Kipppunkte: Dynamiken und Blockaden der Klimapolitik

Die viel beschworene Transformation zur Klimaneutralität ist nicht nur eine technische und wirtschaftliche, sondern auch und nicht zuletzt eine gesellschaftspolitische und soziale Herausforderung. So zwingend der Konsens „der Wissenschaft“ auch sein mag, man sollte die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die ehrgeizigen Klimaziele, wie sie im UN-Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 formuliert sind, in Teilen der Gesellschaft immer noch auf Skepsis, teilweise sogar auf Ablehnung stoßen.

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Wie beim Roulette: Aktienanlagen, solider als Glücksspiele?

Bild: Sem auf wikimedia commons

Wenn von »Casino-Kapitalismus« die Rede ist, geht es meist um die Börse. Insbesondere die hochspekulativen Segmente des Finanzmarkts stehen im Verdacht, reine Glücksspiele zu sein – »gezockt« werde an der Börse wie am Roulettetisch. Die Profis der Geldanlage widersprechen dem vehement: Investitionen in Geldanlagen hätten nichts mit Zufall zu tun, sondern mit sorgfältiger Analyse, mit Weit- und Umsicht. Beides ist nicht ganz richtig. Weder ist der Erfolg bei der Anlage halbwegs verlässlich planbar, noch ist er reine Glückssache. Die Unsicherheit im Kapitalismus – nicht nur am Finanzmarkt – resultiert weniger aus den Launen des Zufalls, sondern wesentlich aus der Konkurrenz. Vier Gedanken zu Spiel und Spekulation.

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Wirtschaft und Gerechtigkeit, auf ewig geteilt?

Foto: Daniel Helpiansky auf Unsplash

Noch vor wenigen Jahren war es ein altes Eisenbahndepot an der Westseite New Yorks. Heute ragen dort Wolkenkratzer empor, die wie gigantische spiegelnde Glasscherben aus Manhattans Skyline ragen. Hudson Yards gilt mit einem Areal von elf Hektar und einem Investment von 25 Milliarden Dollar als das größte private Immobilienprojekt Nordamerikas. In der Shopping Mall finden sich Marken wie Rolex, Cartier, Dior, Fendi, nebenan sind die Büros von WarnerMedia, Boston Consulting, L’Oréal und des deutschen Softwarekonzerns SAP. Wer eines der Penthouse-Apartments mieten will, zahlt bis zu 70.000 Dollar monatlich. Für Stephen Ross, dem Immobilienmogul hinter dem Projekt, sind die Hudson Yards das neue Herz von New York, wie es auf der Webseite seines Unternehmens heißt. Für Kritiker:innen ist es ein monumentales Symbol des Spätkapitalismus und steht für alles, was falsch läuft in unserem System. In der Mitte hat Ross The Vessel – das Gefäß – bauen lassen, eine 16 Stockwerke hohe begehbare Skulptur, die Spötter wegen ihrer Form den Papierkorb getauft haben. Mit seinen 154 Treppen, die nirgendwo hinführten, sei das Vessel eine Metapher für Arbeit ohne Sinn, schrieb die Architekturkritikerin Kate Wagner (2019). Unter dem Vorwand, in den öffentlichen Raum zu investieren, verberge das leere ‘Gefäß’, so Wagner in ihrem Verriss, nur sehr fadenscheinig die Intention, “Luxusvermögenswerte für die kriminell Wohlhabenden” zu schaffen.

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„Ich habe diese Wackelpartei satt“

Bundestagswahl 5. Oktober 1980: Party der Wahlsieger im Bundeskanzleramt, Unionskandidat Franz-Josef Strauß unterlag (Foto: Ulrich Wienke auf wikimedia commons)

Für Helmut Schmidt war das Maß voll. Düster vertraute er seinen engsten Mitarbeitern am Abend des 7. September 1982 im Kanzleramt an: „Ich habe diese Wackelpartei satt.“ Wie satt, das konnten Kanzleramtschef Gerhard Konow und Regierungssprecher Klaus Bölling einem Redeentwurf entnehmen, an dem der Kanzler am Wochenende in seinem Haus in Hamburg gefeilt hatte. Er hatte sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, und die Wackelpartei war am 1. Oktober 1982 wieder Regierungspartei, jetzt unter Helmut Kohl.

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Sozialstaat plus Steuerprogression als Treiber der Transformation

Winnetou ja oder nein – beim gegenwärtigen Postkolonialismusdiskurs können BILD-Zeitung und Didi Hallervorden locker mithalten. Wer dieses Niveau überschreiten will, dem kann mit Pikettys neuem Buch geholfen werden, handelt es doch von der Gleichheit und kreist es diesen Begriff negativ ein. Den die Gleichheit hintertreibenden Mächten spürt das Buch nach, in der Geschichte und in der Gegenwart. Wobei sein Grundtenor ein optimistischer ist. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, mit der Französischen Revolution also, ist die Tendenz, überkommene Ungleichheit aufzuheben, gesetzt.

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Die Un/Sichtbarkeit von Minderheiten ohne Mutterstaat  

Screenshot: FUEN-Website

Vom 29. September bis zum 2. Oktober findet in Berlin der FUEN-Kongress statt. Das ist die jährliche Zusammenkunft der Vertretungen der meist in mehreren Ländern existierenden Minderheiten Europas. FUEN steht für: Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten. Ihr gehören in 36 Ländern über 100 Minderheiten an.

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Seltsam unaufgeregt: Die Linke und der islamistische Terror

Ob nach der Ermordung von Samuel Paty, dem Attentat auf Salman Rushdie oder dem Tod von Masha Amini, die parteipolitische und außerparlamentarische Linke ist auffallend unaufgeregt. Es ist an der Zeit, die Zurückhaltung im Umgang mit dem politischen Islam aufzugeben. Galt nicht Religionskritik spätestens mit Voltaire einmal als Selbstverständlichkeit?

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Erst der Fußball zeigte uns die toten Gastarbeiter am Persischen Golf

Vorbereitungsspiele der Fußballnationalelf für Katar und der Besuch des Bundeskanzlers in Katar fielen zeitlich zusammen. Der Fußball muss sich für die Weltmeisterschaft in Katar rechtfertigen, während die Wirtschaft, in der Delegation des Kanzlers hochrangig vertreten, seit langem milliardenschwere Verbindungen zum Emirat unterhält. In Katar gibt es keine freien Wahlen und unabhängigen Medien, aber zum Beispiel die drittgrößten Gasreserven weltweit. Homosexuelle müssen mit Verfolgung rechnen, gewerkschaftliche Strukturen werden streng kontrolliert. Gemessen an unseren Traditionen in Westeuropa, gemessen an Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Säkularismus, dürfte es keine WM in Katar geben. Doch es geht nicht nur um unsere Traditionen. Der Weltfußballverband FIFA hat mehr als 200 Mitgliedsverbände. Die meisten von ihnen verbinden mit der WM in Katar Profit, Einschaltquoten, Party. Politische Themen bleiben in vielen Ländern Afrikas oder Asiens im Hintergrund.

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Die eine Wahrheit ist ein Herrschaftsinstrument

Foto: Joel de Vriend auf Unsplash

In der Welt des Spiels ist alles möglich, in der ludischen Realität sprechen die Steine, lachen die Hühner und tanzen die Toten. In der heutigen Welt herrscht große Verwunderung, nicht selten Entsetzen, was andere Menschen für möglich und für wirklich halten. Wie Andere den Gang der Dinge deuten, wie sie die Sachen sehen, was sie wissen, was sie meinen, was sie glauben und was sie zu wissen glauben, darüber erfahren wir dank des Internets sehr viel, mehr als je zuvor. Zu den Folgen gehört, dass wir uns gegenseitig für ziemlich verrückt halten.

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Was heißt pluraler und transformativer Wirtschaftsjournalismus?

Bild: geralt auf Pixabay

Die Krisen unserer Zeit erfordern, den Wirtschaftsjournalismus zu transformieren. Journalist:innen sollten vielfältiger berichten und ihre Arbeit als transformativ verstehen. Führt aber Vielfalt nicht zu „False-Balance“-Situationen? Wie neutral sollen Journalist:innen sein? Und was bedeutet pluraler und transformativer Journalismus ganz konkret für die Praxis? Versuch einer Skizze.

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UNO: Unterschlagene Wirklichkeiten und das Veto als Waffe

UNO-Architektur (Foto: Jörg Perter auf Pixabay)

Wer den ersten 35 RednerInnen bei der am Dienstag eröffneten UNO-Generalversammlung in New York zuhörte, konnte meinen, die 33 Männer und zwei Frauen lebten in verschiedenen Welten. Bei den Auftritten von Bundeskanzler Olaf Scholz und anderer Regierungschefs aus den Mitgliedsländern von NATO und EU sowie mit ihnen verbündeter Staaten wie Japan oder der Schweiz war Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine das beherrschende Thema. Andere aktuelle Kriege – etwa im Jemen oder in den vom NATO-Mitglied Türkei bekämpften Kurdengebieten in Syrien und im Irak – kamen in diesen Reden überhaupt nicht zur Sprache. Die vor allem den globalen Süden betreffenden Krisen,  Katastrophen und Bedrohungen wie Hunger, Klimawandel, gestiegene Energiepreise, Umweltzerstörung und die Folgen der Corona-Pandemie wurden, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.

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Revolutionäre Konservative

Offiziell verkündete heute, Mittwoch, 21. September 2022, der grüne Wirtschaftsminister der blaßrot-rosagrün-liberalen Bundesregierung, der Energiekonzern Uniper werde verstaatlicht. Alexander Dobrindt, Vorsitzender der rechtsorientierten CSU-Landesgruppe, wettert. Nicht gegen die Verstaatlichung, sondern gegen den unfähigen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck, verstaatliche er doch Uniper erst heute, nicht bereits im Juni, spätestens Juli!

Und vor wenigen Wochen auch noch das: Der konservative Deutsche Beamtenbund (DBB) ließ, wie in den letzten Jahren, auch diesen Sommer die Bürger und Bürgerinnen repräsentativ ausgewählt fragen, was sie vom öffentlichen Dienst halten. Das Ergebnis 2022: Nur noch 29 Prozent der Bürger meinen, der Staat könne seine Aufgaben erfüllen — zwei Drittel halten ihn für „überfordert“. Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beamtenbundes, sagt: Jetzt sei das „Kind endgültig in den Brunnen gefallen“. Denn: In den beiden Vorjahren hatten noch 45 (2021) und 56 Prozent (2020) Vertrauen, dass der Staat seine Aufgaben, ob Schutz des Klimas oder der sozialen Gerechtigkeit erfüllen könne. Und was fordert Silberbach, der Vorsitzende aller deutschen konservativen Beamten und natürlich auch Beamtinnen und diversen Beamt:innen? Er fordert: 360.000 zusätzliche Stellen für den öffentlichen Dienst, damit er für Krisen besser als bisher gewappnet sei. Mit anderen Worten: Der Staat muss richtig stark werden. Und wer trägt die Verantwortung für die Misere? Silberbach: Die vergangenen Regierungen hätten den öffentlichen Dienst „kaputt- und krankgespart“. Damit kann er nur die damals inner- und außerhalb von FDP und CDU/CSU amtierenden Marktradikalen meinen.

Verstaatlichungen, starker Staat, die Politik der Marktradikalen heftig kritisieren — das Programm von CSU und deutschem Beamtenbund. Sagte da jemand, etwa Frau Wagenknecht, die Linke sei heute unentbehrlicher denn je?

Plädoyer für den guten Ruf des Zorns

Foto: Sander Sammy auf Unsplash

Der Zorn hat keinen guten Ruf. Wenn bis vor kurzem davon die Rede war, erweckte das Wort in uns allenfalls antiquierte Assoziationen wie den »Zorn Gottes« oder wir haben das Wort im Sinn von Jähzorn gebraucht, einer Unbeherrschtheit, die wir allenfalls widerspenstigen Kindern zubilligen. Zu beobachten ist: wo es zu individuellen und kollektiven Zornesausbrüchen kommt, treten häufig Begriffe wie Wut und Empörung an die Stelle des Zorns. Wut und Empörung – so etwas wie die mutlosen Schwestern des Zorns?

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Vom Tahrir Platz bis zum Zuccotti Park: Platzproteste zehn Jahre danach

Die Namen haben sich ins Gedächtnis eingegraben: Tahrir, Gezi, Syntagma, Zuccotti oder Majdan. Zwischen 2011 und 2014 besetzten erst kleinere, dann immer größere Gruppen von Menschen zentrale, öffentliche Plätze und protestierten gegen korrupte Machthaber und kriminelle Banker, gegen gefälschte Wahlen, für demokratische Beteiligung, Brot und Würde. Gerade ein Jahrzehnt ist dieser oft als „Siegeszug der Demokratisierung“ gefeierte Aufbruch, im Nahen Osten auch „arabischer Frühling“ genannt, her. Ist etwas geblieben? Gibt es ein Nachleben oder eher ein autoritäres und gewaltsames Nachbeben, in dem Militärs und Diktatoren jede demokratische Bewegung ersticken?

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Stürzte Helmut Schmidt über einen Heiermann?  

20. April 1982, SPD-Parteitag in der Olympiahalle in München
(Foto: Harald Hoffmann auf wikimedia commons)

Am Samstag den 17. September jährt sich zum vierzigsten Mal der Tag, an dem eine rein sozialdemokratische Bundesregierung in Deutschland regierte. Das gab es vorher noch nie. Anschließend auch nicht. Es war eine kurze Regierungszeit, nämlich bis sich am 1. Oktober 1982 offiziell und im Parlament eine Mehrheit um den neuen Bundeskanzler Helmut Kohl geschart hatte. Aber immerhin: ein rein sozialdemokratisches Kabinett. Also ein Kabinett aus lauter Köchen ohne Kellner.

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