
Kann ein Land wie Frankreich regiert werden, wenn es in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von Misstrauen und einer allseitigen Blockade („bloquons tout“ ) beherrscht wird? Wenn „Kompromiss“ zum Schimpfwort wird? Vor drei Jahren ist Emmanuel Macron zwar als Präsident zum zweiten Mal für fünf Jahre gewählt worden, aber er verlor bei den anschließenden Wahlen zur Nationalversammlung die absolute Mehrheit: Vier (la oder le) premiers ministres haben seither versucht, im Palais Bourbon eine Rentenreform oder ein Budget auf geordnetem parlamentarischem Weg und nicht über ein Ausnahmerecht zu verabschieden. Elisabeth Borne, Gabriel Attal, Michel Barnier und François Bayrou sind gescheitert – entweder an Macron (durch vorschnell vorgezogene Neuwahlen im vorigen Jahr) oder am Misstrauensvotum der Rechts- und Linksextremen im Parlament (Barnier). Oder an einer selbst beantragten Vertrauensfrage, von der Bayrou wusste, dass er sie verliert: Im Scheitern nach neun Monaten ein trotziger Abgang eines alten Politkämpen der liberalkonservativen Mitte.
Nun also der fünfte Premier, Macrons getreuer Gefolgsmann Sébastien Lecornu (39), die „letzte Patrone“ des unbeliebten Staatspräsidenten, wie von Rechtsaußen gelästert wird. So jung er ist, Lecornu ist seit zwanzig Jahren Berufspolitiker (vom Bürgermeister bis zum Verteidigungsminister) und kein Absolvent einer der elitären Kaderschmieden. Er pflegt diskreten Umgang von sehr weit rechts bis zu den Sozialisten, aber ob er die Blockaden auflösen und die Wut auf der Straße befrieden kann? Die Medef (Mouvement des entreprises de France), der sturköpfig-mächtige Arbeitgeberverband, lehnte im Juni ein weites Entgegenkommen der pragmatischen Gewerkschaft CFDT in der Frage ab, die die Gesellschaft nach wie vor besonders umtreibt, die Rentenfrage. Ob die Sozialisten ihre „taxe Zucmann“ durchsetzen können (eine zweiprozentige Steuer für die 1.800 Haushalte, die über ein Vermögen von über 100 Millionen Euro verfügen)? Ob überhaupt ein Sparhaushalt in diesem hochverschuldeten und von den Ratingagenturen herabgestuften Land bis Ende Dezember verabschiedet werden kann? Niemand weiß es. Am 2. Oktober will Lecornu im Parlament seine Regierungserklärung abgeben. Wenn er es bis dahin überhaupt schafft.