2023 fanden in Deutschland die “Invictus Games” statt. Das Sportereignis, gesponsert vom Flugzeugbauer Boeing, verfolgte auch ein durchaus honoriges Ziel: Mit Hilfe der ausgetragenen Wettbewerbe sollte sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Leid von Kriegsversehrten richten. Darüber berichtete auch das Aktuelle Sportstudio im Zweiten Deutschen Fernsehen. Eingeladen waren der gediente Verteidigungsminister Boris Pistorius sowie der britische Prinz Harry, der einst im Irak seinen Militärdienst absolvierte. Zwei weitere Ex-Soldaten traten auf: Der eine hatte bei seinem Einsatz in Afghanistan beide Beine verloren, der andere berichtete über seine andauernde posttraumatische Belastungsstörung.
„Soziales Unternehmertums“ stärker zu beachten und besser zu fördern, wird als probates Mittel zur Überwindung der Innovationsschwäche und der oft enttäuschenden Wirksamkeit der Sozialpolitik empfohlen. Seit den späteren 1990er Jahren gab es eine Vielzahl von Initiativen auf europäischer wie auf nationaler Ebene, unternehmerische Elemente im Bereich sozialer Interventionen im weiteren Sinne zu entwickeln, nicht nur im Bereich staatlich programmierter und finanzierter sozialer Praxis, sondern auch im Bereich zivilgesellschaftlichen Engagements und sozial verantwortlicher Unternehmensführung in der Wirtschaft. Die Literatur zum sozialen Unternehmertum in Wissenschaft und sozialpolitischer Praxis ist inzwischen nur noch schwer zu überschauen. Das Handbuch „Social Entrepreneurship in Deutschland“ gibt einen guten Überblick über konzeptionelle Ansätze, den fachlichen Entwicklungsstand und Problemfelder bei der Umsetzung sozialunternehmerischer Initiativen.
„Einen Kommentar zur derzeit schwebenden Wahl eines Richters und zweier Richterinnen an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) abzugeben, fällt mir nicht leicht, weil man sich den Betroffenen fachlich wie menschlich verbunden fühlt. Der beschämende Umgang mit dem Wahlvorgang und zwei fachlich offenkundig hervorragend geeigneten Kolleginnen hat viele empört – auch mich. Empörung ist aber nie ein guter Ratgeber. Die Causa bietet jedoch einen Anlass, sich die rechtliche Funktion des Wahlverfahrens, dessen ungeschriebene Voraussetzungen und damit die Gelingensbedingungen von überzeugenden Richterwahlen näher anzusehen“, schreibt Klaus Ferdinand Gärditz auf dem Verfassungsblog. Bruchstücke dokumentiert seinen Beitrag
Katholische Pfarrkirche St. Martinus, Nottuln, Kreuzwegstation aus der Zeit des Kulturkampfs im 19. Jahrhundert mit dem Portrait Bismarcks als römischer Soldat, 3. v. l. (Bild: Westerdam auf wikimedia commons)
Das Drama oder Trauerspiel der gescheiterten Wahl neuer Verfassungsrichter im Deutschen Bundestag hat viele Aspekte. Es zeigt ein eklatantes Führungsversagen der Fraktionsspitze von CDU/CSU. Es offenbart auch die Einflussnahme von Repräsentanten der katholischen Kirche in einer Intensität, die schon lange nicht mehr erlebt wurde, und öffnet das Verfahren der Richterwahl zu einem Feld gesellschaftspolitischer, kulturkämpferischer Auseinandersetzung. Die aktuellen Interventionen der Kirche sind in Ton und Form ungewöhnlich und erheben einen Anspruch, der verkennt, so der Verfassungsrechtler Alexander Thiele, dass „das Grundgesetz keine ‚christliche’ Verfassung“ ist.
Der klassische Appeasement-Fall, das Münchner Abkommen (Foto, 29. September 1938: Unbekannt auf wikimedia commons)
Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine warnen Politiker, Experten, Journalisten und bekehrte Friedensaktivisten davor, Putin zu appeasen. Sie argumentieren, dass autoritäre Führer nicht mit netten Worten oder Zugeständnissen gestoppt werden können, sondern nur mit dem klaren Willen zum Widerstand. Gewalt müsse mit Gewalt beantwortet werden. Während Richtung Putin viel von Appeasement gesprochen wird, wo es keins gibt, ist kaum ein Wort von Beschwichtigungspolitik zu hören, wo sie, Richtung Trump, stattfindet.
Teil der Gedenkinstallation am Frankfurter Saalbau Gallus an die Auschwitz-Prozesse, entworfen von Michael Sander (Foto, 2021: Spitzahorn auf wikimedia commons)
Vor sechzig Jahren endete in Frankfurt der Auschwitzprozess, den der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer initiiert hatte. Gegen 20 Angeklagte wurden am 19. und 20. August 1965 die Urteile verkündet. An diesen Einschnitt in der bundesdeutschen Justizgeschichte erinnerte jetzt der Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. am historischen Ort, dem Frankfurter Saalbau Gallus. „Gelungene Aufarbeitung?“ hieß die Veranstaltung, die Dieter Wesp für den Förderverein organisiert hat. Mit ihm und dem Zeitzeugen Peter Kalb, der als junger Frankfurter Student die Zeugen, Überlebende der Vernichtung in Auschwitz, betreut hatte, sprach Jutta Roitsch.
Am 18. Juli 1925 erschien die Erstauflage von Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“. Bis heute ist es das meisterverkaufte Buch deutscher Sprache. Nach dem Krieg wurde der Nachdruck verboten. Heute findet sich eine kommentierte digitale Fassung im Internet. „Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint!” So beginnt „Mein Kampf“.
Facebook mag für Theoriedebatten kein geeigneter Ort sein, aber vermutlich ist es einer, um Formen des Alltagsbewusstseins nachzugehen. Neulich die Gretchenfrage im Forum Philosophie, eine rege, von einer Federzeichnung eröffnete Debatte um Atheismus und Religion. Zwei Rücken an Rücken Sitzende in Denkerpose, darunter zugeordnet die Zeilen Philosophy: Questions that may never be answered. Religion: Answers that must never be questioned. Die Religionsallegorie zeigt eine ihr Kreuz lässig unter den Arm haltende Jesuskarikatur. Zu Wort melden sich etwa 70, um Orthographie meist unbesorgte Diskussionsteilnehmer. Ein verschwindender Teil nur nimmt Partei für die heftig attackierte religiöse Sache. Dann fallen Formulierungen, die auf eine Art Privatreligion hindeuten. So das 13. Statement: Wenn du nicht Gott anbeten willst, bete das Universum an und verbinde dich damit. Es ist Fakt dass alles schwingt, alles Energie und Frequenzen ist. Wenn du durch Gedanken und Positiv bist, schwingst du auf diese Ebene und du bekommst was du willst. Das Leben wird schöner. Die Kraft der Anziehung.
Um was geht es beim Streit über die Neu- und Nachbesetzung dreier Sitze des Bundesverfassungsgerichts? Pardon: Um eine Neu- und Nachbesetzung, denn zwei Vorschläge sind für eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag offenkundig nicht strittig. Aber da die drei Vorschläge in einem „Paket“ stecken, wird vorläufig niemand gewählt. Begonnen hat – über eine durchaus angesehene Wissenschaftlerin initiiert – eine Menschenwürde-Debatte.
Diese Schule steht für ein reformpädagogisches Konzept von Inklusion. Ihr langjähriger Leiter blickt im Interview mit Thomas Gesterkamp zurück auf zähe politische Auseinandersetzungen. Reinhard Stähling leitete zwei Jahrzehnte lang die heutige Primus-Schule Berg Fidel-Geist in Münster. Sie liegt in einem von Hochhäusern und Einwanderung geprägten Ortsteil im Süden der ansonsten sehr bürgerlich geprägten westfälischen Großstadt. Der in den Kinos erfolgreiche Dokumentarfilm Berg Fidel – Eine Schule für alle stellte vor gut zehn Jahren das wegweisende inklusive Schulkonzept vor. Den Begriff “Inklusion” interpretiert das reformpädagogisch orientierte Team sehr weitreichend: Neben Kindern mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen schließt es durch Krieg, Flucht und Armut Traumatisierte explizit mit ein. Viele stammen aus Roma-Familien und leben in den Unterkünften der Nachbarschaft.
Das Desaster um die RichterInnen-Wahl hat an der Oberfläche eine politisch-handwerkliche Dimension und darunter eine tiefgreifende, die daran erinnert, dass diese Republik überraschend schnell vor tektonischen Verschiebungen stehen kann. Wie die aktuellen Medien und die PolitikerInnen in ihren ersten Stellungnahmen kann man/frau sich auf das Handwerkliche konzentrieren: „Das geht auf die Kappe von Unionsfraktionschef Jens Spahn. Der Ärger wäre vermeidbar gewesen“, kommentiertDer Spiegel. Aus einer solchen Beschreibung leitet sich die berechtigte Frage ab: Jens Spahn ist erfahren und intelligent. Wenn dieser Ärger – Ärger? Auf die Idee, einen Tabubruch so zu verharmlosen, auf die muss man erst einmal kommen – vermeidbar gewesen wäre, warum hat Spahn ihn nicht vermieden?
Die Soziologin Sylka Scholz legt eine Bestandsaufnahme der Männlichkeitsforschung vor. Ein Schwerpunkt sind die Verbindungslinien zu Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Als Lehrbuch konzipiert, bietet es anregendes Material zur Geschichte eines unterbelichteten Fachgebiets. Analysiert werden zunächst Schlüsselbegriffe wie hegemoniale Männlichkeit, männlicher Habitus und männliche Sozialisation. Scholz liefert einen Überblick über die wichtigsten Bereiche der Konstruktion von Männlichkeiten wie Erwerbsarbeit, Vaterschaft, Paarbeziehung, Migration und Rechtspopulismus. Auch neuere alternative Ansätze wie Queer- und Transtheorien hat die Autorin eingearbeitet.
Eine Frage geistert, seit ich diese Kolumne zu den Fernsehkrimis verfasse, durch alle Texte, ohne dass sie einmal klar ausgesprochen wurde: Wie kommt es dazu, dass ein Genre wie der Kriminalfilm, der in Deutschland lange keine Anerkennung fand, das Fernsehangebot in Deutschland so dominiert? Gemeint sind damit vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender mit dem Ersten Programm der ARD und dem ZDF; aber ähnliches lässt sich auch über das wesentlich kleinere Angebot im Fictionbereich der privaten Sender sagen. Hier der erste Versuch, der eine vielleicht überraschende Antwort in der politischen Gegenwart findet.
Sie ist die politische Kaderschmiede in unserem Nachbarland Frankreich: Sciences Po in Paris. Kaum ein Präsident, kaum ein Premier oder eine Ministerin hat nicht in dieser Einrichtung studiert, Verbindungen für die weiteren politischen Karrieren und das (häufig auch private) Leben geknüpft. Jetzt schlägt diese Kaderschmiede eine völlig neue Richtung ein: Sie gründete die „Paris Climate School“, in der vom kommenden Jahr an 50 bis 100 Studentinnen und Studenten in einem Masterstudiengang zu künftigen Klima-Entscheidern in der Politik, den Unternehmen, der Gesellschaft theoretisch und praktisch ausgebildet werden sollen. Die Unterrichtssprache ist in dieser französisch geprägten und traditionsreichen Kaderschmiede zu „hundert Prozent Englisch“, wie der Direktor Luis Vassy bei der Vorstellung dieses ehrgeizigen, im europäischen Raum einmaligen Projekts betonte („Die erste europäische Schule, die sich dem ökologischen Wandel widmet“). Bewerben können sich nicht nur französische Studierende mit einem Bachelor aus den „harten“ Wissenschaften wie den Ingenieurwissenschaften, sondern auch aus „weichen“ Studiengängen der Sozialwissenschaften oder des (Betriebs-)Management. Kosten soll dieser Masterstudiengang je nach Finanzlage der Bewerberschar und des Stipendienfonds von Sciences Po zwischen Null und 20 000 Euro, „Nur 20 Prozent der Studenten bezahlen den höchsten Preis“, unterstrich Luis Vassy (Le Monde vom 5. Juli). Das Ziel, das sich das Wissenschaftliche Komitee der „Paris Climate School“ gesteckt hat, ist ambitioniert. Von der Landwirtschaft bis zu den Unternehmen, der Politik und der Gesellschaft sind die Widerstände gegen eine engagierte und durchgreifende Klima-und Umweltpolitik spürbar: Die massive und teilweise gewalttätige Bewegung der „Gelbwesten“ gehörte in Frankreich ebenso dazu wie die entschiedene Ablehnung der erneuerbaren Energien (Windräder zum Beispiel) durch den rechtsextremen Rassemblement National. „Wir wollen verstehen lernen, wo und warum die Blockaden entstehen,“ erklärte die Soziologin und Direktorin des Wissenschaftlichen Komitees, Sophie Dubuisson-Quellier. Eine erste Spende von einer halben Million Euro für den Stipendienfonds kam bereits von Natixis, einem weltweiten Investment Manager für die Energiewende und grüne Unternehmen. Sponsoren braucht Sciences Po, denn die Kaderschmiede stoppte vor drei Jahren die Partnerschaft mit dem Erdöl-und Gasriesen TotalEnergies.
Helsinki,1. August 1975, „gute alte Zeit“? US-Präsident Gerald R. Ford und der sowjetische Generalsekretär Leonid Breschnew prosten sich zu nach der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) (Foto: Unbekannt auf wikimedia commons)
„Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“ – ob das die neue deutsche und europäische Sicherheitspolitik sei, fragt Gernot Erler kritisch im Interview mit Wolfgang Storz und plädiert für „eine neue Generation von ‚Gemeinsamer Sicherheit'“. Erler war rund 20 Jahre lang einer der einflussreichsten Außen- und Sicherheitspolitiker der SPD. „Endlich wieder aufrüsten“ für einen Krieg mit Russland könne nicht das politische Ziel sein, sagt er heute. „Anstrengungen zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit, begleitet von Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie von politischen Verständigungsbemühungen, verdienen Unterstützung.“