Herrengedeck – oder feministische Wut für Späteinsteiger

Foto: (c) Mauricio Bustamante

„Wenn alles stillsteht“ ist derzeit eine häufig gebrauchte Überschrift, zum Beispiel auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom 17. April. Das war knapp fünf Wochen nachdem ein Großteil der bundesrepublikanischen Printjournalisten ins Homeoffice verbannt wurde. Knapp fünf Wochen, in denen nicht wenige Journalistenkollegen ihre persönlichen Erfahrungen mit der für sie offenbar neuen Situation in ihren Medien weidlich ausgebreitet hatten: Wie schwer, die ganze Zeit Kinder bespaßen zu müssen und dennoch die Schreibtischarbeit zu schaffen. Welche Logistikherausforderungen der Einkauf, das Kochen, die Wäscheberge, überhaupt der Dreck in der Wohnung so mit sich bringen.

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“Die Folgen dieser Zeit”

(Fotos: Wikimedia Commons / Screenshot Schaubühne/Vimeo)

Inspiriert von Boris Vians Lied „Der Deserteur“ hat die französische Autorin Annie Ernaux dem Präsidenten Frankreichs am 30.3. einen offenen Brief geschrieben. Darin kritisiert sie Emanuel Macron’s Kriegsmetaphorik und entlarvt seinen vermeintlichen Pragmatismus als symptomatisch für einen technokratischen Neoliberalismus. Stattdessen, so Annie Ernaux, zeige die Coronakrise überdeutlich, wie überlebenswichtig die seien, die von Macron so oft für überflüssig erklärt würden: Krankenschwestern, Müllmänner, und andere hart arbeitende Menschen am Existenzminimum.

Im Videostream der Berliner Schaubühne liest die Schauspielerin Ursina Lardi eine deutsche Version des Briefes.

Interdisziplinäre Einsichten

Das Thesenpapier „Datenbasis verbessern, Prävention gezielt weiterentwickeln, Bürgerrechte wahren“ ist vom 5. April, es hat mich erst jetzt, fast drei Wochen später erreicht. Auch wenn inzwischen vieles von anderen ebenfalls so gesagt wurde, das Thesenpapier hat mir als medizinischem Laien auf 30 Seiten kompakte Aufklärung gegeben. Sechs Autorinnen der Fachgebiete Medizin, Jura, Pflege, Soziologie aus Köln, Berlin, Hamburg und Bremen erklären, kritisieren, empfehlen auf eine sachlich-konstruktive Weise – eine Wohltat am Rande des Medienspektakels.

Welche Zustände erlaubt der Ausnahmezustand?

Artikel 2 des Grundgesetzes, Absatz 2, sagt sozusagen im selben Atemzug: „Jeder [gemeint ist Mensch, nicht Mann; Anmerkung des Bloggers] hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Mach was draus, Politik, wenn Freizügigkeit, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit das Recht auf die körperliche Unversehrtheit anderer gefährden. Ausführlich und gründlich argumentiert Mattias Kumm, u. a. Harvard-Professor und am Berliner Wissenschaftszentrum (WZB) tätig, im Verfassungsblog:

It’s the technology, stupid!

Warum erhalten Krankenschwestern und Pflegekräfte für ihr momentanes (auch noch riskantes) Schichtschuften in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, ambulant und stationär, nicht runde 9.000 Euro extra? Ohne viele Worte und ganz ohne Balkon-Klatschen. Einfach 9.000 Euro. Ob sie eventuell 500 oder 1500 Euro Sonderzahlung erhalten — das wird von der Politik hin und her gewendet. Der Autobauer Porsche ist da schneller: Seine gut 35.000 Beschäftigten erhalten diesen Bonus für ihre Arbeit in 2019; plus 700 Euro für die Altersvorsorge. Gratulation! Geschätzt etwa das Dreifache eines durchschnittlichen Pfleger-Bruttogehaltes. Warum nur die einen und die anderen nicht?

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Bruchstücke von Kommentatorenplätzen

Intellektuelle und Journalisten haben in der öffentlichen Arena ein Dauerabo für Kommentatorenplätze. In besonders unübersichtlichen Zeiten, in Krisen zum Beispiel, lassen Journalisten Intellektuellen gerne den Vortritt. Entweder die Vordenker drängen sich selbst vor oder sie werden angefragt und eingeladen, ihre Erklärungen, Deutungen und Empfehlungen zu publizieren. Ein Überblick über sieben Stimmen zur Corona-Krise von A wie Jutta Almendinger über H wie Jürgen Habermas und Lisz Hirn bis Z wie Slavoj Žižek plus Hinweise auf einige weitere Links.

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“Wir können die Niederlande radikal nachhaltiger und gerechter machen”

Fünf Vorschläge für die Niederlande nach Corona

Auch bei unseren Nachbarinnen in den Niederlanden macht man sich grundsätzliche Gedanken über die Zeit nach der Pandemie. In der Tageszeitung Trouw veröffentlichten am vergangenen Samstag, den 11. April, 170 Soziologen und Umweltforscherinnen ein Manifest, in dem sie eine Abkehr vom neo-liberalen Paradigma und radikale Reformen fordern. Wir dokumentieren ihr Manifest in einer deutschen Übersetzung.

COVID-19 erschüttert die Welt in ihren Grundfesten. Die Corona-Pandemie hat bereits zahllose Menschenleben gekostet oder schwer beeinträchtigt, während Helfer hart arbeiten, um die Kranken zu versorgen und eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Der Kampf zur Begrenzung der enormen persönlichen und sozialen Verluste verdient unsere Anerkennung und Unterstützung. Gleichzeitig ist es wichtig, diese Pandemie in einen historischen Kontext zu stellen, um eine Wiederholung der Fehler der Vergangenheit in der Zukunft zu vermeiden.

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Welches Danach wollen wir?

Erstes auffälliges Merkmal einer Krise ist, dass es nicht so weiter geht. Man hatte nicht damit gerechnet, dass es gerade jetzt nicht mehr so weiter geht. Man weiß nicht recht, was die Ursachen sind und was die Folgen sein werden, dass es nicht mehr so weiter geht… Die Krise ist die große Stunde derjenigen, die schon seit langem sagen, dass es so nicht weiter gehen könne. In dieser Situation erheben sich viele Stimmen, die Vorschläge machen und Forderungen stellen, was geschehen sollte, damit die Krise als Chance genutzt wird, um Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen. Selbst Der Spiegel überschreibt seine Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe (18. 04. 2020) mit „Der Aufbruch. Jetzt oder nie: Der Corona-Schock birgt die Chance auf eine bessere Welt“. bruchstücke dokumentiert im Folgenden einen „Diskussionsimpuls zu den politischen Perspektiven nach der Corona-Krise“. Das Blog bietet sich an, weitere Impulspapiere zu veröffentlichen.

Wir UnterzeichnerInnen wollen das gegenwärtige Innehalten nutzen, um eine Diskussion anzuregen. Es geht uns darum, eine positive Perspektive zu entwerfen. Dies ist selbstverständlich kein umfassendes oder gar perfektes Programm, sondern ein Stein, der ins Wasser geworfen wird. Wer sich angesprochen fühlt, wer möchte, dass in diese Richtung die öffentliche Diskussion geht, der ist herzlich eingeladen, dies kundzutun und natürlich weitere UnterstützerInnen zu finden. In einer zweiten Phase würden wir gern kritisch und selbstkritisch über die Erweiterung, Präzisierung und auch Veränderung dieses ersten Impulses diskutieren.

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Corona in der Medienberichterstattung und in der Medienforschung

Als Corona alle anderen Themen aus der Medienberichterstattung verdrängt hatte und allein schon diese Thematisierungs-Monomanie Kommunikationswissenschaftler als kritische Stimmen hätte auf den Plan rufen müssen, gab es für sie kaum eine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Nach meinem ersten, allerdings unvollständigen Eindruck ist es immerhin drei Medienforschern trotzdem gelungen, bereits in dieser Berichterstattungsphase der Schockstarre an die breitere Öffentlichkeit durchzudringen: Otfried Jarren, Klaus Meier und Bernhard Pörksen. Das hat die Frage aufgeworfen, wo sich Hunderte weiterer Medien- und Kommunikationsforscher im deutschsprachigen Raum «verstecken», die von den Medien eigentlich gerade jetzt als Quellen zur Einschätzung und Erklärung der Kommunikation rund um Corona genutzt werden sollten.

Pressekonferenz des BMBF und BMG zum Coronavirus / COVID-19 am 09. März 2020 (Foto: BMBF)

In diesem Dossier werden zunächst Beiträge der drei «sichtbaren» Kollegen präsentiert, die meine Sammel-Aktion ausgelöst haben. Dann folgen Links zu Fachkolleginnen und Kollegen, welche die Spannweite der Einlassungen verdeutlichen und belegen, wie wichtig Diskussionsbeiträge von Medienforschern sein können, um die Corona-Kommunikation in ihren Facetten zu verstehen und zu verbessern. Zum Schluss füge ich eine Liste eigener Fragen hinzu, die mehr mediale Aufmerksamkeit verdienen würden.

Das Dossier wird online auch auf der Website des Europäischen Journalismus-Observatoriums publiziert und wird dort auch zugänglich bleiben. Dort finden sich inzwischen auch im «Global Journalism Observatory» Beiträge, die sich mit der Corona-Berichterstattung in aller Welt auseinandersetzen.

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Corona ist gut für die Politik

oder Von der zarten Blüte einer neuen Sachlichkeit

„Man sieht Sachlichkeit am besten, wenn man sie als Erfahrungsvernarbung versteht.“ Oskar Negt / Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn (Foto: Unsplash / Library of Congress)

Zwei der größten Fehlbesetzungen der globalen Politik scheinen sich durch Corona selbst ins Knie zu schießen, so dass sie zu Fall gebracht werden könnten.

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Es gibt keine Verschwörungstheorien

„Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.“ Aristoteles (Bild: Wikimedia / Montage: Wüllner)

Seit Jahren wird von Verschwörungstheorien geredet. Das Internet mit seinen Verdummungs-Blasen hat sie vor allem verbreitet.

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Einer Entscheidungssituation die Unsicherheit zu nehmen, ist Freiheitsberaubung

Wissenschaftliche Prophylaxe: Cover des Forschungsmoduls „Expect the unexpected. Theorie und Praxis der Entscheidungs-, Risiko- und Krisenkommunikation“ im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der Universität der Künste Berlin (UdK) im Wintersemester 1919/20. Weitere Werke der Künstlerin unter www.beatrix-grohmann.de

Aufklärung ist passé, Aufregung angesagt. Unsere Sicherheit, das „Supergrundrecht“, wie es die Ex-Innenminister Schily (SPD) und Friedrich (CSU) nannten, ist in Gefahr. Deshalb werden Grundrechte beschnitten und aufgehoben – „ohne großen gesetzgeberischen Aufwand, mit einem Fingerschnippen der Exekutive quasi“ (Heribert Prantl). Sicherheit, Risiko, Gefahr, Entscheidung, Krise, in diesem dornenreichen Dickicht verheddern sich die Talkmaster der Republik wie Fische im Fangnetz.

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„Es fehlt der Typ der embedded information“

Überzeugt die Arbeit, welche die Medien in dieser einzigartigen Krise leisten? Wir fragten Norbert Schneider, Theologe und Publizist, einst langjähriger Medienmanager und Medienproduzent. Ein Gespräch über mediale Grundversorgung, Experten-Macht, Produktion von oberflächlichen Bildern, eine verhängnisvolle Aufsichts-Politik und die Pflicht zur Fortbildung, per E-Mail geführt von Wolfgang Storz.

Die Exekutive dominiert. Parlamente tagen nicht oder nur teilbesetzt und beschließen in Rekordzeit weitreichendste Maßnahmen. In diesen Zeiten kommt es besonders auf unabhängige Medien, auf selbstbewusste kritische Journalisten an. Konzentrieren wir uns erst auf die öffentlich-rechtlichen Medien: Was machen die jetzt gut?

Schneider: Sie sind omnipräsent. Sie sammeln, sichten und bewerten die relevanten Informationen, die das Publikum braucht für ein Urteil über den aktuellen Stand der Dinge. Sie leisten Grundversorgung, bei allen Schwächen, über die sicher noch zu reden sein wird. Sie sind, wie zuletzt immer in Notsituationen, das Leitmedium, dem weithin Vertrauen geschenkt wird. Das belegen auch die Quoten. 

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Arbeit unter der Regie des Geldes, Leben im Bann der Arbeit

“Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln.”
Karl Marx, Das Kapital, Erstes Kapitel: Die Ware | Foto: Unsplash

Wenn aus Trauer Trauerarbeit wird, eine Liebesbeziehung in Beziehungsarbeit mutiert, sich das Spiel in eine globale Gamesbranche verwandelt und aus dem angenehmen Umstand, dass Menschen sich miteinander unterhalten, eine riesige Unterhaltungsindustrie erwächst – wie hängt das mit Arbeit, Wirtschaft und Kapitalismus zusammen?

Eine essayistische Annäherung an Wirtschaft und Kapital in vier Teilen.

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bruchstücke