Göttinger Friedenspreis – ein Kollateralschaden des Ukrainekrieges

Ulrike und Thomas Vogt (Screenshot: Musik für den Frieden)

Am 10. September sollte das deutsch-russische Projekt ‚Musik für den Frieden‚ in einer öffentlichen Verleihfeier mit dem Göttinger Friedenspreis (GFP) ausgezeichnet werden. Das ursprünglich am Musiktheater in Grenzach-Whylen von den Müllheimer MusikpädagogInnen Ulrike und Thomas Vogt gegründete Ensemble MIR kooperiert seit 2018 mit dem russischen Jugendtheater „Premier“ aus Twer. Die gemeinsamen, zunächst via Internet einstudierten Projekte „Musik für den Frieden“ wurden vor der Coronapandemie in Russland und Deutschland als Live-Konzerte aufgeführt. Während der Coronazeit wurden von beiden Ensembles in einer intensiven Online-Zusammenarbeit drei Musikvideos produziert und auf dem YouTube-Kanal „Musik für den Frieden“ veröffentlicht. Der zivilgesellschaftlich engagierte künstlerische Austausch der deutschen und russischen Jugendlichen soll zeigen, dass trotz der fatalen politischen Situation in Europa eine freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit über Grenzen hinweg möglich ist.
Doch Mitte Juni wurde die seit Anfang Januar auf der GFP-Webseite (www.goettinger-friedenspreis.de) angekündigte Verleihfeier von der den Preis vergebenden Stiftung ohne jede Begründung abgesagt. Was war geschehen?

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Niedersachsen: CDU öffnet Wege zur AfD

Foto: David Borghoff auf wikimedia commons

Die niedersächsische Landtagswahl wird vielfach als Testwahl für die Politik der Bundesregierung in den letzten Monaten verstanden bzw. der Wahlkampf einiger Parteien (z.B. CDU) lief darauf zu: die Energieversorgungs-sicherheit, der sozial gerechte Ausgleich von Preissteigerungen und die Politik gegenüber dem einen Aggressionskrieg führenden Russland – breit interes-sierende Themen, an denen sich die Bundesregierung erkennbar mühsam abarbeitet, handwerkliche Fehler begeht, nach einer klaren Linie sucht. Alles Bedingungen, die dazu einluden, die Landtagswahl auch zu einer Abrechnung mit der Bundesregierung zu machen. Dieser Versuch ist gescheitert. SPD und Grüne können eine Landesregierung bilden, die CDU verliert Einfluss auf den Bundesrat. Das Scheitern der FDP am Wiedereinzug setzt die Bundesregierung unter Druck.

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Gratis oder billig, unsichtbar: Frauenarbeit in der Männerwirtschaft

„Das Patriarchat hat seinen Meister gefunden“. Kundgebung und Demonstration zum Internationalen Frauentag 2022 in Melbourne. (Foto: Matt Hrkac auf wikimedia commons)

Die androzentrische Mainstream-Ökonomie macht (Frauen-)Arbeit des Alltags unsichtbar (und gratis oder billig), Gedanken an Geschlechtergerechtigkeit lässt sie gar nicht erst aufkommen. Frauen* wird das ganze Ausmaß der systematischen Ausgrenzung ihrer Bedürfnisse und Belange aus der Matrix relevanter Entscheidungsprozesse oft erst vollumfänglich bewusst, wenn sie sich Zugänge zu den Institutionen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik erkämpft haben.

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«Ist das Satire?»: Coca-Cola sponsert die Weltklimakonferenz

Foto: hhach auf Pixabay

Vom 6. bis 18. November findet im ägyptischen Sharm el Sheikh die Weltklimakonferenz COP27 statt. Die ersten Vorveranstaltungen laufen bereits. Nach einem ausgesprochenen Hitzesommer und drastischen Überschwemmungen in Pakistan ist die Stadt am Rande des Sinai zweifellos ein passender Ort. Die Diskussion im Vorfeld dreht sich aber weniger um klimabedingte Extremwetterereignisse, sondern um die Finanzierung: Am 28. September kündigte das Gastgeberland Ägypten auf seiner COP27-Website die Coca-Cola Company als Sponsor an. Der grösste Plastikverschmutzer der Welt sponsert COP27. Ein Unding, findet nicht nur Greenpeace.

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Gutmütig, verzweifelt, aufbegehrend  

Günter Lamprecht im Jahr 2010 bei seiner Ankunft zur Eröffnung der 60. Internationalen Filmfestspiele Berlin (Foto: Siebbi auf wikimedia commons)

Als Günter Lamprecht 90 Jahre alt wurde, hat der damalige Kiepenheuer&Witsch- Verleger Helge Malchow an eine Bemerkung von Susan Sonntag erinnert. Nach deren Auffassung sind drei Schauspieler in Europa wirklich herausragend. Emil Jannings, Jean Gabin – und Günter Lamprecht.

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Kipppunkte: Dynamiken und Blockaden der Klimapolitik

Die viel beschworene Transformation zur Klimaneutralität ist nicht nur eine technische und wirtschaftliche, sondern auch und nicht zuletzt eine gesellschaftspolitische und soziale Herausforderung. So zwingend der Konsens „der Wissenschaft“ auch sein mag, man sollte die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die ehrgeizigen Klimaziele, wie sie im UN-Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 formuliert sind, in Teilen der Gesellschaft immer noch auf Skepsis, teilweise sogar auf Ablehnung stoßen.

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Wie beim Roulette: Aktienanlagen, solider als Glücksspiele?

Bild: Sem auf wikimedia commons

Wenn von »Casino-Kapitalismus« die Rede ist, geht es meist um die Börse. Insbesondere die hochspekulativen Segmente des Finanzmarkts stehen im Verdacht, reine Glücksspiele zu sein – »gezockt« werde an der Börse wie am Roulettetisch. Die Profis der Geldanlage widersprechen dem vehement: Investitionen in Geldanlagen hätten nichts mit Zufall zu tun, sondern mit sorgfältiger Analyse, mit Weit- und Umsicht. Beides ist nicht ganz richtig. Weder ist der Erfolg bei der Anlage halbwegs verlässlich planbar, noch ist er reine Glückssache. Die Unsicherheit im Kapitalismus – nicht nur am Finanzmarkt – resultiert weniger aus den Launen des Zufalls, sondern wesentlich aus der Konkurrenz. Vier Gedanken zu Spiel und Spekulation.

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Wirtschaft und Gerechtigkeit, auf ewig geteilt?

Foto: Daniel Helpiansky auf Unsplash

Noch vor wenigen Jahren war es ein altes Eisenbahndepot an der Westseite New Yorks. Heute ragen dort Wolkenkratzer empor, die wie gigantische spiegelnde Glasscherben aus Manhattans Skyline ragen. Hudson Yards gilt mit einem Areal von elf Hektar und einem Investment von 25 Milliarden Dollar als das größte private Immobilienprojekt Nordamerikas. In der Shopping Mall finden sich Marken wie Rolex, Cartier, Dior, Fendi, nebenan sind die Büros von WarnerMedia, Boston Consulting, L’Oréal und des deutschen Softwarekonzerns SAP. Wer eines der Penthouse-Apartments mieten will, zahlt bis zu 70.000 Dollar monatlich. Für Stephen Ross, dem Immobilienmogul hinter dem Projekt, sind die Hudson Yards das neue Herz von New York, wie es auf der Webseite seines Unternehmens heißt. Für Kritiker:innen ist es ein monumentales Symbol des Spätkapitalismus und steht für alles, was falsch läuft in unserem System. In der Mitte hat Ross The Vessel – das Gefäß – bauen lassen, eine 16 Stockwerke hohe begehbare Skulptur, die Spötter wegen ihrer Form den Papierkorb getauft haben. Mit seinen 154 Treppen, die nirgendwo hinführten, sei das Vessel eine Metapher für Arbeit ohne Sinn, schrieb die Architekturkritikerin Kate Wagner (2019). Unter dem Vorwand, in den öffentlichen Raum zu investieren, verberge das leere ‘Gefäß’, so Wagner in ihrem Verriss, nur sehr fadenscheinig die Intention, “Luxusvermögenswerte für die kriminell Wohlhabenden” zu schaffen.

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„Ich habe diese Wackelpartei satt“

Bundestagswahl 5. Oktober 1980: Party der Wahlsieger im Bundeskanzleramt, Unionskandidat Franz-Josef Strauß unterlag (Foto: Ulrich Wienke auf wikimedia commons)

Für Helmut Schmidt war das Maß voll. Düster vertraute er seinen engsten Mitarbeitern am Abend des 7. September 1982 im Kanzleramt an: „Ich habe diese Wackelpartei satt.“ Wie satt, das konnten Kanzleramtschef Gerhard Konow und Regierungssprecher Klaus Bölling einem Redeentwurf entnehmen, an dem der Kanzler am Wochenende in seinem Haus in Hamburg gefeilt hatte. Er hatte sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, und die Wackelpartei war am 1. Oktober 1982 wieder Regierungspartei, jetzt unter Helmut Kohl.

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Sozialstaat plus Steuerprogression als Treiber der Transformation

Winnetou ja oder nein – beim gegenwärtigen Postkolonialismusdiskurs können BILD-Zeitung und Didi Hallervorden locker mithalten. Wer dieses Niveau überschreiten will, dem kann mit Pikettys neuem Buch geholfen werden, handelt es doch von der Gleichheit und kreist es diesen Begriff negativ ein. Den die Gleichheit hintertreibenden Mächten spürt das Buch nach, in der Geschichte und in der Gegenwart. Wobei sein Grundtenor ein optimistischer ist. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, mit der Französischen Revolution also, ist die Tendenz, überkommene Ungleichheit aufzuheben, gesetzt.

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Die Un/Sichtbarkeit von Minderheiten ohne Mutterstaat  

Screenshot: FUEN-Website

Vom 29. September bis zum 2. Oktober findet in Berlin der FUEN-Kongress statt. Das ist die jährliche Zusammenkunft der Vertretungen der meist in mehreren Ländern existierenden Minderheiten Europas. FUEN steht für: Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten. Ihr gehören in 36 Ländern über 100 Minderheiten an.

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Seltsam unaufgeregt: Die Linke und der islamistische Terror

Ob nach der Ermordung von Samuel Paty, dem Attentat auf Salman Rushdie oder dem Tod von Masha Amini, die parteipolitische und außerparlamentarische Linke ist auffallend unaufgeregt. Es ist an der Zeit, die Zurückhaltung im Umgang mit dem politischen Islam aufzugeben. Galt nicht Religionskritik spätestens mit Voltaire einmal als Selbstverständlichkeit?

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Erst der Fußball zeigte uns die toten Gastarbeiter am Persischen Golf

Vorbereitungsspiele der Fußballnationalelf für Katar und der Besuch des Bundeskanzlers in Katar fielen zeitlich zusammen. Der Fußball muss sich für die Weltmeisterschaft in Katar rechtfertigen, während die Wirtschaft, in der Delegation des Kanzlers hochrangig vertreten, seit langem milliardenschwere Verbindungen zum Emirat unterhält. In Katar gibt es keine freien Wahlen und unabhängigen Medien, aber zum Beispiel die drittgrößten Gasreserven weltweit. Homosexuelle müssen mit Verfolgung rechnen, gewerkschaftliche Strukturen werden streng kontrolliert. Gemessen an unseren Traditionen in Westeuropa, gemessen an Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Säkularismus, dürfte es keine WM in Katar geben. Doch es geht nicht nur um unsere Traditionen. Der Weltfußballverband FIFA hat mehr als 200 Mitgliedsverbände. Die meisten von ihnen verbinden mit der WM in Katar Profit, Einschaltquoten, Party. Politische Themen bleiben in vielen Ländern Afrikas oder Asiens im Hintergrund.

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Die eine Wahrheit ist ein Herrschaftsinstrument

Foto: Joel de Vriend auf Unsplash

In der Welt des Spiels ist alles möglich, in der ludischen Realität sprechen die Steine, lachen die Hühner und tanzen die Toten. In der heutigen Welt herrscht große Verwunderung, nicht selten Entsetzen, was andere Menschen für möglich und für wirklich halten. Wie Andere den Gang der Dinge deuten, wie sie die Sachen sehen, was sie wissen, was sie meinen, was sie glauben und was sie zu wissen glauben, darüber erfahren wir dank des Internets sehr viel, mehr als je zuvor. Zu den Folgen gehört, dass wir uns gegenseitig für ziemlich verrückt halten.

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Was heißt pluraler und transformativer Wirtschaftsjournalismus?

Bild: geralt auf Pixabay

Die Krisen unserer Zeit erfordern, den Wirtschaftsjournalismus zu transformieren. Journalist:innen sollten vielfältiger berichten und ihre Arbeit als transformativ verstehen. Führt aber Vielfalt nicht zu „False-Balance“-Situationen? Wie neutral sollen Journalist:innen sein? Und was bedeutet pluraler und transformativer Journalismus ganz konkret für die Praxis? Versuch einer Skizze.

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