„Ziviler Ungehorsam gehört dazu“

Prof. Dr. Hedwig Richter
(Foto: Studio Fabian Hammerl auf wikimedia commons)

Ein später Nachmittag in Neubiberg bei München. Hinter hohen Zäunen die Universität der Bundeswehr. Nach freundlicher Kontrolle der Passagierwürdigkeit führt eine wissenschaftliche Hilfskraft zu dem Gebäude, in dem Seminare und Vorlesungen stattfinden. Ein herzliches Willkommen durch die aktuell wohl berühmteste Historikerin der Bundesrepublik, Hedwig Richter. Ihr Buch „Demokratie“ entwickelte sich zum Bestseller. Im Hinblick auf aktuelle Diskurse zählt sie zu den entschiedensten Stimmen einer demokratisch gestützten Klima­-Krisenpolitik.
In ihrer, so offiziell, „Kleinen Vorlesung zur Geschichte des Anthropozäns“ sitzen knapp zwei Dutzend Studierende. Vortrag wie Diskussion: spannungsgeladen, respektvoll und verblüffend lebendig. Die meisten Teilnehmenden sind Männer, eine Frau sitzt unter den Zuhörenden. Das Gespräch findet danach im „Brandl“ statt, der Kantine der Universität. Bruchstuecke übernimmt mit freundlicher Genehmigung von Jan Feddersen und der wochentaz. Das Original erschien am 4. 02. 2023.

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Beispielhaft: das AKW Monticello oder Risse naja, Hauptsache kein Bruch

Mülheim-Kärlich, Hamm-Uentrop, Niederaichbach, Krümmel, Gundremmingen-A, Lingen, Würgassen – deutsche Atomkraftwerke, die alle wegen Defekten vorzeitig vom Netz mussten oder wie im Fall von Kalkar gar nicht erst in Betrieb gingen. Es handelt sich national wie international um die gleiche anfällige Technik, im Folgenden um die Risse-Problematik, die es bekanntermaßen in Belgien, Schweiz, Frankreich, USA gibt, die aber auch in Russland, China, Japan, Südkorea, Finnland, Schweden, Ukraine usw. vorhanden sein muss: Weil die auch keine besseren Stähle haben. Aus den USA kommt die Nachricht, dass aus dem AKW Monticello – am Ufer des Mississippi gelegen, ungefähr 50 Kilometer nordwestlich von Minneapolis, der Hauptstadt des Bundesstaats Minnesota – 400.000 Gallonen Wasser ausgelaufen sind. Ein Leck im Kühlsystem, das jahrelang vertuscht wurde. Knapp zwei Wochen vor dem Abschalten (nicht nur die FDP stemmt sich dagegen) der letzten drei deutschen Atomkraftwerke sei dieses typische Beispiel aus der Nuklearwirtschaft beschrieben.

Screenshot: CBS News
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„Irgendwie doof“

Screenshot: ZDF heute journal

Der 29. März 2023 war ein Mittwoch; am Abend dieses Tages, genauer gesagt um 22:01 Uhr, gab es eine gute Gelegenheit, der interessierten Öffentlichkeit Einblick in den schwierigen Weg zum Schutz des Klimas zu geben.
In den Tagen zuvor hatten die Spitzen der drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP lange Verhandlungen geführt, um regierungsfähig zu bleiben. Waren die Verhandlungen für den Klimaschutz und die ökologische Transformation der Gesellschaft ein Erfolg oder ein Misserfolg? Die ZDF-Moderatorin interessierte etwas anderes mehr.

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Mal heißt ein Sputnik Schröder…

Der Vernichtungskrieg Putins und seiner Kamarilla gegen die Ukraine hat in Deutschland manch Außen- und Parteipolitisches hoch gespült. In „Die Moskau Connection“, dem Buch der beiden FAZ– Redakteure Reinhard Bingener und Markus Wehner kann man eine Menge dessen besichtigen, was an die Oberfläche gestrudelt wurde. Das riecht, weiß Gott, nicht gut, was da zu besichtigen ist. Präzision und Belegbarkeit von Feststellungen wurden von den beiden Autoren freilich nicht immer erreicht. Ich will ein Beispiel etwas breiter darstellen, denn das Thema, die Frage, warum sich ein Teil der politischen Linken in Deutschland freiwillig in Putins stinkende Fallgruben begeben hat, ist ja nicht nebensächlich.

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150 Billionen Franken Spekulationsgelder sind ausser Kontrolle

Im Zeitraum von 2009 bis 2020 beliefen sich die Kosten der Credit Suisse für Bußgelder, Anwalts- und Gerichtskosten auf 15,7 Milliarden Franken. (Foto: Klimademo vor der Credit Suisse 2019 in Bern | Hadi auf wikimedia commons)

Die Bankenregulierung erwies sich im Fall CS als untauglich. Weitere Zeitbomben ticken im gigantischen Schattenbanken-Geschäft. Die Banken sorgten nicht nur dafür, dass die Regulierungen schwach und voller Löcher sind, sondern sie haben die riskantesten Spekulations-Aktivitäten einfach in Schattenbanken ausgelagert. Die gesamte Summe der nicht regulierten Spekulationsgeschäfte beträgt weltweit 150 Billionen Franken oder Dollar. Das jedenfalls erklärte Finanzjournalistin und Buchautorin Myret Zaki in der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens und warnte: «Wenn die Zinsen weiter steigen, kracht dies alles zusammen, doch niemand interessiert sich dafür.»

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Einzug ohne Anzug

Screenshot: Website gruene.de

Die Premiere hatten sie sich anders vorgestellt. Als die Grünen nach der Bundestagswahl am 6. März 1983 zur ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments in den Plenarsaal einzogen, sollte einer der ihren als Alterspräsident die Legislaturperiode eröffnen. Doch ausgerechnet die selbsternannte „Antiparteienpartei“ hatte die braune Vergangenheit eingeholt, die sie manchen Repräsentanten der Altparteien zu Recht vorwarf. Wenige Tage vor der konstituierenden Sitzung am 29. März 1983 platzte für die neue Fraktion ein Traum.

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Streik macht Arbeit sichtbar

Screenshot: Twitter

Ein paar Randnotizen zum „Monster-Streik“, zum „schlimmsten Streik seit 31 Jahren“, zu dem „Megastreik, vor dem Deutschland zittert“, der „das ganze Land lahmlegt“. Arbeitsleistungen zu verweigern, wird seit jeher als eine Provokation wahrgenommen: Arbeit soll gehorchen. Streiks werden in nicht wenigen Ländern bis heute von Polizei und Militär niedergeknüppelt. Wer kennt in der modernen Sozialgeschichte einen Streik, der in der Öffentlichkeit, der vom Journalismus begrüßt und befürwortet worden wäre? Unsere Gesellschaft und mit ihr der Journalismus schaut durch die Brille der Wirtschaft auf die Arbeit. Medien haben keine Arbeitsredaktion, sondern eine Wirtschaftsredaktion. So ein Streik verändert die Sichtverhältnisse. Streiks machen die Arbeit sichtbar.

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Die Deutsche Bahn blamiert ihre Mitarbeiter:innen

Foto: Túrelio auf wikimedia commons

Das Ticket, käuflich erstanden, verspricht mir eine Bahnfahrt von Zürich HB mit Umstieg in Basel SBB nach Frankfurt a.M.. Die Schweizerischen Bundesbahnen sind für die Reise von Zürich bis Basel verantwortlich, in Basel SBB soll ein ICE der Deutschen Bahn (DB) übernehmen und mich zusammen mit anderen Fahrgästen nach Frankfurt bringen. Damit geben sich die Schweizerische und Deutsche Bahn kooperativ die Hand. Alles bestens, wir fahren pünktlich ab.

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Präzise, analytisch und emphatisch

Die Hölle, so wusste Jean-Paul Sartre, «das sind die Anderen». In eine besondere Spielart dieser Hölle versetzt uns die Demokratie, die uns als Staatsform nicht nur ein großes Versprechen politischer Freiheit gibt, sondern auch die Zumutung auferlegt, die «Anderen» mit all ihren abweichenden Meinungen, Bedürfnissen und Interessen tatsächlich zu ertragen. Ja, Demokratie ist mitunter anstrengend, langwierig, nicht selten ermüdend. Sophie Schönberger, Parteienforscherin und Professorin für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, lässt Sartre gleich zu Beginn ihres Essays zu Wort kommen, um sich auf den folgenden Seiten ergiebig dem Zustand unserer demokratischen Wirklichkeit zu widmen: präzise, analytisch und emphatisch.

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Der Taube und die Lauten

Bild: gregroose auf Pixabay

Eigentlich wollte Emmanuel Macron nach seiner Wiederwahl alles anders machen. Der ehemalige Investmentbanker und Wirtschaftsminister verkündete, in seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit nicht wie Jupiter über den Wolken zu schweben, kein Präsident der Reichen, sondern nahbarer zu sein und hinzuhören, was sein zwischen Wut und Resignation schwankendes Volk bewegt. Nach einem Jahr hat sich am Regierungsstil des 45jährigen wenig geändert: Koste es, was es wolle, zieht er seine Rentenpläne durch, die Dreiviertel der Beschäftigten ablehnen. Warum pocht er schroff, drohend und politisch alles riskierend auf die Anhebung der Altersgrenze von 62 auf 64, auf 43 Jahre Beitragszahlungen für eine abschlagsfreie Rente und bringt seit zwei Monaten von Lyon bis Lille Millionen gegen sich auf die Straße?

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CDU/CSU: Das letzte Aufbäumen der Nuklearisten

Bis zum letzten Tag der Nutzung von Atomenergie in Deutschland versucht eine einflussreiche Lobby, den schlussendlichen Vollzug des Atomausstiegs zu verhindern. Nachdem sie schon im Februar einen entsprechenden Antrag eingereicht hatte, legte die Bundestagsfraktion der CDU/CSU am 14. März einen eigenen Gesetzentwurfzur Sicherung bezahlbarer Stromversorgung“ vor, den das Parlament kurz darauf in erster Lesung behandelte. Darin wird „das bisherige Enddatum für den Leistungsbetrieb von Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland auf den 31. Dezember 2024 verschoben„. Dies soll aber nur ein vorläufiges Datum sein: „Der Deutsche Bundestag entscheidet bis spätestens zum 30. September 2024 über eine weitere Verlängerung der Befristung„. Angeblich ändere das „nichts an der grundsätzlichen Entscheidung zur Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland„. Der unfreiwillig komische Satz kann kaum verbergen, dass in der Union von den Erkenntnissen nach Fukushima nichts mehr vorhanden ist. Hier hat Friedrich Merz Angela Merkel gründlich abgeräumt.

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Rückkehr zum Völkerrecht oder Präventivkrieg als Dauerzustand

Bild: Okan Caliskan auf Pixabay

Gut ein Jahr nach Beginn des Putinschen Angriffskrieges gibt es ein diffuses Bild, was die Parteinahme für die Kriegsparteien anbelangt. Während der Westen, militärisch verkörpert durch die NATO, eindeutig die Ukraine unterstützt, verhalten sich viele Staaten des Globalen Südens ausgesprochen indifferent und abwartend, was eine Verurteilung Russlands anbelangt.

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Diplomatisch tut sich einiges

Foto: Kwerdenker auf wikimedia commons

„Natürlich fragen sich Viele, ob dieser opferreiche Krieg nicht ein Ende haben soll. Er ist auch schwer auszuhalten. Aber Wunschdenken führt gerade nicht zum Frieden, sichert ihn auch nicht in Deutschland“, urteilt der Osteuropa-Experte Andreas Wittkowsky im Interview mit Wolfgang Storz und betont: „Diplomatisch tut sich übrigens einiges. Westliche Regierungen reden nicht nur mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seiner Regierung. Hinter den Kulissen wird auch ausgelotet, ob sich Russland bewegt.“

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„Russland muss spüren, dass es den Krieg verloren hat“

Natalia Chorewa lebt mit ihrer Tochter und ihrem Mann in der ukrainischen Hauptstadt. Mit Ludwig Greven spricht sie über ihren Alltag im Krieg, warum sie sich auch nach über einem Jahr nicht an die ständigen militärischen Angriffe gewöhnen will, und über Friedensaufrufe in Deutschland.
In diesen Tagen hatten wir wieder drei- oder viermal Raketenalarm, genau zähle ich das nicht mehr. Wir versuchen, so viel Normalität zu leben wie möglich. Die Cafés, Restaurants, Clubs und Geschäfte sind voll, die Menschen gehen zur Arbeit, die U-Bahnen fahren. Es gibt allerdings weiter Strombeschränkungen, weil die Russen unsere Infrastruktur angreifen und zerstören. Die meisten Raketen und Drohnen fängt zum Glück unsere Flugabwehr ab. Aber jeden Tag sterben viele vor allem junge Ukrainer in den Kämpfen im Osten und Süden.

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Reaktoren und Raketen: Wir sollten reden. Eine Replik

Bild: Elionas auf Pixaby

In seinem Beitrag „Vero und die Atombombe“ setzt sich Detlef zum Winkel kritisch mit meinem Auftritt in dem HR-Podcast „Studio Komplex“ über Pazifismus und Ukraine auseinander. Er bildet dabei zwei Thesen: Erstens, „Sie macht den Melnyk“, das heißt, ich trommelte im Stil des ehemaligen ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk für eine ukrainische Atombewaffnung. Zweitens, mein Motiv sei verwerflich. Ich täte das, weil ich eine „Publizistin“ sei, die „die vehement für Atomkraft eintritt“ und die angesichts des in diesem Jahr vollzogenen deutschen Atomausstiegs nun nach neuen Betätigungsfeldern Ausschau halte, inklusive neuer Grenzüberschreitungen zwecks Erzeugung von Aufmerksamkeit. Das ist, um es kurz zu machen, ein Argumentum ad hominem, das auf die Delegitimierung meiner Person abzielt, um auf diesem Wege auch meine fachliche Position zu entwerten bzw. sich erst gar nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen.

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