Wir gewöhnen uns gerade daran, wieder in finsteren Zeiten zu leben. Reiche Geldsäcke greifen nach der Macht, Machthaber gieren nach Reichtum. Die Justiz ist beiden ein Dorn im Auge. Zwei Prachtexemplare dieser Spezies sind Donald Trump und Benjamin Netanjahu. Der eine macht das Weiße Haus zum Selbstbedienungsladen, der andere hat ein Bestechlichkeits-Betrugs-Geheimnisverrats-Problem – und fordert Gnade.
Schmerzhafte, schonungslose Klarheiten

Der Historikerstreit in Israel ist mit seinem Namen verknüpft: Benny Morris veröffentlichte 1988 bei „Cambridge University Press“ die ersten Forschungsergebnisse zum Krieg 1948/49, zu Flucht und Vertreibung (Nakba) der palästinensischen Araber im britischen Mandatsgebiet Palästina sowie vor und nach der Gründung des jüdischen Staates Israel, in dem Morris am 8. Dezember 1948 zur Welt kam: Mit „Die Geburt des palästinensischen Flüchtlingsproblems“ begann eine jüngere Generation von israelischen Historikern die Geschichte ihres Landes neu zu erforschen, Mythen zum jüdischen Nationalismus zu hinterfragen. Der Gegenwind blies heftig. Erst knapp zwanzig Jahre später erschien das fundamentale und 2004 überarbeitete Werk von Morris auf Hebräisch. Benny Morris wurde als Nestbeschmutzer und Antizionist beschimpft. Jetzt, noch einmal zwanzig Jahre später, hat der emeritierte Professor der Geschichte an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba eine noch umfangreichere „Neubetrachtung“ mit einem brisanten zweiten Kapitel veröffentlicht.
Weiterlesen →Wider den ultimativen Fluch des Völkermords

Bruchstuecke dokumentiert einen Brief von Detlef zum Winkel an einen langjährigen Freund, den Genozidforscher Taner Akçam, Soziologe, Historiker und Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte des armenischen Genozids an der Clark University in Massachusetts, USA. Professor Akçam war einer der ersten türkischen Wissenschaftler, die den Genozid an den Armeniern öffentlich thematisierten. Mit Blick auf den Gazakrieg publizierte er im Sommer 2025 zusammen mit anderen Wissenschaftlern den Aufruf „Beendet den Völkermord jetzt„. „Wenn etwas nicht zu halten ist, muss es zurückgenommen werden. Auch von Dir. Das ist mein Anliegen“, appelliert zum Winkel gegen den Völkermord-Vorwurf gerichtet.
Weiterlesen →Sie wollen eine Union-AfD-Mehrheitsperspektive öffnen

„Dass wir mit der Enthaltung der Regierung die Mehrheitsverhältnisse sichern, ist eigentlich völliger Wahnsinn“, sagt Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner gegenüber der Frankfurter Rundschau. Rettet Die Linke die Merz-Regierung? Man kann beim Umgang der schwarz-roten Regierung mit dem Rentengesetz natürlich „handwerkliche Fehler“ sehen. Fehler lassen sich freilich in einer funktionierenden Regierung korrigieren, es sei denn, diese Fehler sind in gewisser Weise „zwangsläufig“. Warum funktioniert die Regierung immer wieder ganz offensichtlich nicht wirklich, was ist da los?
Für die Abstimmung im Parlament ist die Sachlage klar: Für das Gesetz braucht es nur mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen, also die einfache Mehrheit. Deshalb hilft eine Enthaltung der Linkspartei der Union aus der Bredouille.Denn unter dieser Voraussetzung wird Schwarz-Rot auch bei mehr als zwölf Abweichlern aus den eigenen Reihen eine Mehrheit bekommen. Aber warum macht sich die Regierung von der Linkspartei abhängig?
Aus meiner Sicht ist auch der Streit um das Rentengesetz – nach der Richterwahl – nur ein weiteres Projekt von Teilen der Union und sehr rechter Kreise. Sie wollen eine Union-AfD-Mehrheitsperspektive öffnen, um den Bundeskanzler und die schwarz-rote Koalition zu zermürben. Für diesen Zweck hat sich die „Junge Gruppe“ instrumentalisieren und sich in eine unter inhaltlichen Gesichtspunkten absurde Machtprobe treiben lassen.
Solche Instrumentalisierungen wie bei der Richterwahl und dem Rentenpaket wird es innerhalb der Union so lange geben, wie die Union den Umgang mit der AfD nicht wirklich geklärt hat. So lange wird die Regierungsfähigkeit der Union massiv eingeschränkt sein. Um ihr Verhältnis zur AfD politikfähig zu machen, sollte die Union daher dem AfD-Verbotsverfahren nicht länger im Weg stehen. Die AfD lässt es zu, dass in und von ihrer Anhängerschaft die unantastbare Würde des Menschen missachtet wird. Sie gibt immer wieder zu erkennen, wie wenig ihr Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie gelten. Ein Verbotsverfahren ist die angemessene und wichtige Reaktion darauf. Wenn ein solches Verfahren läuft, dürften auch alle Öffnungsabsichten in Richtung AfD ihre destablisierende, destruktive Kraft verlieren.
Schludert die Schweiz bei ihren Atomkraftwerken?

Ist Deutschland atomar gefährdet? Wer so fragt, erhält oft Antworten der Erleichterung: Nein, denn es seien doch fünf der sieben belgischen Reaktoren in Doel und Tihange geschlossen worden, das AKW Fessenheim in Frankreich ja auch. Andere erinnern an die einstigen angeblich so sicheren deutschen Reaktoren — was von tiefer Unkenntnis über deren zuletzt gegebenen technischen Zustand zeugt. Manche verweisen allerdings auf das von Russland besetzte ukrainische AKW Saporischschja, das — trotz der Entfernung von 2000 Kilometern — wegen der immer wieder unterbrochenen externen Stromversorgung eine echte nukleare Sicherheits-Bedrohung ist. Jedoch: Welche Gefahren für ganz Deutschland an der Grenze zur Schweiz lauern, in Form von schweizerischen AKW‘ s, das hat kaum jemand auf dem Zettel.
Weiterlesen →Sargnägel für die UN-Charta
Seit Anfang September hat die US-Luftwaffe auf Anordnung von Präsident Trump bei bislang bekannt gewordenen 21 Angriffen auf Boote in der Karibik und im Ostpazifik mindestens 83 Menschen ermordet, weil diese Boote angeblich Drogen aus Venezuela transportierten und damit die „ nationale Sicherheit der USA gefährdeten“. Für die behaupteten Drogentransporte legte die Trump-Administration bis heute keinen einzigen Beweis vor. Doch selbst mit derartigen Beweisen wären diese Luftangriffe ein Kriegsverbrechen und ein schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht.
Weiterlesen →Social Media als Ordnungsstörer und Gamechanger

Die Frage, ob, wo und wie lange Kinder und Jugendliche Social Media nutzen dürfen, machte jüngst medial Furore. Die Antworten kennen wir schon: Es bedarf individueller Maßnahmen: Sensibilisierung, Medienkompetenzförderung. Der Umgang mit kollektiven Risiken, so der Impact von Social Media auf das politische Institutionensystem, ist hingegen schwieriger: Wann und woran erkennt man diese Risiken? Und was müsste dann wer tun? Social Media haben Impact auf die Sicherheit und Stabilität des gesellschaftlichen Vermittlungssystems, auf die Zuverlässigkeit und Qualität der Inhalte der öffentlichen Kommunikation, auf die Herstellung von Öffentlichkeit und Öffentlicher Meinung. Sie wirken als Medien, gewinnen dadurch Einfluss auf die Orientierung der Gesellschaft und auf die Legitimität des politischen Institutionensystems.
Weiterlesen →Auch Unkenntnis speist die Kritik am Sozialstaat

Der Beitrag in den Bruchstücken „Ein Sozialstaat, der trägt“, genannt Aufruf („Wir bauen den Staat von morgen“) hat in mir einen Verdacht wachsen lassen. Und zwar den Verdacht, dass die Kenntnisse der Funktionsweise, des Sinns und der Möglichkeiten des Sozialstaats, gemessen an früheren Zeiten (die der kenntnisreichen Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie der ehrenamtlichen Sozialberater, der Versichertenältesten etc.), gravierend kleiner geworden sind. Ich kann in diesem Zusammenhang die Tatsache anführen, dass die Gruppen der geflüchteten Menschen und der Arbeitslosen von der sogenannten „Öffentlichkeit“ als besonders unfair bevorzugt bewertet werden, obgleich sie mit Blick auf die gesamten Sozialstaatsausgaben keine herausragende Bedeutung haben. Das meine ich jedoch nicht.
Weiterlesen →Was hilft gegen Aussichtslosigkeit?

Es hätte sicher nicht erst noch der COP30 in Belém bedurft, in die Nähe schierer Verzweiflung zu geraten: Wenn doch einerseits alles bekannt ist, das man wissen muss, und andererseits die Verhältnisse derart beschaffen sind, dass trotzdem nicht die nötigen Schritte unternommen werden – bleiben da nicht nur Aussichtslosigkeit, Niedergeschlagenheit? Selbst wenn man sich das vernünftigerweise zurechtrücken möchte, weil man ja ebenso weiß, dass Fatalismus nicht hilft, dass die nicht ausreichenden Schritte immerhin Schritte sind, dass »jedes Zehntel Grad wichtig ist«, dass sich »der Markt doch längst entschieden« hat, dass sogar auf dem östlichen Land überall Wärmepumpen und Solaranlagen aus dem Boden schießen, dass die Mehrheiten für eine andere Klimapolitik zwar skeptischer werden, was die Umsetzung angeht, aber immer noch Mehrheiten sind – dann bleibt doch das Gefühl, nicht recht zu wissen, wie man mit dem offenbar unauflösbaren Widerspruch umgehen soll, der »Wirkliches und Mögliches« trennt.
Weiterlesen →Lob der Renitenz

Stillschweigend nicht mitmachen, selbst dieser weiche Widerstand fällt nicht immer leicht. Machthaber, die „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ praktizieren, sehen darin eine strafwürdige Verweigerung. Den Mund aufmachen und Nein sagen, gilt als der Anfang von Freiheit. Eine eigene Entscheidung zu treffen, die den Erwartungen der Familie, des Arbeitgebers, des sozialen Umfeldes widerspricht, macht sichtbar und angreifbar. Diese mutige Freiheit ist nicht zu vergleichen mit der bequemen Konsumfreiheit, die der Markt mit seiner Werbung für die permanente freie Auswahl vorgaukelt. Hier geht es um Zahlungsfähigkeit, dort um Zivilcourage. Matthias Meisner und Paul Starzmann haben ein hohes Lied auf Zivilcourage in Buchform publiziert: „Mut zum Unmut. Eine Anleitung zur politischen Widerspenstigkeit“.
Weiterlesen →Mit Religionskritik fängt die kritische Gesellschaftstheorie an…

An der Religionskritik hat sich die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft einmal ein Vorbild genommen. Was dem religiösen Bewusstsein als Gott erscheint, dechiffrierte sie als Entäußerung der menschlichen Gattungskräfte; und als eine ebensolche Entäußerung galt ihr das zwischen Waren- und Geldform prozessierende Kapital. Die unaufgeklärte Menschheit als Fetischdiener: Aus Feuerbachs Lehre geht die Marxsche Entschlüsselung der in der Warengesellschaft geltenden Kategorien hervor. „Akkumuliert, Akkumuliert!“, lautet der zentrale Glaubensartikel der neuen Religion. „Das ist Moses und die Propheten!“(1) Dieser Glaubensartikel hat die menschliche Gattung in einen bald ausweglos erscheinenden Strudel gerissen. Denn dem Akkumulationsprinzip ist keine Schranke gesetzt; Maßlosigkeit ist sein Wesen. Es ist der Raubbau an der Natur, der wachsenden Teilen der Menschheit die Mittel ihrer Subsistenz entzieht und sie in der Migration ihr Heil suchen lässt.
Weiterlesen →Transformation in Trouble II: Wachstumskritiker – ratlos?

„Grünes Wachstum“ – nur eine Illusion? Wachstumskritiker wie Jason Hickel sind davon überzeugt1. Die Annahme eines mit wachsendem Wohlstand allmählich rückläufigen Natur- und Energieverbrauchs pro Werteinheit der Wirtschaft sei falsch. Alle vorliegenden Daten widerlegten die mit der „ökologischen Kuznetskurve“2 ausgedrückte Idee einer Entkopplung von Wachstum und Umweltverbrauch und damit der Basisannahme des Modells eines „grünen Wachstums“. Trotz gestiegener Sensibilität für ökologische Themen, trotz eines gewachsenen Bewusstseins für die Gefahren des Klimawandels betreibe die Menschheit ungebrochen einen enormen und immer noch wachsenden Raubbau an ihren Lebensgrundlagen.
Weiterlesen →Alte Geschichten über das neue Berlin

Als rasender Reporter schreibt Egon Erwin Kisch Geschichten unter anderem über Polizeistreifen in Berlin und über Boxer im Radio. Er schreibt über Verarmung und Bereicherung in den Berliner Straßen und er erzählt von Weihnachtsfreuden und Christbaumschmuck im Kaufhaus. Er referiert über die Kaufkraft eines Groschen und über mögliche Veränderungen an einer Nase. Über 30 dieser Geschichten, entstanden in den Jahren 1921 bis 1933, sind für diesen Band ausgewählt worden. Unter dem Titel „Berliner Bohème“ wurde er in der Reihe „Berliner Orte – Klassiker“ von Gabi Wuttke herausgegeben. Deren berufliche Laufbahn mit Stationen beim ehemaligen Sender Freies Berlin (SFB) und jahrelanger Beschäftigung mit der Berliner Kulturszene qualifiziert sie gewissermaßen als eine Nachfolgerin des rasenden Berlin-Reporters.
Weiterlesen →„Es gilt, eine lange nationalistische, militärische und rassistische Tradition zu überwinden“

Der junge Korrespondent des norwegischen Arbeiterbladet hatte eine klare Erwartung, als er am 20. November 1945 den Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes betrat. Er hielt es für richtig und notwendig, dass ein internationaler Militärgerichtshof die Verbrechen der Deutschen während der „Hitlerei“ aufklärte. Die 21 Hauptangeklagten und Kriegsverbrecher auf der Anklagebank sollten bestraft, die unvorstellbaren Verbrechen der Nazis und ihrer Mitläufer mussten gnadenlos aufgedeckt werden. Aber für den Korrespondenten in norwegischer Offiziersuniform durfte es nicht sein, dass das ganze deutsche Volk schuldig gesprochen werde. Er ahnte zwar, dass es allzu viele Deutsche gab, die die Verbrecher auf der Anklagebank nicht für den Beginn des Krieges verurteilten, sondern eher, weil sie ihn verloren hatten. Dennoch war er erleichtert, dass der amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson in seiner Prozesseröffnung die weitverbreitete These von der Kollektivschuld der Deutschen verwarf.
Weiterlesen →Gefährliche Gedankenspiele, nicht nur in der FAZ, auch in der Union

Das Handeln der Unionsparteien ist, seit Friedrich Merz die Union führt, wesentlich von der AfD und deren Wahlerfolgen bestimmt. Dem zugrunde liegt die CDU-eigene Analyse, dass den Unionsparteien „rechts“ etwas fehle und dies der Grund für das Erstarken der AfD sei. In der falschen Willkommenskultur und Asylpolitik von Angela Merkel sah Merz den Hauptgrund für das Scheitern der Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2021; auch die mangelnde Geschlossenheit der Unionspartien im Bundestagswahlkampf 2021 führte er darauf zurück. Seither hat er die Abwehr gegen die AfD, neben der Durchsetzung einer neoliberalen Agenda, zum Hauptinhalt seiner Programmatik und Politik gemacht. Aber gleichzeitig laufen gefährliche Gedankenspiele, nicht nur in der FAZ, auch in der Union.
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