Bitte nicht „ambitioniert“!

„Ambitioniert“ gehört zur unpersönlich-passiven Sprache der Bürokratie und ihres Apparates. In diesem bürokratischen Sprachgebrauch bleibt das Subjekt der „Ambition“, also des Herumgehens (als Bittsteller) unbestimmt – (bei anderen) herumgehen (um etwas zu erreichen) ist die Bedeutung des lateinischen amb-ire, von dem ambitioniert abgeleitet ist.
Und wenn unbestimmt ist, wer „herumgeht“ oder „herumgehen“ muss, um etwas zu erreichen, wer fühlt sich dann letztlich angesprochen und verantwortlich? Insofern enthält das Adjektiv „ambitioniert“ im Zusammenhang mit dem Verfolgen von Zielen etwas Fremdbestimmtes und gegenüber dem Erreichen der Ziele Distanzierendes. Wenn von „ambitionierten“ Zielen die Rede ist, kann man deshalb in „ambitioniert“ durchaus auch mithören, dass diese Ziele nicht wirklich erreicht werden sollen bzw. können. Wer dagegen intrinsisch Ziele verfolgt, wird kaum von ambitionierten Zielen sprechen, sondern stattdessen das Notwendige auf den Weg bringen, um diese Ziele zu erreichen.

Bürgergeld: Neues Label, altes Denken

Finanzkapital rechnet in Millionen, Bürgergeld in Cent (Foto: Peter-Facebook auf Pixabay)

Mit der Verkündung des Gesetzentwurfes zum Bürgergeld[1] ist die Katze aus dem Sack: Die Ampelregierung ist offenbar nach wie vor nicht gewillt, die schon seit Jahren zu Recht kritisierte Berechnung des Hartz-IV-Regelsatzes so zu korrigieren, dass dieser wirklich vor Armut schützt. Zwar soll er ab dem kommenden Jahr auf 502 Euro[2] steigen, aber dies ist nichts anderes als ein Inflationsausgleich der deutlich zu niedrig angesetzten derzeitigen 449 Euro für eine alleinstehende erwachsene Person. So ist an dieser zentralen Stelle des Sozialgesetzbuches II (SGB II), für das sich der Name „Hartz IV“ eingebürgert hat, auch 2023 nicht mit wesentlichen Verbesserungen, sondern nur mit einer Namensänderung zu rechnen.

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Wie die Krise soziale Ungleichheiten verschärft  

Foto: sira

Der Arbeitsmarkt, der Sozialstaat und das Bildungssystem sind nicht (mehr) in der Lage, die untersten Einkommensgruppen angemessen abzusichern und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren – trotz weit verbreiteter Erwerbstätigkeit. Was ist soziale Ungleichheit und welche Bedeutung hat sie für die Entwicklung moderner Gesellschaften?

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Petra Kelly, „ein Stern am Himmel“, abgelegt „wie ein alter Waschlappen“

Screenshot: Website Petra Kelly Stiftung

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht am späten Abend des 19. Oktober 1992 in Bonn. Als die Mordkommission, 43 Minuten nach dem Eingang eines Notrufs um 22.10 Uhr in der Swinemünder Straße im Stadtteil Tannenbusch eintrifft, belagern schon Reporter und Kamerateams das kleine Reihenhaus. Gefunden worden waren zwei Leichen, umgekommen schon Wochen zuvor, ohne dass diese Menschen vermisst worden wären.

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„Der Markt hat bei der Kreditvergabe klar versagt“

Bild: Skitterphoto auf Pixabay

„Das Geldwesen ist ein zentraler Ort, an dem Macht ausgeübt wird […] Ein Kreditsystem, das auf Profit basiert, wird immer nur den Leuten Kredit gewähren, die keinen brauchen. Und die Leute, die Kredit brauchen, haben gerade keinen Zugang […] Das wird noch offensichtlicher, wenn wir uns die Herausforderungen der Klimakrise und des Energiewandels vor Augen halten. Diese Lücke zwischen dem, was wir als Gesellschaft erreichen wollen und wo also Kredit hinfließen sollte, und dem, was aus Sicht der Banken am profitabelsten ist, wird immer größer.“ Ein Gespräch über die politische Ideengeschichte des Geldes und was Linke für heutige Kämpfe aus ihr lernen können.

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Alle Bürger mögen ihren Gott, auch ihre Götter haben, aber…

Nina Hagen auf dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden, Juni 2011 (Foto: Christliches Medienmagazin pro auf wikimedia commons)

In Berlin, dem noch letzten konkordat-freien deutschen Bundesland, steht der Abschluss eines neuen Staatsvertrags mit dem »Heiligen Stuhl« kurz vor seinem Abschluss. Die Idee der Staatsverträge zwischen Kirchen und Nationalstaaten oder einzelner Gliederungen davon stammt noch aus einer Zeit, in der Kirche und Staat gemeinhin als eine Einheit betrachtet wurden. Kaiser und König galten als »Herrscher von Gottes Gnaden«. Solche historischen Überbleibsel haben auch heute noch Gültigkeit und erlauben es den Kirchen, weltliche Gesetze in ihren Einrichtungen – wie etwa jenes zum Arbeits- und Streikrecht – nicht vollumfänglich umzusetzen. Religiöse Gemeinschaften berufen sich hier gerne auf »kirchliches Selbstbestimmungsrecht«. Allerlei Privilegien wie zum Beispiel jene zu Vermögensangelegenheiten sind häufig noch einmal gesondert festgehalten. Das Verfassungsgebot, das eine Trennung von Kirche und Staat verlangt, wird jetzt auch von der rot-grünen Landesregierung ignoriert.

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Göttinger Friedenspreis – ein Kollateralschaden des Ukrainekrieges

Ulrike und Thomas Vogt (Screenshot: Musik für den Frieden)

Am 10. September sollte das deutsch-russische Projekt ‚Musik für den Frieden‚ in einer öffentlichen Verleihfeier mit dem Göttinger Friedenspreis (GFP) ausgezeichnet werden. Das ursprünglich am Musiktheater in Grenzach-Whylen von den Müllheimer MusikpädagogInnen Ulrike und Thomas Vogt gegründete Ensemble MIR kooperiert seit 2018 mit dem russischen Jugendtheater „Premier“ aus Twer. Die gemeinsamen, zunächst via Internet einstudierten Projekte „Musik für den Frieden“ wurden vor der Coronapandemie in Russland und Deutschland als Live-Konzerte aufgeführt. Während der Coronazeit wurden von beiden Ensembles in einer intensiven Online-Zusammenarbeit drei Musikvideos produziert und auf dem YouTube-Kanal „Musik für den Frieden“ veröffentlicht. Der zivilgesellschaftlich engagierte künstlerische Austausch der deutschen und russischen Jugendlichen soll zeigen, dass trotz der fatalen politischen Situation in Europa eine freundschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit über Grenzen hinweg möglich ist.
Doch Mitte Juni wurde die seit Anfang Januar auf der GFP-Webseite (www.goettinger-friedenspreis.de) angekündigte Verleihfeier von der den Preis vergebenden Stiftung ohne jede Begründung abgesagt. Was war geschehen?

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Niedersachsen: CDU öffnet Wege zur AfD

Foto: David Borghoff auf wikimedia commons

Die niedersächsische Landtagswahl wird vielfach als Testwahl für die Politik der Bundesregierung in den letzten Monaten verstanden bzw. der Wahlkampf einiger Parteien (z.B. CDU) lief darauf zu: die Energieversorgungs-sicherheit, der sozial gerechte Ausgleich von Preissteigerungen und die Politik gegenüber dem einen Aggressionskrieg führenden Russland – breit interes-sierende Themen, an denen sich die Bundesregierung erkennbar mühsam abarbeitet, handwerkliche Fehler begeht, nach einer klaren Linie sucht. Alles Bedingungen, die dazu einluden, die Landtagswahl auch zu einer Abrechnung mit der Bundesregierung zu machen. Dieser Versuch ist gescheitert. SPD und Grüne können eine Landesregierung bilden, die CDU verliert Einfluss auf den Bundesrat. Das Scheitern der FDP am Wiedereinzug setzt die Bundesregierung unter Druck.

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Gratis oder billig, unsichtbar: Frauenarbeit in der Männerwirtschaft

„Das Patriarchat hat seinen Meister gefunden“. Kundgebung und Demonstration zum Internationalen Frauentag 2022 in Melbourne. (Foto: Matt Hrkac auf wikimedia commons)

Die androzentrische Mainstream-Ökonomie macht (Frauen-)Arbeit des Alltags unsichtbar (und gratis oder billig), Gedanken an Geschlechtergerechtigkeit lässt sie gar nicht erst aufkommen. Frauen* wird das ganze Ausmaß der systematischen Ausgrenzung ihrer Bedürfnisse und Belange aus der Matrix relevanter Entscheidungsprozesse oft erst vollumfänglich bewusst, wenn sie sich Zugänge zu den Institutionen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik erkämpft haben.

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«Ist das Satire?»: Coca-Cola sponsert die Weltklimakonferenz

Foto: hhach auf Pixabay

Vom 6. bis 18. November findet im ägyptischen Sharm el Sheikh die Weltklimakonferenz COP27 statt. Die ersten Vorveranstaltungen laufen bereits. Nach einem ausgesprochenen Hitzesommer und drastischen Überschwemmungen in Pakistan ist die Stadt am Rande des Sinai zweifellos ein passender Ort. Die Diskussion im Vorfeld dreht sich aber weniger um klimabedingte Extremwetterereignisse, sondern um die Finanzierung: Am 28. September kündigte das Gastgeberland Ägypten auf seiner COP27-Website die Coca-Cola Company als Sponsor an. Der grösste Plastikverschmutzer der Welt sponsert COP27. Ein Unding, findet nicht nur Greenpeace.

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Gutmütig, verzweifelt, aufbegehrend  

Günter Lamprecht im Jahr 2010 bei seiner Ankunft zur Eröffnung der 60. Internationalen Filmfestspiele Berlin (Foto: Siebbi auf wikimedia commons)

Als Günter Lamprecht 90 Jahre alt wurde, hat der damalige Kiepenheuer&Witsch- Verleger Helge Malchow an eine Bemerkung von Susan Sonntag erinnert. Nach deren Auffassung sind drei Schauspieler in Europa wirklich herausragend. Emil Jannings, Jean Gabin – und Günter Lamprecht.

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Kipppunkte: Dynamiken und Blockaden der Klimapolitik

Die viel beschworene Transformation zur Klimaneutralität ist nicht nur eine technische und wirtschaftliche, sondern auch und nicht zuletzt eine gesellschaftspolitische und soziale Herausforderung. So zwingend der Konsens „der Wissenschaft“ auch sein mag, man sollte die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die ehrgeizigen Klimaziele, wie sie im UN-Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 formuliert sind, in Teilen der Gesellschaft immer noch auf Skepsis, teilweise sogar auf Ablehnung stoßen.

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Wie beim Roulette: Aktienanlagen, solider als Glücksspiele?

Bild: Sem auf wikimedia commons

Wenn von »Casino-Kapitalismus« die Rede ist, geht es meist um die Börse. Insbesondere die hochspekulativen Segmente des Finanzmarkts stehen im Verdacht, reine Glücksspiele zu sein – »gezockt« werde an der Börse wie am Roulettetisch. Die Profis der Geldanlage widersprechen dem vehement: Investitionen in Geldanlagen hätten nichts mit Zufall zu tun, sondern mit sorgfältiger Analyse, mit Weit- und Umsicht. Beides ist nicht ganz richtig. Weder ist der Erfolg bei der Anlage halbwegs verlässlich planbar, noch ist er reine Glückssache. Die Unsicherheit im Kapitalismus – nicht nur am Finanzmarkt – resultiert weniger aus den Launen des Zufalls, sondern wesentlich aus der Konkurrenz. Vier Gedanken zu Spiel und Spekulation.

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Wirtschaft und Gerechtigkeit, auf ewig geteilt?

Foto: Daniel Helpiansky auf Unsplash

Noch vor wenigen Jahren war es ein altes Eisenbahndepot an der Westseite New Yorks. Heute ragen dort Wolkenkratzer empor, die wie gigantische spiegelnde Glasscherben aus Manhattans Skyline ragen. Hudson Yards gilt mit einem Areal von elf Hektar und einem Investment von 25 Milliarden Dollar als das größte private Immobilienprojekt Nordamerikas. In der Shopping Mall finden sich Marken wie Rolex, Cartier, Dior, Fendi, nebenan sind die Büros von WarnerMedia, Boston Consulting, L’Oréal und des deutschen Softwarekonzerns SAP. Wer eines der Penthouse-Apartments mieten will, zahlt bis zu 70.000 Dollar monatlich. Für Stephen Ross, dem Immobilienmogul hinter dem Projekt, sind die Hudson Yards das neue Herz von New York, wie es auf der Webseite seines Unternehmens heißt. Für Kritiker:innen ist es ein monumentales Symbol des Spätkapitalismus und steht für alles, was falsch läuft in unserem System. In der Mitte hat Ross The Vessel – das Gefäß – bauen lassen, eine 16 Stockwerke hohe begehbare Skulptur, die Spötter wegen ihrer Form den Papierkorb getauft haben. Mit seinen 154 Treppen, die nirgendwo hinführten, sei das Vessel eine Metapher für Arbeit ohne Sinn, schrieb die Architekturkritikerin Kate Wagner (2019). Unter dem Vorwand, in den öffentlichen Raum zu investieren, verberge das leere ‘Gefäß’, so Wagner in ihrem Verriss, nur sehr fadenscheinig die Intention, “Luxusvermögenswerte für die kriminell Wohlhabenden” zu schaffen.

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„Ich habe diese Wackelpartei satt“

Bundestagswahl 5. Oktober 1980: Party der Wahlsieger im Bundeskanzleramt, Unionskandidat Franz-Josef Strauß unterlag (Foto: Ulrich Wienke auf wikimedia commons)

Für Helmut Schmidt war das Maß voll. Düster vertraute er seinen engsten Mitarbeitern am Abend des 7. September 1982 im Kanzleramt an: „Ich habe diese Wackelpartei satt.“ Wie satt, das konnten Kanzleramtschef Gerhard Konow und Regierungssprecher Klaus Bölling einem Redeentwurf entnehmen, an dem der Kanzler am Wochenende in seinem Haus in Hamburg gefeilt hatte. Er hatte sich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, und die Wackelpartei war am 1. Oktober 1982 wieder Regierungspartei, jetzt unter Helmut Kohl.

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