Inklusion statt Aussonderung, Mobbing und Stigmatisierung

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Diese Schule steht für ein reformpädagogisches Konzept von Inklusion. Ihr langjähriger Leiter blickt im Interview mit Thomas Gesterkamp zurück auf zähe politische Auseinandersetzungen. Reinhard Stähling leitete zwei Jahrzehnte lang die heutige Primus-Schule Berg Fidel-Geist in Münster. Sie liegt in einem von Hochhäusern und Einwanderung geprägten Ortsteil im Süden der ansonsten sehr bürgerlich geprägten westfälischen Großstadt. Der in den Kinos erfolgreiche Dokumentarfilm Berg Fidel – Eine Schule für alle stellte vor gut zehn Jahren das wegweisende inklusive Schulkonzept vor. Den Begriff “Inklusion” interpretiert das reformpädagogisch orientierte Team sehr weitreichend: Neben Kindern mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen schließt es durch Krieg, Flucht und Armut Traumatisierte explizit mit ein. Viele stammen aus Roma-Familien und leben in den Unterkünften der Nachbarschaft.

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Jens Spahn – unfähig oder berechnend

Foto:Olaf Kosinsky auf wikimedia commons

Das Desaster um die RichterInnen-Wahl hat an der Oberfläche eine politisch-handwerkliche Dimension und darunter eine tiefgreifende, die daran erinnert, dass diese Republik überraschend schnell vor tektonischen Verschiebungen stehen kann.
Wie die aktuellen Medien und die PolitikerInnen in ihren ersten Stellungnahmen kann man/frau sich auf das Handwerkliche konzentrieren: „Das geht auf die Kappe von Unionsfraktionschef Jens Spahn. Der Ärger wäre vermeidbar gewesen“, kommentiert Der Spiegel. Aus einer solchen Beschreibung leitet sich die berechtigte Frage ab: Jens Spahn ist erfahren und intelligent. Wenn dieser Ärger – Ärger? Auf die Idee, einen Tabubruch so zu verharmlosen, auf die muss man erst einmal kommen – vermeidbar gewesen wäre, warum hat Spahn ihn nicht vermieden?

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Männer – kollektiv privilegiert, persönlich unsicher

Die Soziologin Sylka Scholz legt eine Bestandsaufnahme der Männlichkeitsforschung vor. Ein Schwerpunkt sind die Verbindungslinien zu Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Als Lehrbuch konzipiert, bietet es anregendes Material zur Geschichte eines unterbelichteten Fachgebiets. Analysiert werden zunächst Schlüsselbegriffe wie hegemoniale Männlichkeit, männlicher Habitus und männliche Sozialisation. Scholz liefert einen Überblick über die wichtigsten Bereiche der Konstruktion von Männlichkeiten wie Erwerbsarbeit, Vaterschaft, Paarbeziehung, Migration und Rechtspopulismus. Auch neuere alternative Ansätze wie Queer- und Transtheorien hat die Autorin eingearbeitet.

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Der Fernsehkrimi als autoritäre Mustererzählung

Bild: kalhh auf Pixabay

Eine Frage geistert, seit ich diese Kolumne zu den Fernsehkrimis verfasse, durch alle Texte, ohne dass sie einmal klar ausgesprochen wurde: Wie kommt es dazu, dass ein Genre wie der Kriminalfilm, der in Deutschland lange keine Anerkennung fand, das Fernsehangebot in Deutschland so dominiert? Gemeint sind damit vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender mit dem Ersten Programm der ARD und dem ZDF; aber ähnliches lässt sich auch über das wesentlich kleinere Angebot im Fictionbereich der privaten Sender sagen. Hier der erste Versuch, der eine vielleicht überraschende Antwort in der politischen Gegenwart findet.

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Kaderschmiede für das Klima

Sie ist die politische Kaderschmiede in unserem Nachbarland Frankreich: Sciences Po in Paris. Kaum ein Präsident, kaum ein Premier oder eine Ministerin hat nicht in dieser Einrichtung studiert, Verbindungen für die weiteren politischen Karrieren und das (häufig auch private) Leben geknüpft. Jetzt schlägt diese Kaderschmiede eine völlig neue Richtung ein: Sie gründete die „Paris Climate School“, in der vom kommenden Jahr an 50 bis 100 Studentinnen und Studenten in einem Masterstudiengang zu künftigen Klima-Entscheidern in der Politik, den Unternehmen, der Gesellschaft theoretisch und praktisch ausgebildet werden sollen.
Die Unterrichtssprache ist in dieser französisch geprägten und traditionsreichen Kaderschmiede zu „hundert Prozent Englisch“, wie der Direktor Luis Vassy bei der Vorstellung dieses ehrgeizigen, im europäischen Raum einmaligen Projekts betonte („Die erste europäische Schule, die sich dem ökologischen Wandel widmet“). Bewerben können sich nicht nur französische Studierende mit einem Bachelor aus den „harten“ Wissenschaften wie den Ingenieurwissenschaften, sondern auch aus „weichen“ Studiengängen der Sozialwissenschaften oder des (Betriebs-)Management. Kosten soll dieser Masterstudiengang je nach Finanzlage der Bewerberschar und des Stipendienfonds von Sciences Po zwischen Null und 20 000 Euro, „Nur 20 Prozent der Studenten bezahlen den höchsten Preis“, unterstrich Luis Vassy (Le Monde vom 5. Juli).
Das Ziel, das sich das Wissenschaftliche Komitee der „Paris Climate School“ gesteckt hat, ist ambitioniert. Von der Landwirtschaft bis zu den Unternehmen, der Politik und der Gesellschaft sind die Widerstände gegen eine engagierte und durchgreifende Klima-und Umweltpolitik spürbar: Die massive und teilweise gewalttätige Bewegung der „Gelbwesten“ gehörte in Frankreich ebenso dazu wie die entschiedene Ablehnung der erneuerbaren Energien (Windräder zum Beispiel) durch den rechtsextremen Rassemblement National. „Wir wollen verstehen lernen, wo und warum die Blockaden entstehen,“ erklärte die Soziologin und Direktorin des Wissenschaftlichen Komitees, Sophie Dubuisson-Quellier. Eine erste Spende von einer halben Million Euro für den Stipendienfonds kam bereits von Natixis, einem weltweiten Investment Manager für die Energiewende und grüne Unternehmen. Sponsoren braucht Sciences Po, denn die Kaderschmiede stoppte vor drei Jahren die Partnerschaft mit dem Erdöl-und Gasriesen TotalEnergies.

Gemeinsame Sicherheit oder keine

Helsinki,1. August 1975, „gute alte Zeit“?
US-Präsident Gerald R. Ford und der sowjetische Generalsekretär Leonid Breschnew prosten sich zu nach der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)
(Foto: Unbekannt auf wikimedia commons)

„Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“ – ob das die neue deutsche und europäische Sicherheitspolitik sei, fragt Gernot Erler kritisch im Interview mit Wolfgang Storz und plädiert für „eine neue Generation von ‚Gemeinsamer Sicherheit'“. Erler war rund 20 Jahre lang einer der einflussreichsten Außen- und Sicherheitspolitiker der SPD. „Endlich wieder aufrüsten“ für einen Krieg mit Russland könne nicht das politische Ziel sein, sagt er heute. „Anstrengungen zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit, begleitet von Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie von politischen Verständigungsbemühungen, verdienen Unterstützung.“

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Neoliberalismus als Wahrheitselixier und das faszinierende Monstrum Geschichte

Der Studierendenrat der TU Dresden (StuRa) hatte Ilse Bindseil eingeladen, im Mai 2025 einen Termin der Ringvorlesung „Geschichte ohne Subjekt, Subjekt ohne Geschichte“ zu bestreiten.

Zur Einstimmung: Die Geschichte hält keine Lehren bereit. Nur indem ich darauf verzichte, von ihr bedient zu werden, kann ich von ihr lernen. Aus der Geschichte lernen, wie die Formel lautet, heißt nicht, die Fehler, die einmal gemacht wurden, beim nächsten Mal vermeiden. Es heißt vielmehr, sich als Bestandteil der Geschichte zu begreifen. Also: Nicht um Reflexion eines geschichtlichen Zusammenhangs geht es mir, sondern um Selbstreflexion. Den Vorbehalt aufzugeben, der einen Spielraum suggeriert, den es so gar nicht gibt, den scheinhaften Zwischenraum zwischen mir und der Geschichte zu zertrümmern, in dem sich Besserwisserei, Schuldlosigkeit oder eine unverbrüchliche Hoffnung auf Fortschritt eingenistet haben, darauf kommt es mir an. Aufgeregt und angeregt durch die Erfahrung von Ohnmacht und Auflösung, die der Neoliberalismus dem aufgeklärten Subjekt zumutet, möchte ich zeigen, dass das Subjekt nur in der Abspaltung existiert, in den Illusionen, die es sich über seine Rolle als geschichtliches Subjekt und Denker der Geschichte macht.

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Keine Angst vor Metaphysik!

Karl Heinz Haag (Foto: privat)

Als „Metaphysiker aus Frankfurt-Höchst“ apostrophierte ihn die FAZ, als „Der Eremit“ Jörg Später in seinem Band zu „Adornos Erben“. 2024 wäre der Frankfurter Philosoph Karl Heinz Haag 100 Jahre alt geworden. Es war eine Frankfurter Karriere, die Haag durchlief, mit Studium an der philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen, Aufbaustudium und Promotion bei Horkheimer an der Goethe-Universität, wo er dann auch habilitierte und als außerordentlicher Professor wirkte. Er gehörte zum engeren Kreis der kritischen Theorie, war von Horkheimer und Adorno hochgeschätzt und hinterließ als philosophischer Lehrer bei vielen seiner Schüler bleibenden Eindruck. Obwohl zeitweise als Nachfolger des 1969 überraschend verstorbenen Adorno gehandelt, verließ Haag 1971 die Universität, verzichtete auf Stellung und Beamtenansprüche und zog sich nach Frankfurt-Höchst zurück, um fortan von den bescheidenen Mieterträgen seines geerbten Elternhauses zu leben und als Privatgelehrter weiter an seinen Themen zu arbeiten. Die sich damals zunehmend zum Massenbetrieb entwickelnde Universität erschien ihm für ernsthaftes philosophisches Arbeiten nicht mehr der richtige Ort zu sein.

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Von der Schwierigkeit, Dämme in fließende Übergänge zu bauen

Screenshot: Website des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig

Wo soll für weitrechte Polit-Organisationen das Recht auf demokratische Teilhabe enden? Damals wie heute liefern Faschisten Beweise reihenweise, dass sie nur deshalb vorher wie alle anderen behandelt werden wollen, damit sie nachher an der Macht, um das wenigste zu sagen, alle anderen misshandeln können. Trotzdem war es stets kontrovers und wird es immer sein, ob demokratische Freiheiten ausüben können soll, wer die politische Demokratie beseitigen und Freiheitsrechte abschaffen will. Urteilsschelte anlässlich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu „Compact“ führt nicht weiter. Wer weiß schon, wo in fließenden Übergängen Dämme gebaut werden sollen. Eine Antwort ist die parlamentarische Brandmauer, ihre Bestandsgefährdung fällt unter die hier aufgerufene Thematik.

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Israelische Hybris – Krieg bis zum ultimativen Sieg

24. Juli 2024: Benjamin Netanyahu spricht vor dem 118. Kongress der Vereinigten Staaten: “For the forces of civilization to triumph, America and Israel must stand together. Because when we stand together, something very simple happens: we win, they lose.”
(Foto: Office of Speaker Mike Johnson auf wikimedia commons)

Israel hat die Armeen seiner Gegner pulverisiert. Was davon noch übrig ist, hat nicht den Hauch einer Chance, Israel ernsthaft zu bedrohen. Der grandiose Sieg dürfte diejenigen bestätigen, die glauben, Israels Zukunft am besten mit militärischer Gewalt statt durch Völkerrecht, Verhandlungen, Kompromisse und einen eigenen Staat für das palästinensische Volk dauerhaft sichern zu können. Aber jeder Siegfrieden, jede gewaltsame Unterdrückung trägt den Keim des Widerstands in sich.

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Ein Panoptikum des Trotzes

Bild: Vilkass auf Pixabay

Mit Trotz verbindet man störrischen Eigensinn, törichte Sturheit, renitente Querulanz. Ein Trotzkopf ist, wer – womöglich gegen bessere Einsicht – an etwas Unvernünftigem, ja Schädlichem festhält. Ein nervender Quälgeist eben, dem nur schwer beizukommen ist. Ein Trotzkopf, der schnell als »kindisch«, »pubertär« und »infantil« charakterisiert wird. Doch wer trotzig auf seiner Sache beharrt, sich fremdbestimmter Autorität widersetzt, findet durchaus auch unsere Anerkennung und Bewunderung, denn der Trotzige beweist Standfestigkeit, Rückgrat und Mut. Ein neues Buch rehabilitiert diese besondere Form des Eigensinns: klug und erhellend. Unbedingt lesenswert.

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Warum kennt ihr mich nicht? Frauen im Widerstand

Wenig Text und verschwommene Bilder – das entspricht der Erinnerung an und dem Wissen über Frauen des Widerstands. Seit einigen Jahren haben widerständige Frauen zwar mehr Beachtung gefunden, einige Namen sind bekannt, es gibt sogar ein paar Plaketten und Stolpersteine. Ernst Vollands Dokumentation gibt den Frauen im Widerstand ein Gesicht. Er schreibt dazu: „An diesem Projekt arbeite ich inzwischen seit über drei Jahren. Ich habe es bereits drei Mal bei Kulturförderungen professionell eingereicht. Jedes Mal bin ich abgelehnt worden.“

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Der Metaller lernte erstmal Bäcker

Tarifkampf-Kontrahenten 1971: Willi Bleicher (l.), IG Metall, und Hanns Martin Schleyer (r.), der 1973 zum Arbeitgeberpräsidenten gewählt, 1977 von der RAF entführt und ermordet wurde, mit Moderator Klaus Ullrich im SDR-Studio. (Foto: SDR/Sammlung Abmayr)

Der in Bad Cannstatt geborene Willi Bleicher war eine der prägenden Figuren der deutschen Gewerkschaftsbewegung nach dem Krieg. In einem großen Dokumentenband präsentiert der Journalist und Bleicher-Biograf Hermann G. Abmayr nun ein Nachschlagewerk, das neue und unerwartete Einsichten bietet. „Bleicher war eine Figur mit Ecken und Kanten, ein schwäbischer Dickkopf, der viele Blessuren erlitt, aber immer wieder aufgestanden ist. Und der bei allen Fehlern aber immer authentisch blieb“, sagt Abmayr.

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Blühende Geschäfte mit atomarem Overkill

Bild: GDJ auf Pixabay

Die Atommächte horten Nuklearwaffen mit einer Sprengkraft von rund 146.000 Hiroshima-Atombomben. Und rüsten weiter auf. In ihrem aktuellen Bericht „Hidden Costs: Nuclear Weapons Spending in 2024“ schätzt die «Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen» (Ican), wie viel Geld die neun Atomwaffen-Staaten allein im Jahr 2024 für Atomwaffen ausgegeben haben: rund 190.000 Dollar pro Minute bzw. 274 Millionen pro Tag. Im Jahr 2021 waren es 138.700 Dollar pro Minute (Infosperber berichtete).

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Was ist ein „gerechter Krieg“ (II): Kosovo, Afghanistan, Irak und kein Ende

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die us-amerikanische Aggression gegen Demokratie und Rechtsstaat, die Eskalationen des Nahostkonflikts – Haltepunkte und Orientierungslinien zivilisierten Zusammenlebens befinden sich in globaler Auflösung wie lange nicht. Ludger Volmers Reflexionen, die Bruchstücke in zwei Teilen veröffentlicht (Teil I: Über humanitäre Normen und inhumane Realitäten), wollen für den politischen Diskurs Ankerpunkte einer Friedenspolitik in globaler Verantwortung fixieren. (at)

Wo rangieren in der Systematik von Legalität, Legitimität und Effizienz die „nationalen Interessen“? Sie stehen nicht darüber, sondern haben sich einzuordnen. Nationale Interessen sind dem Legalitätsprinzip unterworfen; sie können einen Aspekt von Legitimität ausmachen; sie geben nicht die geringste Auskunft über die Effizienz einer Intervention. Im Folgenden nun sollen beispielhaft einige Interventionen bewertet werden. Dabei wird historisches Wissen über Hintergründe und Verlauf der Ereignisse weitgehend vorausgesetzt.

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bruchstücke