Stürzte Helmut Schmidt über einen Heiermann?  

20. April 1982, SPD-Parteitag in der Olympiahalle in München
(Foto: Harald Hoffmann auf wikimedia commons)

Am Samstag den 17. September jährt sich zum vierzigsten Mal der Tag, an dem eine rein sozialdemokratische Bundesregierung in Deutschland regierte. Das gab es vorher noch nie. Anschließend auch nicht. Es war eine kurze Regierungszeit, nämlich bis sich am 1. Oktober 1982 offiziell und im Parlament eine Mehrheit um den neuen Bundeskanzler Helmut Kohl geschart hatte. Aber immerhin: ein rein sozialdemokratisches Kabinett. Also ein Kabinett aus lauter Köchen ohne Kellner.

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„Vergesellschaftung“ sagt etwas Dummes und verschweigt Wesentliches

„Kann die Eigentumsfrage zum Kern eines progressiven politischen Projekts werden, das unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen nachhaltig organisiert und mobilisiert“, fragen die Veranstalter der Konferenz „Vergesellschaftung: Strategien für eine demokratische Wirtschaft“ (7.-9. 10. 2022 in Berlin). Wir sollten von Demokratisierung des Vermögens, nicht von Vergesellschaftung des Eigentums sprechen, weil „Vergesellschaftung“ etwas Dummes sagt und Wesentliches verschweigt.

Welchen Sinn hat Eigentum? Eigentum gibt es, um Zugriffe anderer abzuwehren. Es zieht eine Mauer, innerhalb herrscht das Verfügungsrecht, die Freiheit, als Eigentümer:in nach Gutdünken zu schalten und zu walten (inklusive der Möglichkeit, das Nutzungsrecht zu verkaufen). Verfügungsrechte werden oft politisch eingeschränkt; zum Beispiel gibt es ein Baurecht und ein Verkehrsrecht, mit Grundstücken und Fahrzeugen können auch die Eigentümer nicht einfach machen, was sie wollen – aber immer noch mehr, als es der Allgemeinheit und dem Planeten gut tut. „Eigentum verpflichtet“, steht im Grundgesetz, „zu nichts“ ergänzen die Marktgesetze.
Der entscheidende Punkt ist der Ausgangspunkt, nämlich dass Eigentum überhaupt nur als eine soziale Einrichtung existiert. Alles Eigentum ist gesellschaftlich, es braucht nicht erst vergesellschaftet zu werden. Wer trotzdem so redet, fällt auf eine klassische bürgerliche Einbildung herein, auf diese Robinsonaden, die suggerieren, Privatheit sei ein außergesellschaftlicher Zustand.
Eine bürgerlich-liberale Borniertheit ist es auch, zwischen persönlichen Habseligkeiten und großen Vermögen keinen Unterschied anerkennen zu wollen. Große Vermögen, Immobilien, Produktions- und Finanzmittel, kommen auch jetzt in ganz unterschiedlichen Eigentumsformen vor, als private, genossenschaftliche, gemeinnützige, öffentlich-rechtliche, staatliche etc.; keine dieser Formen, schon gar nicht die Verstaatlichung, diese Lektion mussten wir lernen, geht automatisch mit Demokratisierung einher. Die spannende Frage lautet, wie über die Verwendung von Vermögen entschieden wird. Entscheiden kleine Götter wie Elon Musk, Eigentümerfamilien, Oligarchen, Machtzirkel, Vorstandsbüros, Vereinsklüngel oder gibt es demokratische Entscheidungsprozesse. Demokratisierung von Vermögen kann der Kern eines progressiven politischen Projekts sein, wahrscheinlich ist es sogar das politische Projekt.

Das Ich fotografiert am liebsten sich

Bild: Dieterich01 auf Pixabay

Balance von Freizeit und Arbeit, der perfekte, ausgeglichene und „achtsame“ Geist – Berge von Ratgeberliteratur, ganze Industrien von Fitnessstudios, Wellnessfarmen, Yoga-Schulen und Lebensberatern beuten diese Manie der Selbstperfektionierung aus, die enorme Energien bindet und den Einzelnen in ein endloses Rennen um Vollkommenheit schickt. Die digitalen „sozialen“ Medien befeuern diesen Trend durch visuelle Dauerpräsenz, die Auflösung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem und einem kontinuierlichen Strom von Kommunikation, dem sich kaum einer entziehen kann.

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Die Kanzel-Kultur der Ampelkoalition

Bild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Sie nehme „natürlich wahr, dass die Menschen sich von dieser Regierung wünschen, dass wir noch mehr noch klarer kommunizieren, dass wir auch noch besser erklären“. Katharina Dröge, Co-Fraktionschefin der Bundestagsgrünen, schaffte es Ende April in einem Deutschlandfunk-Interview, das Wort „erklären“ gleich fünf Mal in einer einzigen Antwort unterzubringen. Das dürfte frequenzmäßig Rekord sein. Denn dass „Politik“ – schneidig ohne Artikel – mehr „erklären“ müsse, hörte man zwar schon länger gelegentlich. Nun aber ist das „Erklären“ scheinbar allgegenwärtig. Oft sprechen jüngere grüne Abgeordnete davon, wie wichtig das für „die Menschen“ oder gar „die Menschen da draußen“ sei. Und wer den Wirtschaftsminister Robert Habeck beobachtet, spürt irgendwann, dass es hier um mehr geht als nur eine modische Floskel, nämlich um einen politischen Modus.

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Sex, Drugs and Education

Intromusik: terrasound.de

Bildung als Massenveranstaltung war den Eliten immer verdächtig. Für Frauen waren Hochschulen jahrhundertelang Sperrgebiet. Das alte Gespenst der Überakademisierung geistert wieder durch die Lande. Machen wir es doch wie die Glaubensgemeinschaft der Amischen, die ein Leben führen nach dem Motto „ungebildet ist unverdorben“. „We don’t need no education“, Schluss mit den emanzipatorischen Faxen!

P. S. Erst einmal Schluss ist auch mit dem Auchdasnoch-Podcast. Nach einem Jahr nimmt sich Joe Kerr eine Auszeit und wird später gelegentlich wieder zum Mikrofon greifen. Thank you for travelling with us zu Bruchstücken des gewöhnlichen Wahnsinns!

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

Weitere Folgen von ‚Auch das noch!‚ zum Hören gibt es hier, wer nachlesen möchte, findet hier einen monatlichen Rückblick.

Der synodale Weg: Verdrängungskunst und Demütigungsbereitschaft

Die vierte Synodalversammlung des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland ist am 10. September 2022 in Frankfurt am Main zu Ende gegangen. Der »Synodale Weg« soll den gläubigen Laien mehr Mitsprache in der Kirchen-Hierarchie ermöglichen. „Trotz harscher Kritik aus dem Vatikan wollten die deutschen Katholiken ihren Reformprozess Synodaler Weg fortsetzen“, schreibt die Aachener Zeitung. Doch schon zum Auftakt „herrschten Fassungslosigkeit, gewaltige Enttäuschung, Tränen flossen: ein grundlegender Text zur kirchlichen Sexualmoral scheiterte bei der Abstimmung an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe. Der Text, der eine Liberalisierung der kirchlichen Sexualmoral anstrebte, stieß zwar in der allgemeinen Abstimmung auf 82 Prozent Zustimmung. Aber nur 33 Bischöfe stimmten für den Text bei 21 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen.“

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Grundeinkommen: Wichtige Fragen sind längst beantwortet

Bild: Lightfoof for chicago auf wikimedia commons

«Willst du wissen, ob das Grundeinkommen faul macht?» Diese Frage stellen die Initianten, die aus der Stadt Zürich ein Testlabor fürs bedingungslose Grundeinkommen machen wollen. Am 25. September wird über das Pilotprojekt abgestimmt. Gelder für ihre Kampagne sammelten die Initianten per Crowdfunding, mit dem Versprechen: «Dein Beitrag macht es möglich, dass wir endlich wissen werden, ob Grundeinkommen in einer Gesellschaft funktionieren kann oder nicht.» Der Artikel erschien zuerst auf Infosperber.

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„Wir fühlen uns nun alle als Ukrainer“  

Natalia lebt mit ihrer Tochter und ihrem Mann in der ukrainischen Hauptstadt. In loser Folge berichtet sie im Gespräch mit Ludwig Greven über den Alltag im Krieg.
Ich bin unserer ukrainischen Armee unendlich dankbar. Denn ich habe wieder mein normales Leben, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Ich kann zur Arbeit zu gehen, Geschäfte und Cafés besuchen, in Parks gehen und meine Eltern besuchen. All das war zu Beginn des Krieges undenkbar, als die russische Armee Kyjiw belagerte und mit Raketen beschoss.

Bild: geralt auf Pixabay
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„Beim RBB gab es ein Organversagen“  

Trotz der fristlosen Kündigung der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger droht die Krise beim RBB die ARD und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt in Verruf zu bringen. Forderungen nach einer Reform der Aufsichtsgremien werden lauter. Diemut Roether, verantwortliche Redakteurin des Evangelischen Pressedienstes (epd), sprach mit dem Medienwissenschaftler Otfried Jarren über das Versagen der Aufsicht beim RBB und darüber, wie die Aufsicht in der ARD und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk organisiert werden müsste. Bruchstücke dankt, das Interview übernehmen zu können, das vor dem Hintergrund des Aufruhrs um eine vorgeschlagene Interims-Intendantin umso erhellender ist .

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Der Sozialstaat hat wesentliche Aufgaben ordentlich gelöst  

Eine Vielzahl von Ankündigungen und Deutungen besagt: Im Winter zieht eine schwere Rezession herauf: Stagnierendes beziehungsweise rückläufiges Wachstum während wenigstens zweier Quartale im Vergleich zu vorausgegangenen Zeitabschnitten; also dünner werdende Orderbücher, schrumpfende Aufträge, schrumpfende Produktionen, fallende Auslastung, ungenutzte Arbeitskraft, fallende Beitragszahlungen und Steuern. All das käme zu explodierenden Energiekosten, hoher Inflation, steigenden Zinsen und Kriegsangst hinzu. Fallen Land und Leute in die Vergangenheit zurück? Einige Hinweise auf Fortschritte.

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Unfehlbare, nicht nur auf Sendung, auch an der Regierung

Foto: Armin Kübelbeck auf wikimedia commons

Jüngst durften wir hier eine sehr interessante Analyse von Dieter Pienkny über den mentalen Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlichen. Pienkny ist Journalist, war sehr viele Jahre — entsandt vom DGB — stellvertretender Vorsitzender des rbb-Rundfunkrats und ist seit einigen Wochen aufgrund anhaltender Rücktritte nun Vorsitzender des rbb-Rundfunkrates. In seiner Analyse, basierend auf einer mehr als 20jährigen Kontrolltätigkeit in Sachen öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommt er zu diesem Schluss: „Die ARD, und damit meine ich Chefredakteure, Programmdirektoren o.ä, die ich in all den Jahren erlebte, pflegen ihr Unfehlbarkeitsdogma in Programmfragen und wedeln die Meinungen der Gremien als lästige Einmischung weg. … Die ARD-Oberen sind in vielen Bereichen kritik- und beratungsresistent, ihnen fehlt schlichtweg eine Fehlerkultur.“ Dieses fest verankerte vatikanische Dogma der Unfehlbarkeit hat die Grenzen der ARD überschritten und die Bundesregierung erreicht.

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Cliffhanger, Teaser und andere Lockvögel

Intromusik: terrasound.de

Online-Nachrichten fallen über das Publikum her wie ein Lockvogel-Schwarm. Köder auszuwerfen, ist zur ersten Journalisten-Pflicht geworden. Da kann passieren, was will, das Publikum muss zum Klick verführt werden. Klicks sind die Währung der Internet-Ökonomie. Der Teaser darf nicht verraten, was kommt, aber er soll den Eindruck erwecken: das Beste kommt noch.

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

Weitere Folgen von ‚Auch das noch!‚ zum Hören gibt es hier, wer nachlesen möchte, findet hier einen monatlichen Rückblick.

Atomkraftwerk Saporischschja (Teil 2) Attacken, Chaos, Dementis

Screenshot 2. September 2022, 19.59h: Pressekonferenz des IAEA-Direktors Rafael Grossi

Am 1. September traf eine Delegation der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) nach gefahrvoller Anreise im Atomkraftwerk Saporischschja ein. Sowohl die Ukraine als auch Russland haben der Mission der Wiener Nuklearexperten offiziell zugestimmt. Nichtsdestoweniger geriet das russische besetzte Kraftwerk in der Stadt Enerhodar bis kurz vor Ankunft der UN-Diplomaten mehrfach unter Beschuss. Wie üblich warfen sich die beiden Kriegsparteien gegenseitig vor, dafür verantwortlich zu sein. Welche Logik, welche Interessen stehen hinter dem chaotischen Kräftemessen, das eine atomare Katastrophe riskiert?

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Atomkraftwerk Saporischschja (Teil 1): Wissenschaftler für sofortige Abschaltung

Screenshot: Website Energoatom, das ukrainisches Staatsunternehmen, das mit dem Betreiben aller ukrainischen Kernkraftwerke betraut ist

Einen anhaltenden Beschuss des Atomkraftwerk Saporischschja melden die Nachrichtenagenturen. Wie konkret die Gefahr eines Atomunfalls inzwischen ist, lässt sich daran ablesen, dass die ukrainischen Behörden der Region damit begonnen haben, vorsorglich Jod-Tabletten an die Bevölkerung zu verteilen. Die EU-Kommission hat angekündigt, dass ihre Mitgliedsstaaten der Ukraine fünf Millionen Kaliumjodtabletten spenden werden. Am 1. September traf eine 14-köpfige Delegation der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) unter der Leitung von Generaldirektor Rafael Grossi vor Ort ein.

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Ein Bauer im Senegal

Ein junger Bauer aus dem Senegal sah sich gezwungen, nach Europa zu gehen, um Geld zu verdienen. Dieses Land ist für Naturgefahren wie Küstenerosion, Dürren, Überschwemmungen und Heuschreckeninvasionen besonders anfällig. Der Klimawandel verschärft diese Risiken insbesondere für Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen (KKMU). Ihre Anpassungsfähigkeit an die Risiken des Klimawandels scheint jedoch gering. Mehrere Ministerien und Behörden des Senegals unterstützten zwar ihre Entwicklung, aber es fehlt immer noch ein klarer Business Case, um die Maßnahmen zu beschleunigen.2

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