Die Frage, wie Klimawandelfolgen und soziale Ungleichheiten zusammenhängen, wird inzwischen lauter gestellt. „So wurde beispielsweise am Ahrtal-Hochwasser deutlich, dass – wie in vielen anderen Fällen auch – die Folgen der Katastrophe nicht alle sozialen Gruppen in gleichem Maße trafen: 106 von 135 Todesopfern waren über 60 Jahre alt, und zwölf der Todesopfer waren in Pflegeheimen untergebracht. Allgemeiner gesprochen: Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen leben unter unterschiedlichen Bedingungen, aufgrund derer sie durch Klimawandelfolgen verwundbar sind, und sie verfügen über unterschiedliche Voraussetzungen, um menschliches Leid sowie finanzielle Verluste zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Beides wird im Begriff „soziale Vulnerabilität“ zusammengefasst“, schreiben Julia Teebken und Michael Schipperges in ihrer soeben erschienenen, 50-seitigen Studie „Soziale Frage Klimawandel„. Sie kann auf der Website der Friedrich Ebert Stiftung heruntergeladen werden.
Das „liberale Gewissen der Union“ meldet sich zu Wort
Wir leben im permanenten Krisenmodus. Alte Gewissheiten verlieren ihre Gültigkeit, etwa die vom steten Wachstum, Frieden und Wohlstand. Krisen sind in der modernen Gesellschaft kein Ausnahmefall, sondern der Normalzustand. Die einzige verlässliche Erwartung an die Zukunft besteht darin, dass noch weitere Krisen auf uns zukommen: Krieg, Flucht, Klima. Kurzum: Wir leben in einer fragilen Wirklichkeit. Politiker und Parteien verlieren an Vertrauen, auch die tragenden politischen und parlamentarischen Institutionen. Wo Vertrauen aber fehlt, entsteht Enttäuschung, Rückzug, Ignoranz und Teilnahmslosigkeit. Kein guter Zustand, denn unsere Demokratie lebt auch von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Der Verlust von Zukunftsglauben ist ein Problem für die Demokratie. Höchste Zeit, sie zu verteidigen, meint Ruprecht Polenz. Sein Buch will ein Mutmacher sein.
Weiterlesen →Söders Erziehungsdefizit oder Nachtreten verboten
Was muss ein Staatenlenker sein? Was muss er können? Was darf er nicht sein? Müssen Staatenlenker so weitsichtig sein wie die drei Bundesverkehrsminister Ramsauer, Dobrindt und Scheuer? So vergesslich wie der bayrische Ministerpräsident Söder, der die DDR- Erziehungsministerin Honecker mit der grünen Umweltministerin Lemke verwechselte, sie als „grüne Margot Honecker“ bezeichnete; muss er muskulös wie der Kanzler sein, struppig wie Boris Johnson, muss er nach kleinen Jungs gucken, wie nach unsicherer Erzählung ein Premier von der Insel, eher nach ganz, ganz jungen Frauen Ausschau halten wie ein ital… ach das lass ich jetzt.
Wie kommst du mit diesen Absurditäten klar?
„Ich arbeite mit der Methode des radikalen Ernstnehmens.“ Sobald Jugendliche, und nicht nur Jugendliche, merken würden, dass sie ernst genommen werden, wachse ihre Bereitschaft zu einer konstruktiven Haltung, sagt Marina Weisband, Diplom-Psychologin und Beteiligungspädagogin. Sie leitet das Aula Projekt [https://www.aula.de/] zur Stärkung von Schüler:innenteilhabe. Ihr neues Buch heißt „Die neue Schule der Demokratie. Wilder denken, wirksam handeln“. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Im Gespräch mit Bao-My Nguyen in deren Podcast-Serie „Klassenarbeit“ fallen Sätze wie „wir alle leben heute besser als Könige im 19. Jahrhundert noch“ oder „wir können morgen einfach hingehen und anders leben als wir heute gelebt haben“. Dieser Podcast wurde in der Kategorie Journalismus mit dem Meduc-Award ausgezeichnet, einem Mediennachwuchspreis für junge Kreative.
Hey Scholz, ich brauch‘ mehr Geld
Zurückhaltend geschätzt, laufen 90 Prozent der Meldungen einer Nachrichtensendung darauf hinaus, dass jemand mehr Geld braucht: die Hochwasser-Opfer und die Katastrophenhilfe, Landwirte und Bundesländer, die Bahn und die Bildung, die Forschung und der Artenschutz, Rentner:innen und das Militär, Startups und Sportclubs. Um überhaupt irgendetwas machen zu können, zu sanieren, zu verbessern, zu erfinden, zu helfen, zu schützen, muss man mehr kaufen können. Probleme, so scheint es, haben eine finanzielle Lösung oder keine. Pekuniäre Penetration beherrscht den Alltag tiefgreifend und allgegenwärtig.
Es ist ein faszinierender Teufelskreis, in dem sich die moderne Gesellschaft immer schneller dreht. Um zu mehr Geld zu kommen, das wusste Adam Riese (1492-1559) lange vor Karl Marx, kommt es darauf an, mehr einzunehmen als auszugeben. Wie kommt man zu Einnahmen? Indem man möglichst keinen Handgriff und sich keinen Gedanken macht, ohne sich dafür bezahlen zu lassen: „Leistung muss sich lohnen“. Wofür fallen Ausgaben besonders niedrig aus? Für Kostenloses oder wenigstens Billiges, also nichts tun für Bestandserhaltung (der Natur, der Infrastruktur, der Gesundheit). Die Zauberformel, geringstmögliche Ausgaben, höchstmögliches Einkommen, ist allen bekannt. Wird sie zur allgemeingültigen Verhaltensmaxime einer Gesellschaft, stellt sich zuverlässig die Alternative ein, entweder verrotten und verelenden oder verteuern bis zur Unbezahlbarkeit.
Wenn es so weit ist, wird nach der Politik gerufen. Ein demokratischer Staat hat drei Möglichkeiten. Das ist die schwächste: Er kann Personen und Organisationen ermuntern und ermahnen, vernünftig zu sein. Die stärkste ist, Recht zu setzen, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, aber dabei muss er vorsichtig sein, weil die Regierenden wiedergewählt werden wollen. Die inzwischen geläufigste Möglichkeit ist es, Geld zu verteilen, das dank Steuern oder Krediten verfügbar ist. Steuern allerdings sind für Personen und Organisationen Ausgaben (die, siehe oben, besser vermieden werden). Kredite hingegen gehen, solange der Schuldendienst mit welchen Tricks auch immer finanzierbar ist, denn sie sind Einnahmen für die Gläubiger. Es kommt somit eine dritte Alternative hinzu, verrotten, verteuern – und verschulden.
Das Wundermonopol, ein lukratives Geschäftsmodell
Seit Jahrhunderten verfügt die katholische Kirche über eine Fachabteilung für Wunder. Es ist die Selig- und Heiligsprechungs-Kongregation des Papstes. Hier prüfen Mediziner, Naturwissenschaftler und Theologen, welche Menschen in den Heiligenstand befördert werden sollen. Die »Hall of Fame« der Kirche. Einlass erhalten Männer und Frauen, die Wunder bewirkt haben. Das sogenannte »Martyrologium Romanum«, das »Who is who« katholischen Spitzenpersonals, umfasst derzeit 6650 Selige und Heilige und mehr als 7400 Märtyrer. Weitere Aspiranten warten auf Aufnahme. Erstmals seit 1978 hat der Vatikan seine Richtlinien zur Beurteilung von Wundern aktualisiert. Künftig wird angeblich Übernatürliches in sechs Kategorien eingeteilt.
Weiterlesen →Ganz ohne ‚Bauernkrieg‘
Ab 2030 müssen dänische Bauern für klimaschädliche Emissionen bezahlen. Von einer Expertenkommission vorgeschlagen sind bisher 300 Dänische Kronen (39 Franken oder 40 Euro) pro Tonne CO2-Äquivalent ab 2030. Bis 2035 soll die CO2-Abgabe auf 750 Kronen (97 Franken oder 100 Euro) pro Tonne steigen. Dabei geht es hauptsächlich um Emissionen wie Methan aus der Tierhaltung, aber auch um Lachgas und CO2. Die formelle Zustimmung des dänischen Parlaments im August gilt als sehr wahrscheinlich. Das Vorhaben schaffte es als «Beef Tax» schon Ende Mai in die großen US-Medien. Dänemark wäre das erste Land, das eine solche Steuer einführt und setzt damit einmal mehr Maßstäbe im Klimaschutz. Und in Konfliktbewältigung.
Weiterlesen →Aufrüstung macht Reiche reicher und Arme zahlreicher
Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und einst Präsidentschaftskandidat der Linkspartei, hat aktuell zwei Bücher publiziert unter den Titeln „Deutschland im Krisenmodus“ sowie „Umverteilung des Reichtums“. Thomas Gesterkamp sprach mit ihm über die „sozialpolitische Zeitenwende“, vor der Butterwegge warnt. Das Interview wurde vor der Einigung der Ampelkoalition auf Eckpunkte des Bundeshaushalts 2025 geführt.
Weiterlesen →Jetzt macht voran in Berlin
In der Münchner Tageszeitung Merkur war zu lesen: „Reparationsforderungen für Kriegsschäden in Billionen-Höhe haben das deutsch-polnische Verhältnis zerrüttet.“ Wahrscheinlich lassen sich weitere Behauptungen dieser Art im Feld der veröffentlichten Meinungen finden. Das ändert nichts daran, dass solche Behauptungen falsch sind. Das polnisch-deutsche Verhältnis ist zerrüttet und kaum belastbar, weil Hitler-Deutschland ab 1939 in Polen einen Vernichtungskrieg gegen Polen, gegen dessen zivile Ordnung und die zivile Bevölkerung, dabei gegen die polnischen Juden, das Militär, seine Funktionseliten, gegen alles geführt hat, was Polen ausmachte. Der Vernichtungskrieg begann nicht erst 1941 mit dem Angriffskrieg gegen die UdSSR, sondern eben 1939 wie der Historiker Jochen Böhler 2006 überzeugend nachgewiesen hat. Bogdan Musial und Hans-Jürgen Bömelburg hatten bereits 2000 auf diese Tatsache aufmerksam gemacht.
Fast ein Vierteljahrhundert ist das her. Und nun ist zu lesen, dass in intensiven Gesprächen herausgefunden werden soll, wie und ob einige Zehntausend Überlebende dieses Vernichtungskrieges eine Rente bekommen sollen und ob das dann Rente genannt werden darf. Über die Frage, ob es ein Mahnmal geben soll, das an diesen Vernichtungskrieg und die polnisch-deutsche Geschichte erinnert, wird seit fast zehn Jahren geredet und gestritten. In dieser Zeit wurde das Berliner Stadtschloss hochgezogen, in Potsdam die Garnisonskirche größtenteils fertig gewerkelt. Und manches andere mehr. In der Zwischenzeit warnte man vor der „Renationalisierung der Geschichtsbilder“ (Andreas Wirsching), aber auch davor, Opfern vorzugeben, wie Geschichte gewesen ist und wie die Opfer die zu sehen hätten (Dieter Bingen).
Das alles ist mehr als peinlich. Jetzt macht voran in Berlin! Mehr gibts nicht mehr dazu zu sagen.
Souveräne Gelassenheit? Führungsversagen!
Der Beitrag „Selbstüberschätzte Kritik, unterschätzte Kritiker“ von Thomas Weber regt zum Nachdenken, aber auch zum Widerspruch an. Man muss nicht den Alterspessimismus von Jürgen Habermas teilen (“vom Idealisten zum Fatalismus“), um die Lage und die Aussichten Deutschlands so einzuschätzen, dass es eines intensiven Ringens angesichts gefährlicher Entwicklungen bedarf. Für diese Debatte ist es nicht hilfreich, wenn Kritikern von Olaf Scholz Befindlichkeiten und Gefühlslagen, dem Kritisierten aber nur politische Vernunft und Rationalität seiner Entscheidungen unterstellt wird. Olaf Scholz wäre nachgerade ein Unmensch, wenn sich sein Handeln nicht auch durch Gefühle und Befindlichkeiten leiten oder beeinflussen ließe. Rationalität und Emotionalität liegen sicher auf beiden Seiten vor. Im Folgenden neun kritische Hinweise.
Weiterlesen →Paragraph 218: Noch ein Großkonflikt?
Die SPD- Bundestagsfraktion hat jetzt eine Position zu Schwangerschaft und Abtreibung bezogen, die Beginn eines großen, großen gesellschaftlichen Konflikts ein gutes Jahr vor einer Bundestagswahl werden könnte. Eine traditionell stärkere Verankerung der Sozialdemokratie in den Zweigen der christlichen Glaubensrichtungen als Grüne und Linke und FDP legen die Vermutung eines solchen Konflikts nahe. Die politisch Konservativen in den C-Parteien sind gegen eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Weiterlesen →Nützliche Idioten der völkischen Rechten
Umfragen in der deutschen Bevölkerung, das Verhältnis zu den Juden und Israel betreffend, zeigen über Jahre das gleichbleibende Bild. Jeder vierte Befragte stimmt der Aussage zu: Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer. Auf über 30 Prozent Zustimmung bringt es der Satz: Israels Politik in Palästina ist genauso schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Diese Daten der Leipziger Autoritarismus-Studie stammen vom vorletzten Jahr; das Massaker der Hamas an 1200 Jüdinnen, Juden und ihren Kindern geht in sie nicht ein. Vermutlich liegen die gemessenen Werte nun deutlich höher. Der Schock des Massakers hat längst nachgelassen, der Militäreinsatz im Gaza zieht die Empörung auf sich. Es ist eine weltweite Empörung. Ingo Elbes kritische Studie „Antisemitismus und postkoloniale Theorie“ seziert sie.
Weiterlesen →Ein Lehrstück über die USA
Wie oft reiben wir uns die Augen über Nachrichten aus den Vereinigten Staaten, nicht nur über das TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump, über so vieles, das hier im Namen von „freedom and democracy“ möglich ist bis hin zum Sturm auf das Capitol. Wer historische Zusammenhänge besser verstehen und nachvollziehen will, wie sehr mit Donald Trump andere Seiten der US-Geschichte zu Wort kommen und zur Tat schreiten, kann es in 80 Minuten auf Youtube. Der Bielefelder Soziologe Rudolf Stichweh spricht über
„Autoritarismus und Polarisierung im politischen System der USA und die Wahl 2024„.
Zwei Völker am Abgrund
Sie schreiben unter dem Druck eines grauenhaften Massakers, eines militärischen Vernichtungsfeldzuges, eines drohenden Mehrfrontenkrieges und einer nationalen wie internationalen Politik ohne Plan: Mit Elias Sanbar (77), dem ehemaligen Botschafter Palästinas bei der Unesco, und Ron Leshem (48), einem ehemaligen Geheimdienstoffizier Israels, Kriegsberichterstatter und in den USA lebenden Schriftsteller, greifen zwei Autoren mit Analysen in den militanten Konflikt ein, die bisherige Gewissheiten, Erwartungen und Hoffnungen auf Lösungen erschüttern. Der Palästinenser und der Israeli beschreiben zwei Völker am Abgrund, Sanbar in: „La dernière guerre? Palestine, 7 octobre 2023 – 2 avril 2024“ und Leshem in: „Feuer. Israel und der 7. Oktober“. Beide stellen Fragen, die derzeit politisch öffentlich kaum bis überhaupt nicht gestellt werden. Die wichtigste ist: Gibt es nach diesem Ausbruch von Hass und Gewalt eine Chance für einen jüdischen und einen palästinensischen Staat auf dem Gebiet des ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina, und wie sähen die Bedingungen aus?
Weiterlesen →Das koloniale Erbe des Fußballs
Bananen flogen auf das Feld, von den Zuschauerrängen ertönten Affenlaute, als die ersten dunkelhäutigen Spieler in den europäischen Ligen auftauchten. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Funktionäre von Spitzenklubs wie auch Ehrenamtliche in Amateurvereinen engagieren sich gegen Rassismus. Kicker wie der Schwarze Nationalverteidiger Antonio Rüdiger sind bei den Fans weitgehend akzeptiert, sie werden in der Regel nach ihrer Leistung und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt. Aber es ist noch nicht so lange her, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Alexander Gauland öffentlich verlauten ließ, einen Jerome Boateng wolle man lieber nicht zum Nachbarn haben. Dafür erntete er nicht nur von anderen Politikern, sondern immerhin auch in den Stadien heftigen Protest. Der Sportjournalist Ronny Blaschke hat ein Buch über das koloniale Erbe des Fußballs vorgelegt.
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