Wider die Omnipotenzansprüche des (politisch dummen) Marketings

Bild: eak_kkk auf Pixabay

Psychologen interessieren sich für Personen und deren Probleme. Sie fangen mit der Diagnose bei der Person an und gelangen zu einer Therapie, die sich um die Person dreht. So auch die Agentur concept m in ihrer Studie über AfD-Wähler:innen, die Dirk Ziems auf bruchstuecke vorgestellt hat: „Im Hinterfragen ihrer Standpunkte und in der geduldigen Diskussion, mit Aufklärung über weitere Hintergründe und Fakten, die in ihren vereinfachten Erklärungsschemata nicht vorkommen, kann man bei den AfD-Sympathisanten durchaus immer wieder ein Nachdenken und Überdenken anstoßen.“ Psychologische Analysen und Lösungsvorschläge können sehr hilfreich sein, solange es um persönliche Beziehungen geht, gesellschaftspolitisch springen sie zu kurz, weil sie aus gesellschaftspolitischen Probleme individuelle machen. Wer sich mit Marketing-Instrumenten in die Politik begibt, verfehlt die Probleme und bietet Scheinlösungen.

Die Allmachtsphantasien der Wirtschaft und die Omnipotenzansprüche des Marketings sind zwei Seiten derselben Sache, der Durchökonomisierung der modernen Gesellschaft von West nach Ost und von Nord nach Süd. Aber das ist ein anderes Feld, Luise. Der Ausgangspunkt, bei dem wir bleiben wollen, ist der aktuelle Aufstieg der AfD, über den wir (sowohl von Dirk Ziems als auch von Klaus West) beruhigt werden, Panik sei völlig unangebracht, die Bewertung einer „schweren Gefährdung der Demokratie“ unzutreffend. Diese Beruhigung ist schon deshalb billig, weil Panik immer „unangebracht“ ist, grundsätzlich alles nur schlimmer macht. Dass die NSDAP bei den Reichstagswahlen im Mai 1928 exakt 2,63 Prozent erreicht hat und vier Jahre später im Juli 1932 nicht weniger als 37,27 Prozent hat natürlich etwas mit der Weltwirtschaftskrise zu tun – ein Hinweis gegen das Schönreden heutiger Zustände ist es trotzdem.

Mit brauner Politik muss gerechnet werden

Braun ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Mit brauner Politik muss gerechnet werden. Im Gegensatz zu den ungläubig-empörten Reaktionen aus dem politischen Spektrum liberaler, konservativer, sozialdemokratischer und linker Provenienz gilt es festzuhalten: In den modernen Vorstellungswelten tummelt sich stets auch brauner Sinn. Wir leben alle in derselben Realität, nehmen sie aber unterschiedlich wahr und entwickeln sehr verschiedene Vorstellungen von ihr; wo Meinungsfreiheit herrscht, wird das auch offiziell anerkannt. (Mehr als unsere Vorstellungen von der Realität haben wir nicht, niemand hat direkten Zugang zur „Welt an sich“.) Unter welchen Voraussetzungen kann Rechtsextremismus öffentlich auftreten, laut und politikfähig werden, Anklang und Anhänger finden?

Was die etablierte Mitte, Links- und Rechtsextremisten eint, ist dies: Sie können sich nicht vorstellen, dass man sich die Welt so vorstellen kann, wie es die beiden anderen tatsächlich tun. Deshalb stehen sich „korrupte Eliten“, „rotes Gesindel“ und „braunes Pack“ einander gegenüber. Unsere moderne Gesellschaft tut sich schwer, mit den Freiheiten umzugehen, die ihr ganzer Stolz sind. Die Kommunikations-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten, wie sie Personen und Organisationen offen stehen, machen nicht nur fiktional in den Köpfen, sondern auch faktisch völlig verschiedenartige, widersprüchliche und extreme Entwicklungen möglich, darunter auch den Rechtsextremismus.

Allerdings stellt der Rechtsextremismus eine Entwicklung dar, der in den vorherrschenden Selbstbeschreibungen der Moderne kein Platz eingeräumt wird – gezwungenermaßen muss sehr viel über ihn geredet werden, aber es geschieht in einer Weise, die ihn als eigentliche Unmöglichkeit behandelt. Rechtsextremismus wird tabuisiert, solange er sich nicht aus eigener Kraft auf die öffentliche Agenda zu setzen vermag; und er wird dämonisiert, sobald er als politisches Thema unumgänglich geworden ist. Für diese Dämonisierung hat er schrecklich reale Gründe geliefert, aber offenkundig ändert das Schreckliche nichts daran, dass braunes Denken, Reden und Handeln sich immer wieder neu beleben und um sich greifen.

Ursprung: soziale Frage, Resonanzboden: Kultur der Konkurrenz

Solange unsere Gesellschaft sich weigert, im Rechtsextremismus eine ihrer normalen Möglichkeiten zu erkennen, erhöht sie das Risiko, dass er politische Erfolge erzielt, denn solange macht sie in der politischen und juristischen Auseinandersetzung mit ihm eine schlechte Figur, verrennt, verrenkt und blockiert sich. Nicht nur „rechtes Reden ist immer polemisch“ (Leo, Steinbeis & Zorn: Mit Rechten reden, 2017, S. 28), sondern auch das politische Reden über Rechtsextremismus.

Rechtsextremismus wurzelt – unter variierenden Wachstumsbedingungen – in der individualisierten, organisierten und kapitalisierten Erwerbsgesellschaft der Moderne. Humane Werte für Schwäche, demokratische Regeln für Behinderungen und Menschenverachtung für richtig zu halten, fällt unter die jederzeit vertretenen politischen Auffassungen. Es sind zwei Fragen, die einer Antwort bedürfen: Wie kommt es überhaupt zu einer rechtsextremen Wirklichkeitsauffassung? Unter welchen Bedingungen wächst bei einer beachtlichen Menge von Menschen die Bereitschaft, Komponenten der braunen Version von Wirklichkeit zu teilen, Rechtsextremismus politikfähig zu machen bis hin zu demonstrativer Unterstützung und einem Votum bei demokratischen Wahlen?

Braune Politik hat in der sozialen Frage ihren Ursprung, in der Kultur der Konkurrenz ihren Resonanzboden, in der politischen Demokratie ihren Kontrahenten und in der Krise ihre treibende Kraft. Sie verkündet, Taten statt Worte sprechen zu lassen, alles Relative, alles Plurale, alles Reflexive wegzufegen – das braune Programm ist Eindeutigkeit, eine einheitliche Ordnung, in der jeder seinen Platz kennt, drinnen wie draußen. Deshalb läuft braune Politik auf Vernichtung hinaus, sie will alle Möglichkeiten jenseits ihres eigenen Weges zerstören. Unter Krisenbedingungen, die ausweglos erscheinen, kann ein solcher polarisierender Wille Anziehungskraft gewinnen und zwar vor allem dann, wenn aus anderen politischen Richtungen keine hoffnungsvollen Antworten auf die Krise angeboten werden.

Verdrängen, vergessen, verweigern

Von links: Hermann Göring, Mussolini, Hitler und Mussolinis Schwiegersohn Galeazzo Ciano in den 1930er Jahren (auf wikimedia commons)

Die 1930er Jahre waren, mit Europa als Zentrum, eine historische Phase mit vielen Parteien und einigen mächtigen Regierungen brauner Couleur. An der Macht mündete braune Politik nach innen in autoritäre bis terroristische staatliche Praktiken, nach außen in militaristische bis kriegerische. Knapp hundert Jahre später herrscht Verwunderung, dass nationalistische, fremdenfeindliche und antidemokratische Kräfte über einen braunen Rand hinaus wieder in das Zentrum der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen vorrücken, dass sie in Parlamente gewählt werden, auch in den deutschen Bundestag, bis vor den Élysée Palast und bis in das Weiße Haus vorzudringen vermögen; im Zweiparteiensystem der USA führte der braune Weg an die Macht über eine rechtsextreme Fraktion innerhalb der Republikaner.

Das gegenwärtige Erstaunen über Trump und Le Pen, über die Stärke hell- bis dunkelbrauner Parteien fast überall in Europa beruht auf Verdrängen, Vergessen und Verweigern. Verdrängt wird, wie tief die Wurzeln brauner Politik in der modernen Gesellschaft liegen. Vergessen wird die zeitweise entschärfte, aber nie gelöste soziale Frage: Die individuelle Abhängigkeit von Erwerbsarbeit und die Kultur der Konkurrenz erzeugen ein Grundgefühl sozialer Unsicherheit, das in Krisenzeiten für braune Welterklärungen anschlussfähig ist. Verweigert wird die Einsicht in die Differenzen zwischen Selbstdarstellung und Realitäten der repräsentativen Demokratie.

Selbstachtung als Ächtung anderer

Die politischen Chancen des Rechtsextremismus resultieren auch daraus, dass die moderne Gesellschaft sehr viel lieber über ihre großartigen Möglichkeiten kommuniziert als über ihre – teilweise desaströsen – Wirklichkeiten. Das Selbstgespräch der Moderne hat in weiten Teilen den Charakter einer PR-Veranstaltung, bei der im Saal die aktuellen Erfolge und die günstigen Aussichten vorgestellt werden, während Protestierende vor dem Gebäude auf ökologische und soziale Verwerfungen und schädliche Nebenfolgen aufmerksam zu machen versuchen.

Eine Analyse brauner Politik, die weder dramatisiert noch verharmlost, ist nicht möglich. Das hat auch etwas mit der Eigenart dieser Politik zu tun, die zu allem fähig ist und zu nichts, die als Protestbewegung und als Machthaber sehr verschiedene Gesichter zeigt. Aus sich selbst heraus vermag der Rechtsextremismus jede Schandtat gegen das fremde Böse zum eigenen Machtgewinn zu rechtfertigen, weil er seine Selbstachtung aus der Ächtung Anderer bezieht. Was geschieht und was unterbleibt, welche Brutalitäten exekutiert werden, hängt wesentlich davon ab, wie die Umwelt reagiert, wie viel das jeweilige Land und die internationale Politik zulassen oder sogar mitmachen, die Zerstörung welcher Alternativen aus Anpassungsbereitschaft oder unter Zwang hingenommen wird. Aufklärung ist schön und gut, auf Widerstand und Gegenwehr kommt es an.

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Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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