Impfnationalisten, schwer gekränkt

Da Deutschland sich auf fast allen Gebieten meist weit vorne wähnt, komme so etwas einer „großen Kränkung“ gleich, vermutet Harald Welzer, Sozialpsychologe. Dieses „etwas“ fasste die selbsternannte Volksstimme Bild Anfang Februar in diese Headline: „Briten-Häme über unser Impfdebakel“; und die dortigen Boulevardblätter komplettieren die Schmach und titeln „Thank God we left“, „Gott sei Dank, sind wir draußen“. Die Bild-Schlagzeile findet sich, sprachlich kaum variiert, auch im Spiegel, im heute-journal, in weiteren Medien und in den Reden der Opposition. Die Klage wird so harsch vorgetragen, dass es schon verwundert, warum nicht noch drastischer von Impfschande, gar den zahllosen Impfschande-Toten die Rede ist. Eine konsumverwöhnte Gesellschaft und ihre Journalisten-Elite kennt keinen Mangel. Und duldet ihn auch nicht.   

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Die Welt ist voller toxischer, mächtiger Männer, Tendenz steigend

Foto:Geralt auf Pixabay

Die Psychoanalytikerin Marie-France Hirigoyen kennt sie aus ihrer Praxis für Psychoanalyse: Personen mit einer pathologischen Narzissmusstörung. Meistens suchen allerdings deren Opfer Hilfe bei ihr, weil Narzissten selten auf die Idee kommen, dass sie krank sein könnten. Die Autorin beginnt ihre Ausführungen nicht mit einem theoretischen Überbau, sondern führt den Leserinnen und Lesern zunächst das Paradebeispiel eines toxischen Narzissten vor. Der abgewählte ehemalige US-Präsident Donald Trump erfüllt aus Sicht der klinischen Diagnose alle Kriterien. Neun sind es an der Zahl, und die Autorin füllt jedes einzelne mit Beispielen aus Donald Trumps Verhalten.

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Es war einmal Würde… haarige Märchen in pandemischen Zeiten

Aus langen Haaren Aufmerksamkeit und Kapital schlagen: Die Rolling Stones der Augsburger Puppenkiste
(Foto: photovicky auf Pixabay)

„Mit Würde zu tun“, hat für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Öffnung von Friseursalons. Eine Frage der Würde ist die Frisur bereits im Struwwelpeter von 1844: „Kämmen ließ er nicht sein Haar. […] Pfui! ruft da ein jeder: Garst’ger Struwwelpeter“. Es war einmal vor langer Zeit…

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Wie von Geisterhand

„Electricity may be the driver“: Der Traum vom selbstfahrenden, stromgetriebenen Automobil. Illustration einer Annonce der America’s Independet Electric Light and Power Companies aus den 1950er Jahren.

Als ich ein Kind war, blätterte ich immer wieder fasziniert in einem hübsch illustrierten Buch über die Zukunft. Die war farbenfroh, die Menschen waren entspannt, alles schien so heiter und so leicht zu werden. Als ich ein Kind war, vor mehr als 40 Jahren, erschien mir die Zukunft als ganz großes Versprechen. Vieles, was ich als Junge blöd oder störend erlebt hatte, würde schon in wenigen Jahrzehnten besser gelöst sein. Zum Beispiel quälend lange Autofahrten. Am Beginn der 2020er-Jahre bleibt mir ein Unbehagen über das Kommende. Und die Frage: Wird mein nächstes Auto wissen, wohin ich wollen soll?

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Krise der Demokratie

Krise der Demokratie
Aus einem Vortrag von Horst Kahrs im Rahmen des Forschungsmoduls Entscheidung – Risiko – Krise an der Universität der Künste Berlin.

Horst Kahrs ist Sozialwissenschaftler, er arbeitet zu den Themen Klassen und Sozialstruktur, Demokratie und Wahlen, seit mehreren Jahren ist er am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung beschäftigt. Unter dem Titel “Krise der Demokratie” analysiert er auch die Gefahren des Rechtsextremismus und die Wählerbasis der AfD. © 2021

Lizenz zum Meutern?

Begrüßungsbogen am Eingang der malischen Hauptstadt, fotografiert 2013 (wikimedia commons)

Die Nachrichten aus der malischen Hauptstadt Bamako  waren irritierend. Es war im August des vergangenen Sommers, im angeblichen Sahel-Vorzeigeland stürzte ein „Nationales Komitee zur Errettung des Volkes“ den amtierenden Präsidenten, und schnell sprach sich herum: Der Anführer der Junta, General Assimi Goita, hatte in früheren Jahren Antiterror-Lehrgänge unter anderem in Deutschland und Frankreich besucht.
Deutschland bildet Offiziere und Sicherheitsexperten aus der ganzen Welt aus. Aber was machen die eigentlich mit ihren erworbenen Fähigkeiten?

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11. Gebot: Du sollst deine Kinder ehren

Foto: Jürgen Schulz

Woher stammt eigentlich die Geschichte von der verdorbenen Spaßjugend, die im Corona-Lockdown ihre Alten aufs Spiel setzt? Der einzig erzählenswerte Elternmord geht auf das Konto von Ödipus. Den Titel eines Kultfilms meiner Eltern zitierend, muss man über den tragischen Helden allerdings sagen, dass er nicht wusste, was er tat. Ansonsten sind Kinder immer die Leidtragenden. Hänsel und Gretel werden aus fadenscheinigen Gründen im Wald ausgesetzt, Schneewittchen wird von ihrer Stiefmutter malträtiert. Die Tötung und Aussetzung der Nachwachsenden ist überhaupt die Wurzel allen Übels. In jeder Gemeinde liest man auf den Kriegerdenkmälern von „Söhnen“, die ihr Leben ließen.

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Politisch tauber und sozial blinder Laizismus macht alles nur noch schlimmer

Foto: misign auf Pixabay

Seit dem 7. Januar 2015, dem Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“, gab es in Frankreich acht terroristisch-islamistische  Anschläge mit insgesamt über 230 Todesopfern. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte schon nach dem schwersten Anschlag mit 130 Opfern im November 2015 den „Krieg“ gegen den Terror ausgerufen. Außer vermehrten polizeilichen Kontrollen brachte dieser Aufruf nichts ein. Jetzt vergiftet ein aktuelles Gesetzesvorhaben das angespannte politische Klima zwischen Staat und Religionen in Frankreich noch mehr.

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Von der Katastrophe zum Mythos

„Eines der tragenden Fundamente jedes modernen Staates ist sein Bildungssystem. Niemand müsste das besser wissen als die Deutschen.“
„Bildung gilt als Allheilmittel für fast alle gesellschaftlichen Missstände.“

Zwischen diesen Feststellungen liegt ein halbes Jahrhundert. Mit den ersten beiden Sätzen leitete der Altphilologe Georg Picht in der Mitte der 1960er Jahre „Die deutsche Bildungskatastrophe“ ein, eine Artikelserie im damaligen protestantisch-bildungsbürgerlichen Leitmedium „Christ und Welt“. Er schockte die behäbige, reformunwillige Adenauer-und Erhard-Republik, forderte die Verdoppelung der Abiturientenzahlen, Mittelpunktschulen im ländlichen Raum, um den „katholischen Mädchen“ eine Chance zu geben, eine Kehrtwendung im Lehrerberuf. Mit dem Hinweis auf das Allheilmittel Bildung beginnt Aladin El-Mafaalanis Erfolgs-Buch seine Betrachtung des heutigen deutschen Bildungssystems. Er macht aus der Katastrophe von einst einen Mythos: nach fünfzig Jahren „Reförmchen“ herrschten nach wie vor Ungerechtigkeit und Ungleichheit in der Schule und durch die Schule.

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Denkblockaden und Sprechverbote der Kurzschluss-Moral

Bild: torstensimon auf pixabay

Sich empören zu können, ist wichtig. Weil es ohne Empörung keinen wirksamen Aufstand gegen zynische Machtanmaßung und dreiste Privilegien gibt. Empörung mobilisiert, auch weil sie eine starke Lustkomponente hat. Ohne die Lust sich zu empören, hätten wir wohl viel schlimmere politisch-gesellschaftliche Verhältnisse auf diesem Planeten. Moralische Empörung kann allerdings auch zum Gegenteil führen, zum gesellschaftlich Schlechteren. Empörung wird problematisch, wenn sie im Kurzschluss, im Reflex und ohne Abwägung der Zusammenhänge losbricht. Ich will diese Kurzschluss-Moral an zwei aktuellen Beispielen der Corona-Politik darstellen, an der Impf-Priorisierung und am Immunitätsausweis.

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Für ein (linkes) deutsches Publikum geht es hier hart zur Sache

Der “Karneval der Kulturen” ist ein Straßenfest in Berlin-Kreuzberg, das seit 1996 jährlich um das Pfingstwochenende herum gefeiert wird. (Foto: MSchnitzler2000/ wikimedia commons)

Was verbindet die viel beschworene französische Laizität, diese strikte Trennung von Staat und Religion, mit dem deutschen Multikulturalismus und dem italienischen Machismo aus katholischer Tradition? Die italienische Philosophin, Bloggerin und Autorin Cinzia Sciuto verweist alle drei Themen in den Bereich des Glaubens und räumt mit starken Thesen linke Gewissheiten vom Tisch, für die Themen wie Identität, Religion oder radikaler Islamismus gern als „rechtslastig“ gelten und ausgeklammert werden.

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Mit höherem Mindestlohn gegen Rechtspopulismus?

Am 1. Mai 2019 in Hamburg (Foto: wikimedia commons)

Da in linksliberalen Kreisen in den USA, wie in Deutschland, Themen rund um Identitäten klassische soziale Fragen verdrängten, spielte die folgende Forderung von Joe Biden im dortigen Wahlkampf kaum eine Rolle, sie wurde auch bei uns kaum wahrgenommen: Er will in einem großen Schritt den nationalen Mindestlohn auf 15 Dollar erhöhen. Kann ein solches politisches Signal der Anerkennung gerade der prekären Arbeit gegen Rechtspopulismus helfen? Auch in Deutschland?

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Die sieben parteipolitischen Hürden für Armin Laschet

Fotos: Pedelcs / CC BY-SA 3.0 und Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 / wikimedia commons

Es war eine Zäsur an diesem 16. Januar 2021, einem Samstag. Doch anders als geplant. Vorgesehen war ein Aufbruch nach über 18 Jahren Angela Merkel als Parteivorsitzende und einem Zwei-Jahres-Intermezzo von Annegret Kramp-Karrenbauer. Drei Männer standen im Ring, einer, der 59jährige Armin Laschet, obsiegte schließlich mit 52,8 zu 47,2 Prozent gegen Friedrich Merz. Doch war es wirklich die erhoffte Befreiung? Vieles spricht dagegen.

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Muss der Computer das Erbe des Buches demolieren?

Bild: Geralt auf Pixabay

Es geht um die Verteidigung des Kerns der Bibliotheken: das ungestörte monologische Arbeiten mit einer großen und geordneten Sammlung an Büchern und digitalen Medien. Ich habe ein ziemlich starkes Interesse daran, dass dieser Kern nicht aufgegeben wird. Manche aktuellen Tendenzen blockieren oder vernichten die Entwicklungspotenziale dieses Kerns; sie fördern die schädliche Neigung, einzuebnen und zu verflachen. Dann könnte in der Zukunft kein eigensinnig Anderes und Neues entstehen.

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Avocado oder Advokat – mit menschlicher und maschineller Übersetzung interkulturell unterwegs

Bild: Geralt auf Pixabay

Kenntnisse von Fremdsprachen sind global, aber auch innerhalb Europas die Bedingung der Möglichkeit sich zu verständigen. Deshalb überrascht es nicht, wie wenig der Tourismus  zum kulturellen Zusammenhalt in Europa beigetragen hat. Urlauber können ein Land besuchen, ohne Zugang zu den Menschen außerhalb der touristischen Zentren zu finden. Aber auch die Intellektuellen, die „europäische Werte“ in Konzepte gegossen haben, fanden keinen (nennenswerten) Zugang zur Lebenswelt großer Teile der Bevölkerungen. Können maschinelle Übersetzungen daran etwas ändern? Eignet sich der Computer nicht nur als Arbeits- und Unterhaltungs-, sondern auch als universale Verständigungsmaschine?

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