‚Neiddebatte‘ neu eröffnet

Screenshot: tax the rich

Der maßlose Reichtum weniger Privatpersonen wächst, in Deutschland und weltweit. Je erdrückender diese zig Milliarden-Lasten für Gesellschaft, Demokratie und Gering-Begüterte werden, umso weniger wird öffentlich darüber geredet. Regierungen, Parteien, auch Gewerkschaften beschweigen diese Völlereien. Bestenfalls stecken sie sich ihren politischen Dauerlutscher soziale Gerechtigkeit in den Mund. Die ‚Neiddebatte‘ wird gerade neu eröffnet.

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(IV) Demokratische Parteien und ihre fatale Lage

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Politikverdrossenheit im allgemeinen und Parteienschelte im besonderen kennzeichnen das gesellschaftspolitische Klima demokratisch regierter Länder; mal mehr, mal weniger. Je nach aktuellen ökonomischen, sozialen und kulturellen Zuständen sind Verdruss und Vorwürfe stärker oder schwächer ausgeprägt, verschwunden sind sie nie. Zeitungsarchive legen beredtes Zeugnis davon ab. Warum findet braune Politik positive Resonanz, wenn sie verspricht, eine Partei zu sein, die keine Partei ist, die das Ganze verkörpert, statt Teilinteressen zu vertreten? Weshalb findet sie Gehör, wenn sie beansprucht, den Volkswillen zu repräsentieren, im Bestfall in Gestalt einer Führerfigur, die mit jedem Wort dem Volk aus der Seele spricht?

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Radikalisierte Ränder, keine Spaltung

Herr Mau, in der Einleitung Ihres neuen Buches „Triggerpunkte“ verwenden Sie und Ihre beiden Autorenkollegen Thomas Lux und Linus Westhuser zwei gegensätzliche Begriffe, die den Grad der gesellschaftlichen Spaltung charakterisieren sollen: „Kamelgesellschaft” und „Dromedargesellschaft”. Warum verwenden Sie diesen Tiervergleich?
Steffen Mau: Wir haben uns da vom Rücken der Tiere inspirieren lassen. Beim Kamel haben wir zwei Höcker, dazwischen ist ein großer Graben. Hier stehen sich zwei gesellschaftliche Grußgruppen gegenüber, die Differenzen erscheinen unüberbrückbar. Beim Dromedar gibt es einen großen Hügel, die Ränder laufen aus und sind deutlich kleiner.

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Lesen für die Demokratie

Bild: geralt auf Pixabay

Im Kontext der diesjährigen Frankfurter Buchmesse diskutierten der Dichter und Essayist Durs Grünbein, der slowenische Autor Aleš Šteger und der Lyriker und Übersetzer Matthias Göritz über das Ljubljana-Manifest.1 Dieses Manifest ist eine Warnung angesichts der Entwicklung des Lesens. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben sich mit dem Leseverhalten auseinander gesetzt, das im Zuge der Digitalisierung entstanden ist. Ihnen haben sich u.a. PEN International, die International Federation of Library Associations, EURead und die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung angeschlossen. Das Manifest hat eine Art Vorläufer, der aus dem Jahr 2019 stammt. Damals unterzeichneten mehr als 130 Leseforscherinnen und -forscher aus ganz Europa die Stavanger-Erklärung zur Zukunft des Lesens im Zeitalter der Digitalisierung. Sie hatte damals eine breite Debatte über die Nachteile des Bildschirmlesens angestoßen.

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(III) Demokratische Politik – offen für jede Stimme und jede Stimmung

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Drei Merkmale gelten gemeinhin für eine Demokratie als konstitutiv, nämlich Bürgerrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit, aktives und passives Wahlrecht bei fairen Wettbewerbsbedingungen der Parteien sowie Rechtsstaatlichkeit mit unabhängigen Gerichten, vor denen alle gleich sind. Dort, wo sie die Macht dazu hat, hat braune Politik diese demokratischen Merkmale stets abgeschafft. Solange sie in der Opposition agiert, parlamentarisch und außerparlamentarisch, greift braune Politik real existierende Demokratien an, sie würden diese drei Merkmale nicht erfüllen, würden die Meinungsfreiheit einschränken, Wahlbetrug betreiben und politische motivierte Gerichtsurteile nicht nur zulassen, sondern forcieren. Die freie Meinung gerät in der Demokratie in eine Doppelrolle als Aschenputtel und Prinzessin – was der Rechtsextremismus für sein Ziel ausnützt, sie zu beseitigen, bei Bedarf auch mit Gewalt.

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Zwei konfliktfähige Frauen, zwei konträre Politikstile

Zwei politisch engagierte Frauen haben Ende Oktober in der Öffentlichkeit viel mediale Aufmerksamkeit gefunden: Sahra Wagenknecht mit der öffentlichen Bekanntgabe einer geplanten Parteigründung sowie den programmatischen Aussagen dazu am 22. 10. 2023 und Christiane Benner, die mit überwältigender Mehrheit als erste Frau in der Geschichte der IG Metall zur 1. Vorsitzenden gewählt wurde und mit ihrer Grundsatzrede „Zeit für Zukunft“ am 24.10. Akzente gesetzt hat. Im Alter nahe beieinander haben beide Frauen auch einen vergleichbaren Lebensweg. Sie kommen aus einfachen Verhältnissen und ihr sozialer Aufstieg durch Bildung ist ihnen gemein. Sie haben sich beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise, in ihren Organisationen durchgesetzt.

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Die neue Vorsitzende der IG Metall und ihre Aufgaben

Screenshot: Website der IG Metall

Wer verspricht, der AfD das Wasser abzugraben, dem fliegt das Wohlwollen der Hauptstadtpresse und der Rundfunkanstalten zu. Herr Merz hat es versprochen, aber er kann nicht liefern. Frau Wagenknecht verspricht es, und zielt mit ihrem Parteiprojekt auf eine Wählerschaft, die zwischen links und rechts nicht zu unterscheiden vermag. Christiane Benner, die neu gewählte Vorsitzende der IG Metall, sagt: Gerade wir als Gewerkschaft haben enorme Möglichkeiten, gegen den weiteren Aufstieg der AfD zu wirken…Wir können den Rechten den Boden entziehen, wenn wir in den Betrieben mithilfe von Gewerkschaften und Betriebsräten Menschen Sicherheit vermitteln, etwa indem sie weiterqualifiziert werden und bei all den Veränderungen eine gute Perspektive für sich sehen.

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(II) Das Me-first-Klima als braune Anschlussstelle

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Auf der Suche nach strukturellen Hintergründen rechtspopulistischer und -extremistischer Erfolge in entwickelten, demokratisch-rechtsstaatlichen Ländern zeigt sich, dass unsere normale Lebensweise mehr Anschlussstellen für braune Politik aufweist, als es die öffentlich ausgetragenen lautstarken Differenzen und scharfen Kontroversen vermuten lassen. Historisch ist braune Politik seit dem 19. Jahrhundert nie verschwunden, aber ihre Sichtbarkeit und ihre Machtchancen haben Konjunkturen, das 21. Jahrhundert hat ihr bisher großen Aufschwung gebracht. Das hängt mit krisenhaften Entwicklungen zusammen, die Thema der Teile vier und fünf sind. Die Teile zwei und drei behandeln noch sehr allgemeine strukturelle Zusammenhänge.

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Sahra thront auf dem Wagen, Knechte ziehen und schieben

Sahra Wagenknecht (Foto: Bundestagsfraktion DIE LINKE auf wikimedia commons)

Das »Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit« bereitet die Gründung einer neuen Partei vor, die im kommenden Jahr in den Wettbewerb um Wählerstimmen eingreifen soll. Es handelt sich um ein in Deutschland bisher einmaliges Projekt: die Gründung einer Wahlpartei um die Prominenz einer Person herum. Nicht die Person gibt der Partei ein Gesicht, sondern der Person wird von verlässlichen Gefolgsmännern und -frauen eine Partei geschaffen. Vergleichbares kannte man bisher eher aus Italien, von Beppo Grillo und seiner Fünf-Sterne-Bewegung. Auch in Frankreich (Mélenchon), Spanien (Iglesias) oder Griechenland (Tsipras) gründeten sich Wahlbündnisse um eine Person herum. So lange diese Person verlässlich für die Partei spricht, so lange die von ihr vertretenen Positionen nicht vom Parteiprogramm relativiert werden und so lange das öffentliche Auftreten der Partei Gefolgschaft ausstrahlt, kann das gut laufen.

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Iran will mit Atombomben drohen können

Ali Khamenei (Foto: Khamenei.ir auf wikimedia commons)

Unmittelbar nach dem Massaker der Hamas in israelischen Ortschaften am Gaza-Streifen drängte es die iranische Staatsführung, das Geschehen zu kommentieren. Der Oberste Führer Ali Khamenei dementierte eine direkte iranische Beteiligung, aber er küsse »die Hände dieser klugen Kämpfer, dieser fähigen Helden«. Sein Staatspräsident Ebrahim Raisi wollte gleich für die islamische Weltgemeinschaft sprechen: »Sie haben die islamische Ummah mit dieser innovativen und siegreichen Operation wirklich glücklich gemacht.« Der Schrecken dieses Herbstes hat auch dem iranischen Atomprogramm und dem Iran-Atomabkommen von 2015 wieder größere Aufmerksamkeit verschafft. Ursprünglich sollten die Sanktionen in diesem Oktober 2023 aufgehoben werden.

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(I) Das Basislager des Rechtsextremismus: unser Alltag

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Die Auftritte der Rechtspopulisten, auf jeden Fall der Extremisten unter ihnen, scheinen vom zivilisatorischen Minimum so weit entfernt zu sein, dass es sehr schwer fällt, die Anziehungskraft zu begreifen, die sie auf beachtliche Teile der Bevölkerung in Deutschland und vielen anderen Ländern ausüben. Demgegenüber wird hier die These vertreten: Das Basislager des Rechtsextremismus ist unser moderner Alltag. Die Übergänge zwischen normalen Lebenswelten und rechtspopulistischen bis -extremistischen Sicht- und Verhaltensweisen sind fließend, die „Brandmauer“ ist künstlich (und deshalb umso wichtiger). In einer Bruchstuecke-Serie mit den fünf Teilen „Selbstverantwortung“, „Soziale Unterschiede“, „Meinungsfreiheit“, „Partei und Gemeinwohl“, „Krisen und die Überforderung der Politik“ wird für diese These argumentiert.

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Der Schutz der Kirche geht vor, nicht das Leid der Opfer

Der Rechtsstaat schaut zu: Noch immer verhindern Bischöfe, dass die klerikalen Missbrauchs-Verbrechen von staatlicher Seite untersucht und aufgeklärt werden. Vorrang hat der Schutz der Kirche, nicht das Leid der Opfer. Konsequente Verfolgung und Verurteilung findet nicht statt. Stattdessen will die Katholische Kirche, den Opfern eine »tatorientierte Grundpauschale« zahlen. Im Namen des Herrn …

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Zielkonflikte ökologischer Transformation: Wasserknappheit im Süden Spaniens

Tajo bei Aranjuez, rund 50 km südlich von Madrid (Benjamín Núñez González auf wikimedia commons)

Wenn alternative Formen der Energieerzeugung anstelle der Nutzung von Kohle und Atomkraft real werden, wie dies im Falle des Baus von Windparks und neuer Stromtrassen der Fall ist; wenn Inlandsflüge verboten werden sollen oder der Wasserverbrauch verringert werden soll, um die Umwelt zu schützen, entstehen Zielkonflikte. Dafür gibt es Gründe: zum einen strapaziert ökologisches Handeln in sozial integrativer Hinsicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt und läuft Gefahr seine Legitimation zu verlieren, zum anderen kollidieren ökologische Strategien mit systemintegrativen Erfordernissen vor allem der Wirtschaft. Im ersten Falle gehen Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und bestrafen die Regierung an der Wahlurne. Im zweiten Fall drohen Unternehmen damit, ihren Standort zu verlegen. Für die Regierenden aller europäischen Staaten ist es schwer, darauf adäquat zu antworten. Ich will dies an Beispielen aus der neueren Vergangenheit erläutern.

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Pessimistische Blicke, nostalgische Seufzer im Nachbarland

In Hamburg-Blankenese versuchten sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz fröhlich lachend an Fischbrötchen und gelobten sich nach einer zweitägigen gemeinsamen Kabinettssitzung „gegenseitige Faszination“. In der „Süddeutschen Zeitung“ geißelte der Schriftsteller und frühere Verlagsboss des Frankfurter Fischer Verlags, Jörg Bong, „Baerbocks Verachtung“, weil die Goethe-Institute in Bordeaux, Lille und Straßburg geschlossen werden sollen (vier weitere von Paris bis Toulouse bleiben bestehen). Und am selben Tag (11.Oktober) veröffentlichte die Zeitung „Le Monde“ eine Umfrage unter unseren Nachbarinnen und Nachbarn: Sie bestätigt, dass die Franzosen an der guten Laune bei Fischbrötchen und der angeblichen „katastrophalen Ignoranz“ der deutschen Außenministerin an Goethe-Instituten kein Interesse haben. Das diesjährige Stimmungsbild eines führenden Forschungsinstituts belegt vielmehr eine tiefe Unzufriedenheit der Befragten mit der Demokratie, eine wachsende Wut und eine ebenso wachsenden Neigung, die rechtsradikale Marine Le Pen vom „Rassemblement National“ für regierungsfähig zu halten.

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Der hippe Begriff „New Work“

Bild: Chenthil Maha auf wikimedia commons

Wenn externe Unternehmensberater von “New Work” schwärmen und Vorgesetzte dadurch angeregt das “agile Arbeiten” propagieren, sollten bei den Beschäftigten die Alarmglocken klingeln. Denn bei solchen Floskeln, deren inflationäre Verwendung auf Abteilungskonferenzen oder in Mitarbeitergesprächen bisweilen an Realsatire grenzt, handelt es sich meist um alten Wein in neuen Schläuchen. Mit ihrem Motivations-Sprech versuchen die Führungskräfte, verbal gute Laune zu verbreiten. ‚Positiv denken‘ lautet ihre wichtigste Botschaft – auch und gerade dann, wenn sie an den betrieblichen Strukturen nichts Wesentliches ändern wollen.

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