Leidenschaften monetarisieren: Wohin treibt die digitale Wirtschaft?

Heinrich Rudolf Zille, genannt Pinselheinrich, bei der Arbeit
(Bild: Public Domain)

Hinter dem Bindestrich steht -Economy, davor stellen kalifornische Kapitalismus-Groupies „Passion“, andere weniger enthusiastisch „Hustle“. Wo jene Liebe und Leidenschaft verorten, erkennen diese Hektik und Bedrängnis. Ob positiv benannt oder negativ, es geht um Wirtschaft und Arbeit. Die Coronakrise lässt zwar alternatives Denken aufblühen, aber sie treibt auch Entwicklungen auf den Trampelpfaden unserer Gesellschaft voran, in diesem Fall die Kommerzialisierung. Die modernen Megatrends, alle Tätigkeiten in Arbeit, Arbeit in Erwerbsarbeit und Freizeit in Konsumzeit zu verwandeln, erreichen auf Online-Plattformen gerade eine neue Stufe. Letzte wirtschaftsfreie Zonen werden auf Möglichkeiten des Gelderwerbs hin gecheckt. Noch mehr als gestern scheint heute und morgen zu gelten: „Beziehungen zwischen Menschen werden zu wahrgenommenen oder verpassten Gelegenheiten, Geld zu verdienen“ (Tilman Baumgärtel). Eine Reflexion unter fünf Perspektiven.

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An meine Generation: Was machen wir aus unserem historischen Lottogewinn?

Turnschuhe von Joschka Fischer, in denen er 1985 den Amtseid als erster Grüner Minister in Deutschland leistete. Aufgenommen im Ledermuseum Offenbach | https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:CC-BY-SA-4.0

Noch nie sind so viele Menschen in Ruhestand gegangen, die hochqualifiziert sind, und eine immense fachliche und gesellschaftliche Erfahrung haben. Im Gegensatz zu früheren Generationen genießt eine große Zahl von ihnen eine gute Gesundheit und ist dazu noch materiell komfortabel versorgt. Nach vielen Jahren des beruflichen Eingespannt-Seins bietet sich vielen von uns wieder ein großes Maß an Freiheit. Alles in allem ein riesiges Potential, das mitgestalten und beeinflussen könnte. Engagement im Konjunktiv – in einer Situation überbordender Probleme, extremen Leidensdrucks für Milliarden weltweit und hochbrisanter Zukunftsgefahren auch bei uns. Alles noch zusätzlich gesteigert durch die Covid19-Pandemie und ihre massiven sozio-ökonomische Auswirkungen.

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Skandal? Skandal!

Foto: Suicasmo | CC-BY-SA-4.0

So viel Empörung war selten. Einen „unerträglichen Angriff auf das Herz unserer Demokratie“ hat der Bundespräsident beobachtet. „Ich bin wütend“ wiederholt am Sonntagabend mit grimmiger Miene die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Weil das Demonstrationsrecht für Nazipropaganda missbraucht worden sei. „Wütend und fassungslos“ sei er, gibt auch der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zu Protokoll. Die politische Elite war sich ungewohnt einig. Und um das Setting zu betonen, lud Frank-Walter Steinmeier 48 Stunden später sechs „Helden-Polizisten“ (BILD-Zeitung) zum Erfahrungsaustausch in sein Schloss. Was war eigentlich passiert?

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Ich, Olaf Scholz

Bei der Regionalkonferenz zur Wahl des SPD-Vorsitzes am 10. September 2019 in Nieder-Olm
Foto: Olaf Kosinsky under the free licence CC BY-SA 3.0-de

Wie ist er denn so? Vor allem unverwüstlich. Als er das Ringen um den SPD-Vorsitz verlor und bei der Bekanntgabe des Ergebnisses am Abend des 30. November 2019 sogar sichtbar kurz erschüttert wirkte, schien er wieder einmal am Ende — um neun Monate später Kanzlerkandidat zu sein. Die Co-Vorsitzende Saskia Esken meinte bei der Präsentation: „Scholz hat den Kanzler-Wumms.“ Er: „Ich freue mich über die Nominierung als Kanzlerkandidat – und ich will gewinnen.“
Wie er so ist? Wirkt alles erwartbar solide. Wer einen Blick auf sein politisches Leben wirft, kann Scholz allerdings auch so sehen: Er ist alles andere als ein Parteigänger der Zuverlässigkeit. Seine Spezialität: nicht selten gegenteilige Haltungen einnehmen und diese jeweils mit der Maßlosigkeit des 150-Prozenters vertreten.

Als Hörstück, gesprochen von Jana Gebauer, findet sich dieses Porträt hier.
Als edition bruchstuecke #3 steht der Text
auch als pdf zum Download zur Verfügung.

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Vagabundenkongress in Berlin – Impressionen und Gespräche

1929, 1981, 2020: Fast hundert Jahre nach dem Original fand wieder ein Vagabundenkongress statt, dieses Mal vom 21. bis 23. August 2020 in Berlin. Organisiert hatte ihn „Unter Druck – Kultur von der Straße e.V.“. Laut eigenen Angaben handelt es sich hierbei um einen Verein für Wohnungslose und sozial ausgegrenzte Menschen, Menschen am Existenzminimum und Menschen, die sich mit ihren Ideen und Eigeninitiativen für ihre Belange selbst einsetzen. Der Verein hat eine eigene Theatergruppe, die dann auch beim Vagabundenkongress auftreten durfte. Doch eins nach dem anderen.

Foto: Maik Eimertenbrink
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Nachhutgefechte intellektueller Wiederkäuer – Über Scholz & Co

Die “Eidgenössische Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen” schüttet am 4. Oktober 2013 um 10.15 Uhr 8 Millionen „Fünferli“ auf den Berner Bundesplatz. Quelle:
https://www.flickr.com/photos/generation-grundeinkommen/10577574344/

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) habe er „schon immer falsch gefunden“, unterstrich der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Olaf Scholz in der zurückliegenden Woche. Ver.di-Ökonom Dirk Hierschel, der einmal ein SPD-Vorsitzender werden wollte, bescheinigte Scholz via Twitter „guten Klartext“ und haute in dieselbe Kerbe: „Ein BGE fördert Kombilöhne, zerstört Tarifverträge, schwächt die Gewerkschaften und sozialen Sicherungssysteme. Finger weg!“ Nicht für möglich zu halten, dass heute richtig sein könnte, was man schon vorgestern falsch fand, ist eine bewährte Methode, aus der Zeit zu fallen und an alten Fronten Nachhutgefechte zu führen. Das Vorstellungsvermögen wird an die Kette gelegt wie ein Hund, der den Aktionsradius vor seiner Hütte nicht übertreten darf. Weshalb tun sich gute alte sozialdemokratische und gewerkschaftliche Köpfe so schwer, im BGE einen diskussionswürdigen Lösungsvorschlag zu sehen? Weil sie nicht weiter denken, weil sie als intellektuelle Wiederkäuer in der politischen Landschaft stehen.

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„Ich WILL das nicht mehr!“ Das Virus hört es nicht oder ignoriert es

Man kann im Moment sehr gut studieren, was Glaubenssysteme sind, wie sie funktionieren und wie sie sich individuell und kollektiv in der Praxis auswirken. Dazu eine kleine Analyse im Kontext “Corona”, mit dem sich das Thema “Glaubenssysteme” gut illustrieren lässt.



Ausstellungsraum der Stiftung Kloster Dalheim. Landesmuseum für Klosterkultur, Sonderausstellung: “Verschwörungstheorien – früher und heute”, Abbildungen: Dolchstoßlegende, Baphomet
Foto: LWL/Alexandra Buterus
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Tödliches Terrain – eine akustische Erzählung

Der Schriftsteller Peter Weiss, 1916 in Babelsberg unweit des späteren KZ Sachsenhausen geboren, hat das Unfassbare geschildert:

„Dann, im Frühjahr 1945, sah ich den Endpunkt der Entwicklung, in der ich aufgewachsen war […] Dort vor uns, zwischen den Leichenbergen, kauerten die Gestalten der äußersten Erniedrigung, in ihren gestreiften Lumpen. Ihre Bewegungen waren unendlich langsam, sie schwankten umher, Knochenbündel, blind füreinander, in einem Schattenreich. Die Blicke dieser Augen in den skeletthaften Schädeln schienen nicht mehr zu fassen, dass die Tore geöffnet worden waren.“

Aus: Fluchtpunkt, ein autobiographischer Roman

Anlässlich des 75. Gedenkfeiertags der Befreiung des KZ Sachsenhausen entstand an und im Umfeld der Filmuniversität Babelsberg das fünfteilige Hörstück „Tödliches Terrain. Eine akustische Erzählung“. Kreatives Erinnern – gegen das Vergessen und gegen einen neuen Faschismus.

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„Die Angst vor der Katastrophe macht noch keine bessere Zukunft“

Auf dem Cover steht „Heft 1 – April 2020“. Das ist eine Irreführung. Unter dem Titel „Klima und Zivilgesellschaft“ ist dieses „Forschungsjournal Soziale Bewegungen“ (FSB) gerade erst erschienen. „Herausgeber und Redaktion waren der Meinung, dass eine umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel aus der Perspektive der Zivilgesellschaft, wie wir sie jetzt vorlegen können, eine derartige Verzögerung rechtfertigt. Aber urteilen sie selbst“, schreibt Ansgar Klein im Editorial. Die Tonalität dieser Einladung lässt ahnen, dass sich die Redaktion ihrer Sache sicher ist. Mit Recht. Eine bessere Einführung, Übersicht, Problembeschreibung, Analysetiefe, Perspektivenauswahl, Diskursqualität zu diesem Thema aller Themen kenne ich nicht – obwohl ich der Meinung bin, dass der Begriff der Zivilgesellschaft eine operative Illusion ist.

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Tony Judt: Öffentlich Position beziehen

Die heikle Verantwortung der Intellektuellen: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre im Gespräch mit Che Guevara
(Foto: Public Domain)

Für den angelsächsischen Begriff des ‘public intellectual’ gibt es im Deutschen zwar eine unbeholfene Übersetzung, den ‘öffentlichen Intellektuellen’, aber keine wirkliche Entsprechung. Mit Ausnahme vielleicht von Jürgen Habermas und Hans-Magnus Enzensberger haben sich hier in den letzten Jahrzehnten denn auch kaum Gelehrte so in den öffentlichen Diskurs eingebracht, dass ihre Stimme im Land und über seine Grenzen hinaus Gewicht und Bedeutung hätte. Wenn wir von ‘public intellectuals’ sprechen, beziehen wir uns meist auf andere Sprach- und Kulturkreise: historisch zum Beispiel auf das rive gauche im Paris der 50er bis 70er Jahre. Oder eben auf den angelsächsischen Diskurs, der sprachbedingt einigermaßen mühelos Staaten wie die USA, Kanada und Großbritannien umfasst.

Der britische Historiker Tony Judt, der genau heute vor 10 Jahren an den Folgen der unheilbaren Krankheit ALS verstarb, wird immer wieder als Prototyp des ‘public intellectual’ gehandelt. In seinen letzten 15 Lebensjahren leitete er das von ihm gegründete Erich-Maria-Remarque-Institut für Europastudien an der New York University. Judts opus magnum, das 2005 erschienene Postwar (dt.: Geschichte Europas), ist eine breit angelegte Darstellung der europäischen Nachkriegsjahre im Schatten der Weltkriege, explizit motiviert durch den Perspektivwechsel, der sich aus dem Zerfall des Ostblocks ergab.

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„Ein Porträt der nächsten Pandemie“

Treffen der UN-Ebola-Taskforce im September 2014
(Foto: UNMEER/Simon Ruf)

In diesem Frühjahr erschien ein Buch, das für all diejenigen, die in Regierung, Parlament und Unternehmens-Etagen Verantwortung tragen, unangenehm ist. Unangenehm, weil es Monate vor Ausbruch der Covid19-Pandemie geschrieben wurde und diesem Überraschungs-Getue nach der Devise: „Das konnte ja niemand ahnen, dass ein so böses Virus so flink von Wuhan nach Flensburg und Konstanz kommen kann“ endgültig den Garaus macht.

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Manager der „Mangel-, Miss- und Kommandowirtschaft“

Um die Tränen zu trocknen, die der DDR-Wirtschaft nachgeweint werden, reicht ein einzelnes Papiertaschentuch aus – oder ist das nur die Mainstream-Perspektive westlicher Wiedervereiniger, die vor und 30 Jahren als Vereinnahmer gen Osten zogen? Die Deutsche Demokratische Republik ist Geschichte, vielleicht nicht politisch, aber ökonomisch scheint die deutsche Gegenwart mit der ostdeutschen Vergangenheit ein für allemal fertig zu sein. Ist es überhaupt bemerkenswert, wie wenig erwähnenswert die DDR-Ökonomie noch ist? Die Erzählsalons eines „Projekts zur Erkundung der DDR-Wirtschaftsgeschichte“ lassen ehemalige Kombinatsdirektoren der DDR zu Wort kommen.

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Exit, Exitus, Exodus oder was?

Flughafen München 2019 | Foto: Jürgen Schulz

„Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“ Herbert Wehners lapidare Bemerkung galt Bundestagsabgeordneten, die aus Protest gegen seine Rede zur inneren Sicherheit 1975 den Plenarsaal verließen. Ungleich schwerer erscheint das Wiederhereinkommen nach dem Lockdown des Frühjahrs 2020. Über eine Rückkehr wird unter dem Namen „Exit“ verhandelt. Politik, Journalismus und wissenschaftliche Sachverständige debattieren über eine sogenannte „Exitstrategie“. Überwiegend geht es dabei um die Rückkehr zu einer individuellen und kollektiven Vorstellung von Normalität. Warum muss dafür das Wort Exit herhalten? Ist doch bei Exit, abgesehen von der synonymen religiösen Bedeutung des Heimgangs, keine Rückkehr vorgesehen. Der lateinische Ursprung des Wortes verweist auf das Ende. Für Medizinerinnen ist der Exitus das Ende ihrer Möglichkeiten. Für die Eröffnung von Möglichkeitsräumen hingegen steht das Wort Exodus.

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Grobianische Weltanschauungen und kuscheliger Betroffenheitskult

In der Sache lohnt es sich nicht, auf die völlig missratene Polizei-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah in der taz vom 15. Juni 2020 zurückzukommen. Die grundsätzlichen Fragen, die sich daraus ergeben, haben sich jedoch nicht erledigt. Man kann die Kolumne zum Anlass nehmen, sich zu fragen, wie solche Texte den Weg in die Zeitung finden und auf welchen intellektuellen und mentalen Voraussetzungen diese Art von Journalismus beruht.

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