Der „Treueid“ von 1933

Wappen des Erzbistums Paderborn (Bild: Ekpah auf wikimedia commons)

Das Erzbistum Paderborn ist mit einem Vermögen von rund 7,15 Milliarden Euro das reichste Bistum in Deutschland. Doch das Gehalt von monatlich rund 12.000 Euro wird dem neuen Erzbischof wie allen anderen Bischöfen in den meisten Bundesländern vom Staat bezahlt. Dafür leistet der Gottesmann einen „Treueid“ gem. Artikel 16 des Reichskondordats – aus dem Jahr 1933. „Der ernannte katholische Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz legt am Mittwoch (7. Februar 2024) in Düsseldorf vor dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) den Treueid ab“, berichtet das Westfalen-Blatt. „An der Veranstaltung in der Staatskanzlei nehmen auch Vertreter der Landesregierungen von Hessen und Niedersachsen teil.“

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Vom Drama zur Gestaltung

Die Transformation der Arbeit geht auch mit einer Transformation der Betriebsratsarbeit einher. Die deutliche Zunahme der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit (Stichwort „Co Management“) sowie die hohe Anspannung und Belastung in vielen Belegschaften haben die solidarische Arbeit im Betriebsrat inhaltlich und vor allem auch emotional erheblich verdichtet. Von morgens bis abends durchgetaktete Tage, von Löscheinsatz zu Löscheinsatz, Hiobsbotschaften, aufgeladene Stimmung, Stress, Bedrückung – so ließe sich das Drama von so manchem Betriebsrat in der Automobilindustrie (wie in vielen anderen Branchen auch) zugespitzt charakterisieren. Nicht umsonst gehen die durchschnittlichen Amtszeiten von Betriebsrät:innen zurück. Und nicht wenige sind aufgrund der Belastung gesundheitlich angeschlagen. In Unternehmen wie Mercedes-Benz (Timo), Rheinmetall (Andreas) und Mahle (Jakob) zeigt sich das in unterschiedlicher Form und zu unterschiedlichen Anlässen – Übernahme, Standortschließungen, Sozialpläne, Umstrukturierungen, Umschulungen sind hier nur einige der Stichworte einer Transformation, die allen Beteiligten viel abfordert.

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Anti-AfD-Demos: Strohfeuer oder mehr?

Liste von Städten mit durchgeführten und angekündigten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus 19.–23. Januar 2024
(Bild: Katapult auf wikimedia commons)

Demonstrationen können ein Strohfeuer sein, aber auch ein Einstieg, um sich anhaltend zu engagieren weit über die einmalige Geste hinaus, sagt der renommierte Bewegungs- und Protestforscher Dieter Rucht im Interview mit Wolfgang Storz. Was die AfD hart träfe, wäre die fortdauernde aktive Stellungnahme und Gegenmobilisierung in den kleinen Räumen des Alltags: am Arbeitsplatz, im Sportverein, in der Elternversammlung, in der Kneipe, betont Rucht. „Vor allem auf dem Land und besonders im Osten hat sich die AfD als Kümmerer etabliert, dem es angeblich um die ‚wahren‘ Interessen der ‚wahren‘ Deutschen gehe und erst sekundär um Wählerstimmen. Dieses Bild lässt sich mit akademischen Diskursen und flammenden Reden nicht dekonstruieren. Das geht nur, wenn sich Bürger:innen konkret und praktisch einmischen und glaubwürdig zu Wort melden, in den Parlamenten, aber eben auch in der Schule, in Vereinen, am Arbeitsplatz.“ Ein AfD-Verbot nennt Rucht „eine Art von Kapitulation“.

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Detlef Hensche, eine linke Orientierungsfigur mit großer Ausstrahlung

Detlef Hensche, 2018 (Foto: Mitbestimmer auf wikimedia commons)

Anlässlich der Trauerfeier für Detlef Hensche, die am 1. Februar 2024 in Berlin stattfand, übernimmt bruchstuecke den Nachruf, den IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban für die Blätter für die deutsche und internationale Politik schrieb.

In der aufgeregten Debatte um kulturelle Identitätspolitik trat der Sozialphilosoph und Ökonom Amartya Sen mit der These hervor, dass alle Menschen nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Identitäten und Loyalitäten besitzen. Diese multiple Ausstattung beruhe darauf, dass alle Individuen unterschiedlichen sozialen Gruppen und kulturellen Milieus zugleich angehörten. Ob Staatsangehörigkeit oder Geschlecht, Klassenzugehörigkeit oder Beruf, man tue gut daran, so Sen weiter, diese Identitätspluralität anzuerkennen und sie nicht auf eine zu reduzieren. Dass die diversen Identitäten konfliktfrei miteinander harmonisieren, ist jedoch eher die Ausnahme. Bei dem langjährigen „Blätter“-Mitherausgeber Detlef Hensche war dies allerdings in fast einzigartiger Weise der Fall.

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Irrer Überbietungswettbewerb

Beim Bau des Atomreaktors vom Typ EPRHinkley Point C im Südwesten Englands laufen Kosten und Zeitplan aus dem Ruder (Foto: gov.uk auf wikimedia commons)

Im Südwesten Englands errichtet das französische Energieunternehmen EdF das Atomkraftwerk Hinkley Point C mit zwei EPR-Reaktoren (Europäischer Druckwasserreaktor) zu je 1600 Megawatt. Die wechselvolle Geschichte dieses Projekts wird aktuell von neuen Kostenschätzungen gekrönt. Zuerst die BBC und dann auch FAZ und Spiegel nannten schwindelerregende Zahlen. Demnach kalkuliert EdF zur Zeit mit über 40 Mrd Pfund, wobei den Angaben von BBC – 46 Mrd GBP – am ehesten zu trauen ist, da die Leithammel der deutschen Medienlandschaft den Atomausstieg immer noch nicht verwunden haben. Umgerechnet sind das 54 Mrd Euro. Gemessen daran, was ein EPR ursprünglich kosten sollte, ist diese Nachricht ein Volltreffer gegen die ewige Kampagne der Lobby, wonach Atomstrom sicher, sauber und billig sei.

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Die deutsche Rechte am Wendepunkt

Gemeinsam gegen Rechts. Demonstration in München, 21.01. 2024
Foto: H-stt auf wikimedia commons

Kundgebungen so groß, dass die Plätze sie nicht fassen können; Demonstrationen in ostdeutschen Städten, die man von Pegida-Aufmärschen kennt; Redner, die kraftvoll reden und den Nagel auf den Kopf treffen können; Zuhörer, deren Plakate von Witz statt von sterilen Parolen zeugen: Man hat sowas nicht mehr für möglich gehalten. Vielleicht weil die für die AfD prognostizierten Umfragewerte wie die Frühjahrsflut immer noch zu steigen schienen.

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Für das eine öffentliche gemeinwohlorientierte Medienhaus

Bild: geralt auf Pixabay

Mein Beitrag fokussiert zwei Fragestellungen: Unter welchen Bedingungen findet die Weiterentwicklung für ein öffentlich finanziertes Medienangebot statt? Und: Warum könnte die Leitidee eines öffentlichen Medienhauses in diesem Prozess hilfreich sein? Ich werde zur zweiten Frage erste Überlegungen, kein geschlossenes Konzept präsentieren. Wichtiger erscheint mir die Reflexion der Bedingungen, unter denen es gelingen kann, ein öffentlich finanziertes und gemeinwohlorientiertes Medienangebot zukunftsfähig weiter zu entwickeln.

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Gläubige, Andersgläubige, Ungläubige müssen miteinander auskommen

Wird im Religionsunterricht mit dem Glauben auch das Glauben gelehrt? Das wäre kaum zu glauben. Denn die Schule wird vom Staat geleitet und aus Steuermitteln finanziert. Sie ist überkonfessionell und dient staatlichen Zielen. Aber es gibt immer noch die unheilige und nicht verfassungskonforme Allianz zwischen Kirche und Staat, die andere, nicht erklärbare Widersprüche unserer Gesellschaft nach sich zieht. Helmut Ortner plädiert gemeinsam mit Niko Alm für Ethik und Demokratie.

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Der Kampf um Israels Demokratie

Wer Israel verstehen will, der bekommt bei Saul Friedländer auf 237 Seiten einen Schnellkurs. Schon der Titel – „Blick in den Abgrund“ – lässt ahnen, dass dieser Kurs nicht erbaulich, sondern ernüchternd ist. Friedländer (91), der große Chronist der Judenverfolgung und Judenvernichtung in Nazi-Deutschland („Das Dritte Reich und die Juden“, „Die Vernichtung“), rechnet mit „Eretz Israel“, dem Land, in das er Ende der vierziger Jahre als Waisenkind kam und das für ihn, dessen Eltern von den Deutschen ermordet wurden, mit so viel Hoffnungen verbunden war, unerbittlich ab.

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Eine Sucht namens Soziale Medien

Screenshot: Website ARTE

Mit der Ausbreitung der digitalen Kommunikationssysteme dringen Mobiles, Tablets, Watches etc. in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger ein. Das Smartphone wird zum ständigen Begleiter1, es ist für viele in unseren Breitengraden fast unverzichtbar. Es ist überall dabei, im Büro, zu Hause und unterwegs – nach globalen Schätzungen für drei Milliarden Menschen. Dieses Gerät, mit dem wir immer erreichbar sind, ist vollgestopft mit Apps: Zum Beispiel whatsapp zum Kommunizieren, tik tok zur Unterhaltung, Instagram, um das Ego zu boosten und Tinder für die Partnersuche im Internet.

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Däumeling und Däumelinchen klappen ihre Notebooks auf…

Das Ljubljana-Manifest hat die These zur Diskussion gestellt, dass intensives Lesen in einer Demokratie maßgeblich dazu beitragen kann, dass die Menschen zu kritischen Bürgerinnen und Bürgern werden.1 Es reduziere ihre Abhängigkeit von ihrer Umwelt auf ein Mindestmaß und erweitere die Unabhängigkeit bei der Beurteilung der Welt. Zugleich stärke es die Widerstandskraft der Individuen gegenüber der Gefahr der Manipulation. Es ist aus meiner Sicht eine interessante Frage, welchen Einfluss die „neuen Medien“, sie sogenannten Social Media, auf den Alltag und die Urteilsbildung der Bürgerinnen und Bürger haben. In zwei Teilen, „Däumeling und Däumelinchen klappen ihre Notebooks auf…“ sowie „Eine Sucht namens Soziale Medien“ gehe ich dieser Frage nach.

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Wider die Täter-Opfer-Umkehr

Darf man Religion verspotten? Ja, unbedingt, sagt Richard Malka. In Frankreich lebt er deshalb unter Polizeischutz. Als Anwalt hat er Charlie Hebdo erfolgreich gegen Rassismusvorwürfe verteidigt, nachdem das Magazin Mohammad-Karikaturen veröffentlichte. Jetzt ist sein Plädoyer vor Gericht als Buch erschienen – eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit. Ein bärtiger Mann mit Turban hält seinen Kopf zwischen den Händen. Er ist sehr verärgert. In der Sprechblase steht: »Schon hart, wenn einen Idioten lieben …!« Die Zeilen über der Zeichnung erläutern: »Mohammad beklagt sich. Er wird von Fundamentalisten überrollt!« Der Prophet beklagt sich also über die Haltung seiner fanatischen Anhänger. Eine Titelseite von Charlie Hebdo, dem französischen Satiremagazin: provokant, schrill, bunt. Nicht jeder muss über diese Karikatur schmunzeln, jeder darf sich beleidigt fühlen. In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft nennt man so etwas politische Karikatur.

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Plädoyer für eine ganz große Problem-Lösungs-Koalition

Für meinen Alternativ-Vorschlag zu einer Ampelregierung erntete ich vor zwei Jahren nur Kopfschütteln auf : Nämlich eine Rot-Schwarz-Grüne Koalition! Die Reaktion darauf: Wie könne man dafür sein, die CDU/CSU, eine für 16 Jahre Stagnation verantwortliche Partei, weiter in der Regierung zu halten? Was mache es für einen Sinn, eine Koalition aus drei Parteien zu bilden, wenn eine (die Grünen) dann numerisch überflüssig wäre? Und warum nicht mal das spannende Abenteuer wagen, zusammen mit der FDP die Republik zu modernisieren ? Meine Kernthese gestern wie heute: Die sichtbaren und versteckten Gemeinsamkeiten von SPD, CDU/CSU und Grüne würden für ein substantielles gemeinsames Überlebensprogramm ausreichen.

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Unruhe und Unsicherheit in Frankreichs Lehrerschaft

Porträt Samuel Paty | © victorcouto wikimedia commons

Sie erschienen vor dem Pariser Jugendgericht eingehüllt in Kapuzenpullis und vermummt: fünf ehemalige Schüler der Mittelschule „Bois d’Aulne“ in Conflans-Sainte-Honorine und eine heute 16jährige Schülerin, die unter einem anderen Namen an einem anderen Ort in eine andere Schule geht. Sie sind angeklagt wegen Verleumdung, Denunziation und Vorbereitung einer terroristischen Gewalttat. Der Fall des am 16. Oktober 2020 von einem 18jährigen radikalislamischen Tschetschenen erstochenen und geköpften Lehrers Samuel Paty wird erstmals vor Gericht verhandelt: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil die Jugendlichen zur Zeit der Tat zwischen 13 und 15 Jahre alt waren.

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Ein liberaldemokratisch-bürgerlich-anständiges Manifest

Bild: Peggy_Marco auf Pixabay

Im Bonner General-Anzeiger war am vergangenen Samstag eine spannende Geschichte aus der Feder des Chefs der überregionalen Tagespolitik der Rheinischen Post, Martin Kessler zu lesen. Zur Mediengruppe Rheinische Post gehören neben den beiden erwähnten Tageszeitungen die Saarbrücker Zeitung, die Aachener Nachrichten, der Trierische Volksfreund, digitale Medien, Anzeigenblätter und lokale wie regionale Rundfunke. Alles in allem gewiss kein kümmerliches Bäumchen im deutschen Blätterwald. Kessler, ein promovierter Volkswirt, schrieb nun im journal, in einem “Magazin für Kultur und Wissen“ genannten Zeitungsteil, über eine ganze Seite verteilt „sieben gute Gründe“ auf, „links zu sein.“

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