Auf Twitter stellt sich die amtierende DGB-Vorsitzende als „Überzeugungstäterin“ vor. In dem traditionellen Interview, das die Deutsche Presseagentur jeweils zum Jahresende mit dem/der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes führt, hat sich Yasmin Fahimi überzeugt gezeigt, dass „jetzt nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten ist, sondern für effektives Handeln in der Realität“. Unter effektivem Handeln in der Realität versteht sie zum Beispiel Sonderzahlungen an Manager und Ausschüttungen an Aktionäre auch solcher Energieunternehmen, die mehr als 50 Millionen Euro Steuergelder erhalten. Ein Ausschluss von Boni und Dividendenzahlungen in der jetzigen Situation führe dazu, “dass in Deutschland das Risiko der Deindustrialisierung größer wird” und Industriearbeitsplätze verloren gingen.
Was daran peinlich ist? Der Kapitalismus ist ein alter Bekannter. Seit rund 250 Jahren schafft er Arbeitsplätze ab, wo sie ihm nicht mehr rentabel erscheinen, und stampft andere aus dem Boden dieses Planeten, wo immer die Arbeitskraft billig genug ist, um Rendite erwarten zu dürfen. Dabei konkurrieren Arbeitsuchende, Städte und Gemeinden, Länder und Erdteile gegeneinander um die Ansiedlung von Jobs. Eine Gewerkschaftsvorsitzende, die das „als normale Mechanismen der Marktwirtschaft“ abhakt und nicht debattieren will, riskiert den öffentlichen Eindruck, ihre Rolle nicht genau verstanden zu haben, weil es zur Gründungsidee von Gewerkschaften gehört, genau diese Konkurrenz um Arbeitsplätze zu entschärfen.
Was noch viel peinlicher ist? Es auszusprechen, ist fast so peinlich wie das Faktum selbst. Bei der Überzeugung der DGB-Vorsitzenden dürfte es sich schlicht um gewerkschaftliche Familienpolitik handeln. Ihr Partner ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und sorgt sich um die Arbeitsplätze seiner Branche. Ob eine DGB-Vorsitzende nicht über den Rand des Küchentisches hinausdenken muss, werden sich Mitglieder anderer Einzelgewerkschaften und deren Vorsitzende vielleicht fragen.