„Leute kauft Hering, so fett wie der Göring“

Bild: scanned by NobbiP auf wikimedia commons

Der Karneval, der Fasching, Fastelovend, Fasteleer, wie auch immer die „tollen Tage“ im Februar genannt werden, sie sind eine verdammt ernste Angelegenheit. Es ist nämlich so: Beim Geld und im Karneval hört der Spaß rasch auf. Dass das so ist, merkt Mensch am Streit um selbigen. So hatte das Kölner Arbeitsgericht 2018 festzustellen, wie lange der Kölner Fasteleer überhaupt dauert. Andere würden sagen: anhält beziehungsweise: nervt. Der dauert von Donnerstag („Wiivefastelovend“) bis zum nächsten Mittwoch (Aschermittwoch), allerdings nicht den vollen Donnerstag. Die Deutsche Welle, gewissermaßen die Speerspitze der weltweiten Information über die deutsche Kultur, hat nachgerechnet. Sie kam 2019 bezüglich der Dauer des Karnevals auf 132 Stunden und 49 Minuten.

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Kleben und kleben lassen

Bild: Dall-E von OpenAI (Dall-E ist ein von OpenAI entwickeltes Computerprogramm, das Bilder aus vorgegebenen Text generiert).

ACHTUNG: Nach dem Lesen dieses Artikels wollen Sie sich an Reiche kleben… 
Wir schreiben das Jahr 2029 und Melanie B. und Jan A. verlassen ihre Wohnung, um sich wie jeden Freitag an einen Reichen zu kleben. Doch wie ist es dazu gekommen und was motiviert die jungen Menschen, eine lange Haftstrafe zu riskieren?
… weil Sie wissen, warum nicht Klima-Kleber extremistisch sind, sondern die Gesellschaft, und wie ein Kompendium des absurden Widerstands in einer extremen Gesellschaft aussehen könnte. 

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EMMA als Putins Troll-Agentur

Bild: Refica auf Pixabay

Für Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht ist ihr Manifest, über das Emma unter der Headline „Der Aufstand für Frieden — allerorten“ berichtet, ein großer Erfolg: Viele als Intellektuelle Bekannte haben unterzeichnet, in wenigen Tagen bald eine halbe Million BürgerInnen, in weiteren wenigen Tagen werde es eine Million und mehr sein, so die Vorhersage der Redaktion von Emma. Viel spricht dafür, dass mit dem Manifest „eine regelrechte BürgerInnen-Bewegung“, so Emma, für Wladimir Putin, den Geheimdienstagenten, Vielfach-Schlächter (Tschetschenien, Syrien, Ukraine) und Diktator ausgelöst worden ist. Das Manifest kehrt mit wenigen Worten — meist offen und alles andere als subtil — die Schuldfrage um: Der ukrainische Präsident Selensky ist der Kriegstreiber, Putin ist der Angegriffene. Ein kommunikativ-handwerklich sehr kompetentes Machwerk an Manipulation und Verschwörungsarbeit. Wie geht das?

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Falsche Forderung aus richtigen Motiven

Place des Nations, Genf. Skulptur „Frieden“ von René Brandenberger (Foto: Markus Schweizer auf wikimedia commons)

Das Motiv für das „Manifest für den Frieden“ ist ehrenwert und nachvollziehbar: Der schiefen Ebene der Eskalation – hin möglicherweise sogar zum Atomkrieg Einhalt gebieten! Statt zuzuschauen – Eingreifen! Und auf wen können wir am ehesten Einfluss nehmen? Auf unsere Regierung! Und was bietet sich da als Handlung an? Der Verzicht auf Waffenlieferungen. Und was ist unter anständigen, zivilisierten Menschen die richtige Konfliktlösung? Verhandlungen. Also lautet die scheinbar naheliegende Konsequenz: Verhandlungen statt Waffenlieferungen! Aber…

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Nationales Interesse – ein verlässlicher Kompass?

In seiner Studie „Leidenschaften und Interessen“ aus dem Jahr 1977 hat der Ökonom Albert O. Hirschmann gezeigt, wie der Begriff des „Interesses“ zu Beginn der Neuzeit zum Zentralbegriff der politischen Staatslehre wurde. Er verkörperte das Gegenmodell zu den Leidenschaften des Glaubens, die in den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts Deutschland und Europa ins Chaos gestürzt hatten. Interessen wurden so etwas wie die verborgene Kraft, die das menschliche Handeln, wechselnde Befindlichkeiten und Konflikte erklärbar machten. Der Begriff des Interesses öffnete zudem einen gedanklichen Raum für Kompromisse, während das Universum der Leidenschaften nur den richtigen und den falschen Glauben kannte. Vor diesem Hintergrund einige Anmerkungen zu Klaus von Dohnanyis Buch „Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche„.

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Ein Manifest zum Vergessen

ARTE zeigte am 5. Mai 2010 einen 100 Minuten dauernden Dokumentarfilm der grandiosen Historikerin und Filmemacherin Ruth Zylberman. Der Film – ausgezeichnet mit dem Grand Prix du documentaire d’histoire – war bewegend, er beschrieb die Lebenswege von Dissidenten aus Polen und Ungarn und der Tschechoslowakei, von Václav Havel, Jacek Kuron, Adam Michnik und anderen, deren geheime Treffen, deren Ängste und Kämpfe um Freiheit und Offenheit, darum, wie Menschen behandelt zu werden. Der Film geht mit einer Botschaft, sofern ich mich richtig erinnere, zu Ende. Mit der Botschaft, dass die Dissidenten uns im Westen ein Erbe hinterlassen haben: Nämlich nie zu vergessen, welchen Wert die Freiheit hat.
Wir haben dieses Erbe kollektiv angenommen. In diesem Zusammenhang wurde oft erklärt: Wir vergessen eure Botschaft nicht. Mehr noch: Wir heißen euch in unserer europäischen, nun gemeinsamen Heimat willkommen. Dabei war klar: Die im Westen Deutschlands mussten nie wirklich gegen Unfreiheit kämpfen. Viele im Osten unseres Landes haben gekämpft und dafür auch bitter bezahlt.
Gibt es das Erbe noch? Ist es vergessen? Hat es sich aufgezehrt? Oder muss man genauer in den Erbvertrag schauen? Steht da irgendwo im Kleingedruckten: Wir verwerfen dieses Erbe dann, wenn es hart auf hart kommt?

In einer Petition aus diesen Tagen, einem „Manifest für den Frieden“, lese ich: „…wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“. Und: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“
Können und müssen? Es geht darum, den mörderischen Angriffs-Krieg in Europa zu beenden. Durch Kompromisse, wie es in der Petition heißt, denen eine Seite zustimmen kann, die jeden Vertrag gebrochen hat, die angekündigt hat, ein Land von der Landkarte zu löschen, die mordet, Kinder raubt, Frauen schändet, die die Arbeitslager und Gulags wieder füllt.
Die Petition will und kann einen Kanzler und eine Regierung „in die Pflicht nehmen“, die der anderen Seite im Konflikt auch militärisch mit fast allem, was sie hat, helfen will. Daraus schließe ich, dass die Genannten bislang ihre Pflicht verletzt hätten, denn sonst müssten die nicht in die Pflicht genommen werden.
Wir sollten die Petition vergessen, bitte, bitte. Sie ist eine einzige Blamage.

Medien-Jubel über die Modernisierung von Atomwaffen

Screenshot: Wirtschaftswoche vom 14. 12. 2022

»Nennt es den Schuss, der in der ganzen Welt gehört wird.« Mit diesen Worten verkündete das kalifornische Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) den Erfolg eines Experiments, mit dem es am 5. Dezember 2022 gelungen war, bei einer laserinduzierten Kernfusion mehr Energie freizusetzen, als die Laserstrahlen enthielten. Die US-amerikanische Energieministerin Jennifer M. Granholm nannte das Ereignis einen »gewaltigen historischen Durchbruch« und »eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts«. Nun sehe es so aus, fügte sie stolz hinzu, als übernähmen die USA die Führung bei der Kernfusion. Weltweit schaffte es die Nachricht als wissenschaftliche Sensation auf die Titelseiten, natürlich auch bei den deutschen Medien. Von einer Revolutionierung der Stromproduktion, vom Anbruch einer neuen Ära und von der Aussicht, eines Tages riesige Strommengen erzeugen zu können, war die Rede. Hat sich die Öffentlichkeit irreführen lassen?

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Aushöhlung der Demokratie in den USA und anderswo

Barbara F. Walter, amerikanische Politikwissenschaftlerin und Autorin des Weltbestsellers zur Gefährdung der Demokratie in der ganzen Welt, erwarb ihre Sensibilität für die Gefährdungen der Demokratie durch Ungleichheit, Ungerechtigkeit, mangelnde oder ganz fehlende Rechtsstaatlichkeit und Unsicherheit: von ihrer Mutter. Diese stammte aus dem Schweizer Halbkanton Appenzell Innerrhoden, wo eine männliche Mehrheit der Stimmbürger von nicht einmal 20 000 Einwohnern des kleinen Kantons bis 1991 erfolgreich verhinderte, dass Frauen politisch gleichberechtigt wurden, wie in den meisten anderen Kantonen seit immerhin seit 1972 und in den meisten Staaten seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Der Abstimmungserfolg von1991 war übrigens nur möglich nach einer erfolgreichen Klage von 100 Bürgern und einem positiven Urteil des höchsten Schweizer Gerichts.

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Ausweg Soziales Unternehmertum?

Logo des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland auf wikimedia commons

Ist Sozialpolitik effektiv genug? Ist sie auch effizient? Diese Fragen müssen immer wieder gestellt werden, am besten von der Sozialpolitik selbst. Es gibt Ideen, wie man Sozialpolitik effektiver machen kann. Auf Patentrezepte sollte man jedoch nicht hoffen. Gut die Hälfte des Bundeshaushaltes, insgesamt deutlich über 200 Milliarden Euro waren 2021 Ausgaben für Soziales gewidmet. Die Sozialleistungsquote, das ist der Anteil der Ausgaben für Soziales am gesamten Bruttoinlandsprodukt lag in diesem Jahr bei knapp 33 Prozent. Anfang der 1990er Jahre lag er noch bei rund 24 Prozent, um die Jahrtausendwende bei knapp 29 Prozent. Im europäischen Vergleich befindet sich Deutschland in dieser Hinsicht in der Spitzengruppe. Nur Frankreich und Dänemark leisteten sich einen höheren Anteil der Sozialausgaben an der wirtschaftlichen Gesamtleistung.

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Villa in Berlin-Schmargendorf, Raketen auf Kiew

Putin & Rotenberg im März 2020 (Foto: Администрация Президента России auf wikimedia commons)

Das Gesetz hat einen einprägsamen Namen: Es heißt Rotenberg Gesetz. Es ist ein russisches Gesetz, das 2014 in der Duma verabschiedet wurde und das Folgendes regelt: Wird einer der russischen Superreichen, Oligarchen genannt, von westlichen Sanktionen gebeutelt, kann er vom Staat entschädigt werden. Benannt ist das Gesetz nach Arkadi Rotenberg, dem Vernehmen nach einem Duzfreund des Kremlchefs. Rotenberg ließ die Krimbrücke bauen, die Putins Herz so erfreute, und die im vergangenen Jahr in die Luft gejagt worden ist. In Berlin-Schmargendorf ist Arkadi Romanowitsch Rotenberg, Größe 1,68 m, kein Unbekannter.

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Geburtsjahr 1993ff: Status ungeklärt

Käthe Kollwitz, Plakat für die Sozialistische Arbeiterjugend Leipzig, 1924 (wikimedia commons)

“Zahl der Kriegsdienstverweigerer verfünffacht” lauteten kurz nach dem Jahreswechsel 2022/23 Schlagzeilen deutscher Nachrichtenportale. Dem “Vaterland” als Soldat zu dienen, empfinden die meisten jungen Männer nicht als Ehre. Sie betrachten militärische Zwangsdienste eher als Last. Zudem gab es aus historischer Sicht in der militärischen Praxis stets klassenspezifische Unterschiede. Generäle und andere Angehörige der Oberschicht standen selten in den Schützengräben an vorderster Front. In Vietnam kämpften vorrangig schwarze US-Amerikaner und weiße Arbeiter für die “Freiheit des Westens”. Nicht viel anders läuft es heute in der Ukraine: Während Ex-Botschafter Andrij Melnyk heimische Deserteure beschimpft und Männer unter 60 das Land nicht verlassen dürfen, studiert sein Sohn in Berlin. „Zurzeit sind Studenten in der Ukraine ausgenommen von der Mobilmachung“, erklärte dazu Switlana Melnyk im Oktober 2022.

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Ein gnadenloser Deutscher

Er schrie, tobte und erniedrigte Angeklagte mit Spott und Hohn: Roland Freisler, Hitlers fanatischer Blutrichter und Präsident des »Volksgerichtshofes«. Mit seiner Verhandlungsführung machte er den Gerichtssaal zur persönlichen Bühne. Über 5200 Todesurteile sprach das nationalsozialistische Sondergericht, rund 2600 davon verhängte Freislers Senat. Freisler war ein gnadenloser Deutscher seiner Zeit – und die Deutschen hatten ihn möglich gemacht.

Der Anfang vom Ende: Berliner Abendblatt „Der Angriff“ vom 30. Januar 1933 zur Machtergreifung Adolf Hitlers (Bild: Mabit1 auf wikimedia commons)
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Tarifautonomie: Jenseits von Staatsallmacht und Unternehmerherrschaft

Foto: Frank Vincentz auf wikimedia commons

Die aktuelle politische Debatte dreht sich um den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die Möglichkeiten wirksamer Gegenwehr. Sie wird auch bestimmt vom fortschreitenden Klimawandel und dem Ringen um die Wege, eine globale Klimakatastrophe zu verhindern. Die Coronapandemie, die noch fortwirkt, hat dagegen ihren Schrecken schon verloren. Dadurch gerät fast aus dem Blick, dass Deutschland trotz Lockdowns und Produktionsausfällen, trotz rasant gestiegener Energiekosten und unterbrochener Lieferketten, alles in allem gut da steht. Es hat viele Einbrüche gegeben im Einzelhandel, in der Gastronomie, im Kulturbereich usw. Aber für den überwiegenden Teil der Wirtschaft gilt: Die Gewinne steigen, der Arbeitsmarkt ist robust und stabil, die Arbeitslosigkeit gering, der Mangel an Arbeitskräften groß. Lohn- und Gehaltsforderungen, die auf den ersten Blick sehr hoch schienen, z.B. in der chemischen Industrie und in der Metall- und Elektroindustrie, haben nach harten, z.T. von Warnstreiks begleiteten Verhandlungen, zu akzeptablen Kompromissen geführt. Viele Faktoren werden für diese Entwicklung benannt, ein entscheidender Faktor aber oft übersehen: Die Tarifautonomie und das Tarifvertragssystem in Deutschland.

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Orientierung in multiplen Krisen

Foto: Partonez auf wikimedia commons

Was sind Auftrag und Perspektiven für die Nachhaltigkeitsforschung in den kommenden Jahren? Und was sind Orientierungspunkte für die forschungspolitische Agenda im Kontext multipler Krisen? Zu diesen Fragen hat das ECOLOGICAL RESEARCH NETWORK (ECORNET) elf Thesen formuliert, die wir auf bruchstücke dokumentieren.

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