Recht(s) viel Auswahl

Wer die Kommunalwahlen am 26. Mai in Thüringen nur über die Schlagzeilen überregionaler Medien verfolgt hat, wird meinen, dass der “Durchmarsch” der AfD “vorerst ausgeblieben ist”, und Demokratinnen und Demokraten Ämter und Parlamente nun unter sich aufteilen. Eine “Blaue Delle” für die AfD also? Von wegen. Ihr Ergebnis bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 2019 konnte die Partei von 17,7 auf nun 25,8 Prozent kräftig ausbauen. Dass die Gewinne der extrem rechten Partei(en) in der Berichterstattung untergehen, zeigt, wie selbstverständlich sich die AfD als etablierte Kraft im Parteiensystem behauptet. Es ist ein schlechter Auftakt ins deutsche Superwahljahr – anders, als das weithin vernehmbare Aufatmen suggeriert. 

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Ein Buch wie eine Klatsche auf die Nase

Paul Lendvai auf der Wiener Buchmesse 2019
(Foto: C.Stadler/Bwag auf wikimedia commons)

Der österreichische Publizist Paul Lendvai hat kürzlich im Paul Zsolnay Verlag ein Buch mit dem Titel „Über die Heuchelei“ vorgelegt. Die 190 Seiten wirken wie ein Bekenntnis, auch wie eine Warnung. Als rufe Lendvai uns zu: Was habt ihr da gemacht! Was habt ihr zugelassen! Warum habt ihr nicht besser Acht gegeben? Habt ihr Regierungsmitglieder, Staatschefs, Chefredakteure, Intendanten  und Wirtschaftsleute Europas nicht begriffen, wes Geistes Kind die Putins, Orbans, Vucics und andere sind?

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„Je ne peux pas accepter tout.“ Milliardäre und ihre Massenmedien

Bild: bykst auf wikimedia commons)

Bekanntlich ist das französische Medienwesen (Privatfernsehen, Zeitungen, Zeitschriften) fest im Griff einer knappen Handvoll von Milliardären. „Fest“ ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen. Denn diese kleine Besitzeroligarchie scheut sich nicht, direkt und persönlich auch in die laufenden Geschäfte sowie in die Politik und personelle Zusammensetzung der Redaktionen der Medienbetriebe einzugreifen, die ihnen gehören. Der jüngste Skandal dreht sich um den renommierten Verlag Fayard.

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AfD und der populistische Moment

Heute wird intensiv bis geschwätzig – Gutachten, Wahlanalysen, Bücher jagen einander – und bedingt erfolgreich gestritten, was Rechtspopulismus ist, woher er kommt, wohin er geht und so weiter. Es wird gerne immer wieder ganz von vorne angefangen. Zitat: „Der Geist steht … rechts. Stärker noch in Frankreich und in den USA als in der Bundesrepublik sind alle die politische Identität entwickelter kapitalistischer Gesellschaften betreffenden Streitfragen von konservativen beziehungsweise neokonservativen Ideologien `besetzt`. Gegen diese Art der kulturellen Hegemonie ist dieses Buch gerichtet.“ Das Suhrkamp-Büchlein, 136 Seiten, mit diesem Rückseiten-Text — ist wann erschienen? Vor zwei Monaten, einem? Richtig: vor 34 Jahren.

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Wäre Mönchengladbach auf Sylt…

Foto: Fyrtaam auf wikimedia commons

Die Jahresberichte der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen: Rund ein Drittel der Anfragen zu und der Fälle insgesamt fallen unter die Rubrik Diskriminierung wegen einer Behinderung. Das sind etwa 2000 „Fälle“, wie man sagt. Die Dunkelziffer ist nach Ansicht der Fachleute der Lebenshilfe hoch. “Euthanasie ist die Lösung” stand auf dem Stein, der auf eine Wohneinrichtung der Lebenshilfe Mönchengladbach geworfen wurde.  Anders als das blau-braune Sylt-Gegröle fand der Anschlag wenig öffentliche Aufmerksamkeit.

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Gesucht wird die humane Hinrichtung

Bild: anvel auf Pixabay

In ihrem aktuellen Jahresbericht über die weltweite Anwendung der Todesstrafe informiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International darüber, dass 2023 mindestens 1153 Menschen gerichtlich hingerichtet wurden, die höchste Zahl seit 2015. Fast dreiviertel dieser Todesstrafen wurden im Iran vollzogen. Im Jahr 2024 sind in den USA bereits vier Todesurteile vollstreckt worden. Erstmals wird auch mit Stickstoff getötet. Das ist die aktuelle „Innovation“ bei den Exekutionen. Gesucht wird die „menschliche“ Hinrichtung.

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Über Demokraten, Bürokraten und Dilettanten

Bild:bluebudgie auf Pixabay

Gehört es zu den selbstverständlichen Paradoxien unserer Zeit, dass eine Partei wie die FDP sich als Opposition gegenüber einer Regierung verhält, in der sie selbst Verantwortung trägt? Immerhin bildet sie seit dem 8. Dezember 2021 zusammen mit SPD und Grünen eine Regierungskoalition und entscheidet maßgeblich darüber mit, was Gesetz wird und was nicht. Ein durchschlagskräftigeres mediales Pfund lässt sich kaum erfinden, als wenn Politiker:innen in Regierungsverantwortung gegen sich selbst Beschlüsse fassen. Ein Paradoxon wie dieses bildet eine ideale Voraussetzung für öffentliche Aufmerksamkeit. Dies wird einer der Gründe gewesen sein, warum das FDP-Präsidium der Parteitagsbasis die „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ vom 22. April 2024 vorgelegt hat. Da zwölf Punkte viele sind, muss der erste Punkt sitzen. Die FDP will ein „Jahresbürokratieabbaugesetz einführen“.

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Der Doppelcharakter des Grundeinkommens

Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? „Wir Roboter entlasten gerne die Menschen, damit sie sich mehr um die zwischenmenschliche und innovative Arbeit kümmern können. Wir wollen ihnen aber nicht die Einkommensplätze wegnehmen. Deswegen fordern wir ein bedingungsloses Grundeinkommen für euch Menschen.
(Foto: Generation Grundeinkommen, Zürich 2016 auf wikimedia commons)

Ein garantiertes soziales Grundeinkommen zur Abwendung von Notlagen ist in Deutschland als Sozialhilfe, als Arbeitslosengeld II bzw. neuerdings Bürgergeld oder als Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit als fester Bestandteil der sozialen Daseinsvorsorge etabliert. Es gibt Debatten über die Höhe, die Gestaltung und die Konditionalität des sozialen Grundeinkommens. Aber dass man so etwas in einer entwickelten Gesellschaft braucht, ist unumstritten. Das ist nicht überall so.

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Mit wem koaliert die CDU zuerst: mit Linkspartei oder AfD?

Ist die neue Position der CDU zu Islam, Asylrecht und Gendern ein Angebot, über das sich die AfD nur freuen kann — oder ist es „Quatsch“, dies zu behaupten? Moderiert von Wolfgang Storz debattieren Klaus Lang, Gewerkschaftsstratege und Publizist, und Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber an der Universität Kassel. Gemeinsamer Ausgangspunkt: Deutschlands demokratische Zukunft entscheidet sich insbesondere auch daran, ob eine konservative Partei wie die CDU den Verführungen des (international erstarkenden) Rechtsextremismus nachgibt oder Menschenrechte und Bürgerfreiheiten, Rechts- und Sozialstaat verteidigt.

Hoffen auf unvorhergesehene Wendungen

Das Schlechteste, was nach der Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die spanische, die norwegische, die irische Regierung und andere Regierungen geschehen kann, das ist allgemeines Triumphgeheul einschlägig Verdächtiger.
Das Beste, was nun geschehen kann, das ist die Freilassung der von Hamas-Terroristen geraubten, verschleppten Geiseln und in der Folge so etwas wie eine wiedereinsetzende Gesprächsbereitschaft über Lösungen für das vielfach verflochtene Konfliktbündel in Palästina. Da kommt es auch – nicht zuletzt – auf die Sprache hier bei uns an. Vom Willy-Brandt-Kreis war in einer Erklärung zu lesen, es handele sich um einen Konflikt zwischen „Israel und Palästina“. Das ist falsch. Und es weckt den Verdacht auf eine unbillige Parteinahme gegen die Menschen in Israel. Darauf kann man gut verzichten.

Es wird nicht möglich sein, sich aus dem Konfliktbündel hinaus zu schleichen – so wie Mensch sich aus dem Gebrauch von Opioiden nach einer Krankheit hinausschleichen kann. Es wird um harte, umstrittene, mit neu-alten Konflikten beladene Gespräche und Entscheidungen gehen. Das wird nicht mit einer israelischen Regierung gehen, die auf ultrarechte, nationalistische, politisch extremistische Kräfte angewiesen ist. Es wird auch nicht gehen ohne eine klare, völkerrechtlich eindeutige und eben nicht irgendwie gedruckste Erklärung des Parlaments der palästinensischen Autonomie-Verwaltung zum Existenzrecht Israels. Die Hamas-Führung wird das nicht tun.

Es hat seit den Osloer- Verhandlungen vor 31 Jahren immer wieder Anstöße und Versuche gegeben, mit Gesprächen zwischen verfeindeten Kräften voran zu kommen. Es haben – was immer wieder im Gebrüll der Extremisten untergeht – Friedensfreunde und -freundinnen und Lernbereite dabei großen Anteil. In der umkämpften Region gibt es ja eine Merkwürdigkeit: Unvorhergesehen werden Wendungen möglich – so als Ariel Scharon 2004 die israelischen Truppen aus dem Gaza zurückzog. Darauf stützt sich letztlich meine Zuversicht.

Keine Gewinner, nur Verlierer und ganz viel schlechte Stimmung

Motivwagen von Jacques Tilly mit Skulpturen der Drei Affen anlässlich des Jahrestags der Flutkatastrophe im Ahrtal, gesehen in Mayschoß
(Foto, 2022: Palauenc05 auf wikimedia commons)

Extremwettereignisse und Schadensdimensionen nehmen dramatisch zu, in diesen Tagen wird es im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Franken erlebt und erlitten. Nun rächt sich: Das Bauen in Flutgebieten ist bis heute Alltag, Baugenehmigungen auf flutbedrohten Flächen werden en masse erteilt. Politik und Verwaltungen haben viel zu viel zugelassen. Nun will niemand mehr die Kosten übernehmen. Es war eine unscheinbare Abstimmung bei der letzten Bundesratssitzung vor Ostern. Tagesordnungspunkt 11, keine Aussprache, keine Gegenstimmen, und ruckzuck war das Zweite Gesetz zur Änderung des „Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst“ (DWD) abgehakt. Nun darf sich der DWD in Offenbach an die Arbeit machen und ein Naturgefahrenkataster erstellen. Ein Portal, transparent, kostenfrei und für jeden einsehbar, in dem jeder und jede sein persönliches Risiko bemessen kann, nach einem Stark- oder Dauerregen den Keller geflutet zu bekommen oder von jähen Hagelschlägen ereilt zu werden.

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Hauptdarsteller sind die vielen Statist:innen

Berliner Demonstration nach der Ermordung Alexej Nawalnys, 18.2.2024
(Foto: A. Savin auf wikimedia commons)

Nach den Enthüllungen des Recherche-Netzwerkes Correctiv über ein Geheimtreffen von Vertretern der AfD, rechter und rechtsextremer Gruppierungen in Potsdam gingen Anfang des Jahres überall in Deutschland Millionen von Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Doch welcher Voraussetzungen bedarf es, damit soziale Bewegungen, die anfangs meist lediglich eine „kleine kritische Masse“ bilden, gesellschaftliche Mehrheiten für große Ziele mobilisieren können? Dieser Frage geht der Journalist Friedemann Karig in seinem Buch „Was ihr wollt“ nach.

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Ein deutliches antidemokratisches Basisrauschen

Prof. Dr. Berthold Vogel, Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI)

Was folgt auf den Protest gegen den Rechtsradikalismus und gegen die AFD? Wen erreichen die Aufrufe für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine Verteidigung der Demokratie überhaupt (noch)? Seit drei Jahren forschen Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen an elf Instituten und Universitäten in einem Großprojekt über den Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Am Standort Göttingen blicken Berthold Vogel und sein Team auf den ländlichen Raum, vor allem auch in Ostdeutschland, wo die Rechtsextremen stark und die zivilgesellschaftlichen Strukturen eher schwach sind. Jutta Roitsch sprach mit Berthold Vogel.

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Prodemokratische Protestwelle: Anlass zur Hoffnung, kein Durchbruch

Demonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Magdeburger Domplatz, 17. Februar 2024 (Foto: Olaf2 auf wikimedia commons)

Rechtsextremismus und Rassismus haben eine lange und unselige Tradition. In Deutschland und anderswo sind diese Strömungen seit den 1990er Jahren angewachsen und zunehmend aggressiver aufgetreten. In Reaktion darauf wuchs die Sorge politisch wacher, demokratisch gesonnener und handlungsbereiter Teile der deutschen Bevölkerung. Das zeigte sich in den letzten Jahrzehnten bei den Protesten linksradikaler Antifa-Gruppen, aber auch bei stärker bürgerlich geprägten Protesten, die oftmals unter dem Motto „Bunt statt braun“ firmierten. Mit dem Erstarken der AfD, die in relativ kurzer Zeit in derzeit 14 Landesparlamente und in den Bundestag einziehen konnte und gute Aussichten hat, in anstehenden Wahlen weitere Gewinne zu verzeichnen, sind Unbehagen und Unwille über diesen Trend weiter gestiegen. Die gleichsam schwelende Grundstimmung in breiten Kreisen der Bevölkerung fand allerdings zunächst keine kollektive, ortsübergreifende und zündende Ausdrucksform.

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