hier unten gegen die da oben„.

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Wer läuft wohin und zu wem über?

Foto: L. Lenz auf wikimedia commons | Exminister Buschmann (FDP) singt derweil „man muss gehen, um zu stehen.“

Der Hoffmann und Campe Verlag hatte es 1951 abgelehnt, Siegfried Lenz´ Roman “Der  Überläufer“ zu veröffentlichen. Der schien dem Verlag damals dem deutschen Publikum nicht zumutbar. 2016 wurde “Der Überläufer“ publiziert – von Hoffmann und Campe; posthum, 17 Monate nachdem Lenz verstorben war. Überläufer nennt man Menschen, die sich auf verborgene Weise zum militärischen Gegner, zum Feind aufgemacht haben, übergelaufen sind.

Gebräuchlich ist das  Wort nicht. Nun tauchte es wieder auf. In der Bild-Zeitung und am 7. November ebenfalls in der FAZ. Es war auf den FDP-Politiker Volker Wissing gemünzt, der im Gegensatz zu anderen FDP- Repräsentanten die Regierung Scholz nicht verlassen hatte, sondern der geblieben und der praktisch zeitgleich aus der FDP ausgetreten war.

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Wiedervereinigt für Wohlstand, nicht für Demokratie

35 Jahre ist es jetzt her, dass mutige Menschen zuerst in Leipzig und später dann in vielen Städten der damaligen DDR auf die Straße gegangen sind und mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ eine Diktatur zunächst ins Wanken und dann zu Fall gebracht haben. Wenn mich meine Erinnerung nicht trübt und ich genauer hinschaue, dann ist bei mir aus dieser Zeit folgendes hängengeblieben: Es waren nicht die „bösen westdeutschen Kapitalisten“, die es kaum erwarten konnten, sich auf einen kolonialistischen Beutezug nach Ostdeutschland auf den Weg zu machen. Das Tempo und das Verfahren, wie die Deutsche Einheit hergestellt werden sollte, wurde ganz wesentlich durch die Wählerinnen und Wähler in Ostdeutschland „erzwungen“.
Was viele politische Akteure auch nicht wahrhaben wollten oder vielleicht auch nicht gesehen haben: Schon unmittelbar nach der Wende kristallisierte sich in der ehemaligen DDR ein beachtlicher rechtsextremer Bevölkerungsanteil heraus, der zwar zu der herrschenden SED Diktatur in Opposition stand, aber mit der „liberalen Demokratie „westlicher Prägung“ nichts am Hut hatte.

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Fragen deutscher Identität – unbearbeitet und unbeantwortet

Bärbel Bohley und Rolf Henrich, Mitbegründer der Bürgerbewegung Neues Forum (DDR), während der landesweiten Delegiertenkonferenz des Neuen Forum am 6. Januar 1990 im Kulturhaus ‚Alfred Frank‘, Leipzig. (Screenshot: LeMo | Foto: Friedrich Gahlbeck, Bundesarchiv; ADN-Zentralbild Bild 183-1990-0109-301

„Der vormundschaftliche Staat“: In kaum einem der zur Zeit so erfolgreichen Bücher über die Ostdeutschen fehlt dieser Hinweis auf den Charakter des untergegangenen Staates namens Deutsche Demokratische Republik (DDR), der im Namen des Sozialismus „vormundschaftlich“ von der Wiege bis zur Bahre das Leben seiner Bewohnerinnen und Bewohner geregelt und gelenkt und ausgeforscht hat. Die Zuschreibung benutzen Bestsellerautoren wie Steffen Mau oder Dirk Oschmann, aber auch Ines Geipel oder Ilko-Sascha Kowalczuk, um zu beschreiben, warum sich so viele Ostdeutsche mit der Demokratie und den tragenden Institutionen einer pluralistischen Zivilgesellschaft wie Parteien, Kirchen, Verbänden oder Gewerkschaften immer noch schwer tun, warum sie gegen den Westen, die USA, die Nato und Waffenlieferungen an die Ukraine sind. Und neuen (rechtsextremen bis nationalistischen) Vormündern hinterherlaufen, die vorgeben, das Leben an der Seite des Bruderlandes Russland wieder so überschaubar und geregelt wie im einstigen vormundschaftlichen Staat machen zu wollen.

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Spekulatives über Folgen für die deutsche Politik

Bild: F. Muhammad auf Pixabay

Die Ungewissheit  des Ausgangs der Wahl in Amerika lähmte in den vergangenen Monaten auch in Deutschland politische Prozesse und führte zum Aufschub politischer Klärungen und Entscheidungen bis nach dieser Wahl. Insofern kann der Wahlausgang, je nachdem, ob Harris oder Trump gewinnt, gleichsam auch zum Scheidepunkt politischer Prozesse in Deutschland werden. Ab Mitternacht (MEZ) des 5. November dürften erste Prognosen (aus Indiana und Kentucky) vorliegen, gegen 1 Uhr werden dann die Wahllokale im ersten Swing State (Georgia) schließen, der 2020 an Biden ging. Vorab einige Spekulationen darüber, was es für die Ampelparteien, die Union, die Schuldenbremse, das AfD-Verbotsverfahren, die Brandmauer gegen rechts und den Ukrainekrieg bedeutet, wenn Harris gewinnt, und was, wenn Trump gewinnt.

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Der Kampf um Amerikas Zukunft geht erst richtig los, wenn die Wahllokale schließen

Draußen vor dem US-Kapitol während des Angriffs auf das Gebäude am 6. Januar 2021 (Foto: Tyler Merbler auf wikimedia commons)

Wir stehen unmittelbar vor einer Wahl, die über weit mehr als die US-amerikanische Präsidentschaft entscheidet. Über den Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris wurde schon viel gesagt, deshalb ersparen wir Ihnen hier Wiederholungen. Um es zusammenzufassen: Trump verspricht das rechtsstaatlich verfasste amerikanische politische System in weiten Teilen auszuhöhlenMillionen von Menschen abzuschieben und schon am ersten Tag seiner Amtszeit eine Diktatur zu errichten. Wir glauben, dass wir ihn ernst nehmen sollten. Harris hingegen hat mehrere moderate politische Versprechen gemacht, vor allem aber hat sie versprochen, nicht das zu tun, was Trump vorhat. Diese Wahl – sowohl des Präsidenten bzw. der Präsidentin, als auch des Kongresses – wird sich auf Millionen Menschen auswirken, in den USA und anderswo.

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Treffen sich ein Hamster und ein Rad

Screenshot: Spiegel-Online

Was Massenmedien als Information anbieten, unterliegt der Logik öffentlicher Kommunikation. Sie verlangt als erstes, das gehört zum Grundschulwissen, die Aufmerksamkeit eines Publikums. Auch wie Aufmerksamkeit gewonnen werden kann, hat, dank Social Media, weit über die Expertise der Medien- und Kommunikationswissenschaften hinaus inzwischen in den Alltag Einzug gehalten: Dramatisieren, emotionalisieren, personalisieren, skandalisieren und alles am besten im Superlativ. So entsteht eine massenmediale Wirklichkeit aus Aufregung und Geschrei, Highlights und Abgründen, Streitereien und Beleidigungen, Krisen und Katastrophen. Ob ein Hamster und ein Rad aufeinander treffen oder ein Massenmedium (auch so ein winziges wie Bruchstücke) und eine freie Öffentlichkeit, die Folgen sind absehbar.

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Enttäuschung und Zorn einer Jazz-Ikone

Archie Shepp, Konzert im Roten Saal des Deutschordensmuseum Bad Mergentheim, 2016 (Foto: Schorle auf wikimedia commons)

Archie Shepp ist eine Ikone des freien Jazz . Er war ein enger Freund und Weggefährte des stilbildenden Saxofonisten John Coltrane und u.a. an den wichtigen Coltrane-Platten, “A Love Supreme“ und “Ascension“ beteiligt. Außerdem ist Shepp einer der herausragenden Intellektuellen der Black Community der vergangenen 50 Jahre. Als Aktivist, Musiker und langjähriger Professor für Afroamerikanische Studien hat er Generationen von insbesondere schwarzen Jazzmusikern maßgeblich mitgeprägt. Anlässlich des Enjoy Jazz Festivals 2016 – das Festival findet jährlich im Oktober und November in den Städten der Rhein-Neckar-Region Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen statt – führte Enjoy Jazz mit Archie Shepp kurz nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten ein Interview, das noch heute von erstaunlicher Aktualität ist.

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Glaubt ihm

Letters from an American: Die Historikerin Heather Cox Richardson gibt einen häufig gelobten täglichen Newsletter/Podcast heraus. Mit über einer Million Abonnenten wurde der Newsletter im Dezember 2020 zur erfolgreichsten bezahlten Publikation auf Substack. In einer maschinellen Übersetzung dokumentiert Bruchstücke ihren Beitrag über Trumps Wahlkampfveranstaltung in New York.

Ich nehme alles zurück. Ich dachte, die diesjährige Oktober-Überraschung sei die Tatsache, dass Trumps Geisteszustand so stark nachgelassen hatte, dass er keinen zusammenhängenden Wahlkampf führen konnte. Es stellt sich heraus, dass die Oktober-Überraschung 2024 die faschistische Kundgebung der Trump-Kampagne im Madison Square Garden war, eine Kundgebung, die so extrem war, dass republikanische Kandidaten für ein Amt sie in Social Media verurteilen. 
Es stand außer Frage, dass diese Kundgebung nichts anderes sein würde als ein Versuch, Trumps Basis aufzuhetzen. Der Plan für eine Kundgebung im Madison Square Garden selbst erinnerte bewusst an seinen Vorgänger: eine Nazi-Kundgebung im alten Madison Square Garden am 20. Februar 1939. Zu dieser Veranstaltung im Zeichen des „wahren Amerikanismus“ kamen etwa 18.000 Menschen, die auf einer Bühne mit einem riesigen Porträt von George Washington in der Uniform seiner Kontinentalarmee, das von Hakenkreuzen flankiert wurde, zusammentrafen. 

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Wildwest im Ostend? Was Frankfurt mit der US-Wahl zu tun hat

Chris Krebs (Foto: United States Department of Homeland Security auf wikimedia commons)

Am Abend des 19. November 2020 glaubte Chris Krebs, Fachmann für IT-Sicherheit, „die gefährlichsten eindreiviertel Stunden Fernsehen in der amerikanischen Geschichte“ zu erleben, „und vielleicht die verrücktesten.“ Kurz zuvor hatte er noch die US-Behörde für Cyber- und Infrastruktursicherheit (CISA) geleitet und in dieser Funktion die Integrität der Wahlen vom 3.11.2020 überprüft, die von Joe Biden mit Kamala Harris als Vizepräsidentin gewonnen wurden. Krebs erklärte offiziell, die Wahlen seien aus der Sicht seiner Behörde ordnungsgemäß verlaufen und die Auszählungen fehlerfrei. Die Fälschungssicherheit digital gestützter Verfahren sei dadurch gewährleistet, dass jede einzelne Stimme in Papierform aufbewahrt werde und Prüfungen daher jederzeit durch händische Nachzählungen möglich seien. Stunden später wurde er vom noch amtierenden Präsidenten Donald Trump fristlos gefeuert.

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Protest und Mobilisierung mit dem Smartphone als Nahkörper-Technologie

In der Streifzüge-Serie bisher erschienen: (1) Misstrauen, massenmedial potenziert

Unter den Corona-Demonstrant:innen nehmen die sich als „Querdenker“ selbst titulierenden Querdenk:innen einen besonderen Platz ein. Es sind Menschen, die ihren Zweifel an der Realität auf Dauer gestellt haben. Mit ihrem Generalverdacht, manipuliert zu werden, können sie der Komplexität der Welt einen (fragwürdigen) Sinn geben. Für diese von entgrenztem Misstrauen getragene Gruppierung spielt die digitale Kommunikationstechnik eine besondere Rolle.

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Wer denn diese Frau sei: „Das ist Greta“

Greta Wehner (Screenshot: Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung)

Greta Wehner wäre Anfang Oktober 100 Jahre alt geworden. Sie starb 2017 im Alter von 93 Jahren. Nun hat der Wehner-Biograph Professor Christoph Meyer, ein Sozialwissenschaftler, eine sehr sorgfältig erarbeitete Lebensbeschreibung Greta Wehners veröffentlicht. Sie heißt: „Greta Wehner. Eine Frau tritt aus dem Schatten.“

Anfang der siebziger Jahre habe ich mich  als junger Redakteur ins Fahrwasser der SPD begeben. So wie andere in das der Union oder der FDP. Die Parteiapparate waren sehr viel kleiner als heute, Kontakte zu manchen Führungspersönlichkeiten rasch geschlossen. Es waren Kontakte und es war ein Kennenlernen in männerdominierten Apparaten.

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„Was wir beim nächsten Mal besser machen sollten“

Die Erinnerung an Corona verblasst. Die Kriege in der Ukraine und in Gaza, die Migrationspolitik und der Höhenflug der AfD prägen die öffentlichen Debatten. Während die offizielle Aufarbeitung der Pandemie durch staatliche Stellen auf sich warten lässt, häufen sich die Publikationen einzelner Beteiligter. Den Anfang machte Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit “Wir werden einander viel verzeihen müssen”. Der Buchtitel, einer Rede Spahns im Bundestag entnommen, ließ zumindest Anzeichen von Selbstkritik erkennen. Weniger Zweifel am eigenen Handeln offenbarten der Journalist Georg Mascolo und der Virologe Christian Drosten in “Alles überstanden?”. Die in Gesprächsform präsentierte, vorgeblich kritische Bilanz liest sich wie eine Rechtfertigungsschrift zweier Vertreter der gesellschaftlichen Elite. Nun hat Hendrik Streeck, Initiator der “Heinsberg-Studie” über den frühen Virusausbruch im rheinischen Gangelt und später wie Drosten Berater der Politik, seine Sicht der Dinge dargelegt.

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Misstrauen, massenmedial potenziert

Bild: Megan_Rexazin_Conde auf Pixabay

Die Digitalisierung der Gesellschaft übersteigt ihr politisches Verständnis. Sie berührt auch die vorpolitischen Vorausetzungen, unter welchen Bürger:innen ihre Urteils- und Handlungsfähigkeit herausbilden und entwickeln. Über Vorteile und Risiken der Digitalisierung lässt sich reden, wenn die Folgen abschätzbar sind. Dazu gehört, dass die Bürger:innen einen wichtigen Teil ihrer Unabhängigkeit verlieren könnten. Streifzüge durch Bilder und Mythen begeben sich in einer losen, vielteiligen Bruchstücke-Serie auf lebensweltliche Spuren der Digitalisierung.
Ein Anfang lässt sich mit Beobachtungen zur Coronapandemie machen.

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Schule – ein Ort der Rekrutierung?

Foto: U.S. Air Force photo by Tech. Sgt. Samuel Morse auf wikimedia commons
Screenshot: Westfalen-Blatt

Im ostwestfälischen Bad Salzuflen findet die Berufsmesse “MyJobOWL” statt. Den mit Abstand größten Stand aller Arbeitgeber hat die Bundeswehr, zwei Dutzend Soldaten sind im Einsatz. Ein riesig wirkender Tornado-Kampfjet thront in der Mitte der Halle, er bildet den größten Anziehungspunkt für die zumeist jungen Besucher:innen. Am Rande der stationären Flugschau führen Jugendoffiziere im kleinen Kreis Gespräche, Uniformierte berichten von ihren Auslandseinsätzen und schwärmen von den Karrieremöglichkeiten beim Militär. Die Bundeswehr hat ein drastisches Nachwuchsproblem.

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bruchstücke