Mene, mene, tekel u-parsin

Bild von Jennifer auf Pixabay

Im Programmheft für original deutsche Stücke steht gegenwärtig an erster Stelle die Trauzeugen-Aufführung. In Köln läuft die Trauzeugengeschichte mit dem Untertitel: „Echte Fründe ston zesamme, ston zesamme su wie eine Jott un Pott.“ Den ersten Teil der Zeilen (einem Lied der Mundart-Band „de Höhner“ entnommen), muss man nicht übersetzen; es ist ratsam die zweite einzudeutschen: Sie stehen zusammen, wie sie zu einem Gott beten und gemeinsam aus einem Napf, einer Schüssel (“Pott“) essen. Die beigefügte Theaternotiz lautet: Komödie mit ernstem Anstrich und ungewissem Ausgang in mehreren Akten. Das Publikum ist begeistert. Ein wenig Hintergrund zur Trauzeugengeschichte und dem „ston zesamme“ ist freilich in jedem Fall hilfreich.

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Ein Buch, das seine Chancen verspielt

Religionskritik erfordert keinen Bürgermut vor Bischofssitz und Fürstenthron mehr. Der von der Präambel des Grundgesetzes bemühte Gott ist nur noch ein folkloristisches Überbleibsel, Präambel-Gott genannt. Der Atheismus, den man sich noch bis ins 19. Jahrhundert mit mühsamen Kämpfen erkaufen musste, ist längst gratis zu haben. Die Welt ist eine Republik…und erträgt weder einen absoluten noch einen konstitutionellen Gott…Mein Gott war längst nur eine Art von Präsident oder Erster Konsul, welcher nicht viel Ansehen genoss, ich musste ihn absetzen…Die Unsterblichkeit geht in den Kauf. So schrieb einmal Gottfried Keller. Das Buch „Ist Gott demokratisch?“ will dem Zeitgeist gegenhalten.

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Der Dissident als Patriot

„Sozialist, Kanzler, Patriot“, so der Untertitel zu der Biographie über Willy Brandt, die der langjährige Zeit-Journalist Gunter Hofmann Anfang 2023 veröffentlicht hat. Drei Prädikate, die in der alten Bonner Republik nicht unbedingt gängige Begriffsreihung waren. Sie deuten die Spannbreite an, mit denen Hofmann dem Leben dieses Ausnahmepolitikers nachspürt.
Den einen Willy Brandt für alle gibt es für Hofmann nicht. Nahezu warnend erinnert er im Vorwort daran, der Künstler Andy Warhold habe den SPD-Vorsitzenden 1976 mit 26 Kunstsiebdrucken zur Pop-Ikone erhoben. Immer das gleiche Motiv, Brandt mit Zigarette im Mund, und doch jeder Druck – und damit auch Brandt – immer in anderem Licht. Nicht den Willy Brandt für alle will der Autor zeichnen, sondern „meinen Brandt“.

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Der deutsche Buchhandel begrüßte die »nationale Erhebung«

Bundesarchiv: Berlin, Opernplatz, Bücherverbrennung
(Foto: Georg Pahl auf wikimedia commons)

10. Mai 1933: In deutschen Universitätsstädten karren Studenten und Nazi-Anhänger Tausende Bücher aus öffentlichen und privaten Bibliotheken zusammen und verbrennen sie auf öffentlichen Plätzen. Es ist der schauderhafte Höhepunkt der Kampagne »Wider den undeutschen Geist«.
Die Szenerie ist sorgfältig geplant, nichts war dem Zufall überlassen worden: Fackeln waren verteilt worden, auf Kommando zieht die auf mehrere tausend Menschen angewachsene Menge los, vorneweg Professoren in Talaren, dahinter NS-Studierende, SA, SS, Burschenschaften und Hitlerjugend. Über das Oranienburger Tor, die Hannoversche, die Luisen- und die heutige Reinhardtstraße, geht es zum Reichstag, dann durchs Brandenburger Tor zum Opernplatz, nun eskortiert von berittener Polizei. Auf dem Platz ist ein Holzstoß aufgeschichtet worden. Feuerwehr steht mit Benzinkanistern bereit. Nun karrt ein Lastwagen mehr als 20.000 Bücher herbei.

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Beschämend die Debatte um Entschädigung, erbärmlich die Höhe der Zahlungen

Bundesarchiv Bild 183-77013-0002, Pressburg, Frick und Globke
Der Ausschuss für Deutsche Einheit dokumentierte am 14.10.1960 auf einer Pressekonferenz in Berlin, dass die Praktiker und Theoretiker des brutalen Kriegs“rechts“ der Nazis, die Herausgeber und Artikelverfasser der faschistischen „Zeitschrift für Wehrrecht“ heute wieder in gleicher oder ähnlicher Funktion für Adenauer und Strauss tätig sind. Frick und Globke waren 1941 in Pressburg [Bratislava], um die faschistischen Judengesetze in der Slowakei einzuführen.

„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Mit diesen Sätzen seiner Rede vom 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag ordnet der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Kapitulation von Wehrmacht und Staat der Nazis, 40 Jahre danach, endlich richtig ein. Diese Worte wirkten auch befreiend für mich und viele meiner Generation. Das Staatsoberhaupt sprach aus, was für viele von uns selbstverständlich war, aber doch nicht öffentlich von staatlicher Stelle gesagt wurde. Denn trotz der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, der Entnazifizierungsprogramme durch die Alliierten, oft halbherzig und inkonsequent, war 1945 keineswegs ein vollständiger Neubeginn.

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Vom Auto befreit sind Stadt und Plätze

Bild: KI-Generator Craiyon

Man könnte denken, das sei alles nur ein Traum. Wer heute durch die Stadtzentren von Berlin und Hamburg, Stuttgart oder Köln flaniert, die herrliche Luft einsaugt und das bunte Treiben auf den Straßen beobachtet, der kann nicht glauben, was geschehen ist. Dieselben Straßen waren noch vor wenigen Jahren mit Tausenden Autos vollgestopft. Die Blechlawinen hatten das Leben der Innenstädte erstickt, die Menschen auf schmale Gehwege und sogenannte Zebrastreifen verbannt. Die Straße – das war Angst, Beklemmung und Feinstaub, Lärm und Dauerstau, Aggressivität und Dichtestress, Hektik und Lebensgefahr. Das war der Todeskampf um die Parklücke, um die Poleposition an der Ampel.

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„Wir: gut. Die: böse.“

Wirkt Franz Emanuel August Geibels Gedicht Deutschlands Beruf, im Jahr 1861 aufgeschrieben, bis heute nach? Oder ist es passe? Aus und vergessen? Endgültig? Soll nichts von Geibels deutschem Wesen übrig geblieben sein? Aber wir haben doch unter anderen den Christian Lindner, seines Zeichens Bundesfinanzminister.

[Foto:AnjaGH auf Pixabay]

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Für sich sorgen – eine Aufgabe oder eine Schimäre?

Bild: geralt auf Pixabay

Ich möchte einen Gedanken überprüfen, der mir, so wie er mir durch den Kopf schoss, überaus schlüssig erschien. Eine solche Überprüfung ist schon deshalb nötig, weil Einfall, Idee oder Erleuchtung Schlüssigkeit als Formmoment haben – schlüssig sind sie per Natur −, so dass man ihren Inhalt womöglich überschätzt. Ich möchte daher prüfen, ob der Gedanke sich entfalten lässt oder ob er so punktförmig ist wie der Moment, in dem er mir durch den Kopf schoss, im Kontinuum der Zeit. Der Gedanke: Das Unglückselige, Fatale und Verhängnisvolle unserer aktuellen gesellschaftlichen Situation, vor allen anderen Komplikationen, sei dem Widerspruch geschuldet zwischen dem unmittelbaren Dasein der Menschen als Individuen und den überaus mittelbaren Bedingungen ihrer Existenzsicherung.

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Die von der Arbeit Ausgeschlossenen heißen Arbeiter

Bild: 0fjd125gk87 au pixabay

Der Katholizismus kennt das Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein. Der Kapitalismus, inzwischen die erfolgreichere Religion, vollbringt das Wunder der Verwandlung von Menschen in Arbeiter, die er – sofern er nicht daran gehindert wird – ausbeutet, wenn er sie braucht, und verhungern lässt, wenn er sie nicht braucht. Um das eine wie das andere abzumildern, gibt es – global gesehen viel zu wenige – gesellschaftspolitische Interventionen: arbeitsrechtliche Gesetze, sozialstaatliche Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen, Gewerkschaften, Sozialverbände, Wohltätigkeitsvereine, Verbraucherschutz etc. Am Abend eines „Tages Arbeit“ fällt die Deformation der Arbeit von einem Akt praktischer Vernunft in Dressurakte des Kapitals (mit einem Auffangnetz, das nicht selten als soziale Hängematte diskreditiert wird) besonders auf. Die kapitalistische Deformation der Arbeit scheint den point of no return hinter sich und in der Klimakatastrophe ihren Endgegner gefunden zu haben.

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Weniger und anders arbeiten

Bild: Tumisu auf Pixabay

 Wieviel Arbeitszeit muss für ein Einkommen aufgewandt werden, um mit guter Arbeit ein gutes Leben zu führen? Das ist eine Schlüsselfrage der sozialen Entwicklung. Wieviel Zeit steht mir außerhalb der Erwerbsarbeit zur Verfügung und inwieweit verfüge ich über meine Zeit in der Erwerbsarbeit? Die Dauer der Arbeitszeit, der Inhalt der Arbeit und das Arbeitsentgelt bestimmen auch die Lebensumstände und sind entscheidend für die Teilhabemöglichkeiten in Politik und Kultur, Bildung und sozialem Engagement. Deshalb demonstrieren, protestieren und feiern Menschen am „Tag der Arbeit“, dem 1. Mai.

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So etwas wie das Totenglöcklein für die Berliner SPD

Parteien müssen nach dem Parteiengesetz (Paragraph 6 Ziffer 11) in ihren Satzungen eine Vorschrift haben, wonach sie sich selbst auflösen können. Diese Möglichkeit kommt mit Blick auf die Berliner SPD in den Sinn angesichts der Vorgänge um die Wahl des Regierenden Bürgermeisters.

Obgleich ausreichend Stimmen nach Mehrheitsbeschlüssen in CDU und SPD für einen absolute Mehrheit vorhanden waren, wurde der gemeinsame Kandidat aus der CDU erst im dritten Wahlhang gewählt. Vor allem die SPD-Fraktion hat den Verdacht auf sich geladen, Kai Wegner nicht geschlossen gewählt zu haben, so dass der gemeinsame Kandidat schließlich wegen Stimmen aus der AfD-Fraktion eine ausreichende Mehrheit auf sich ziehen konnte. Gewählt mit Stimmen aus der AfD, was nach Berichten von seriösen Zeitungen wie der FAZ nahe liegt. Die berichtete tags darauf, dass wenigstens zwei SPD-Fraktionsmitglieder zugegeben hätten, den CDU-Mann Wegner nicht gewählt zu haben. Seit 1870 nennt man solche Leute im militärischen Jargon „franc-tireurs“ – Heckenschützen.
Im Fall der Berliner „franc-tireurs“ gibt es nichts im gemeinsamen Vorhabenkatalog, was ein solches Verhalten rechtfertigen würde; auch die Personen-Auswahl für den künftigen Berliner Senat rechtfertigt ein solches Verhalten nicht. Es bleiben zwei Aspekte: Die Person des künftigen Berliner Regierungschefs sowie die Mehrheitsentscheidung der Berliner SPD-Delegierten, nicht mehr mit den Grünen und der Linken zu koalieren, sondern mit der CDU. Der künftige Regierungschef gilt in einigen Verbänden der SPD als zu rechts. Eine Koalition mit der CDU offenkundig als politisch verboten. Beides wird nicht mit wirklich nachvollziehbaren Argumenten begründet.
Es ist – wie man es auch dreht und wendet – so etwas wie das Totenglöcklein für die Berliner SPD. Sie hat sich als nicht tariffähig, vertragstreu, ehrenhaft erwiesen. Bösartig geschrieben: ein Teil der Leute, die dieses Desaster angerichtet haben, wird in seine Milieus zurückgeeilt sein und wieder die unkündbaren Dienstposten und Arbeitsstellen einnehmen, die er – auch oder vor allem – der Regierungspartei SPD in Berlin zu verdanken hat.

Arbeit, ihre Zukunft und die Aktualität des Projekts Arbeitszeitverkürzung

Screenshot: Website IG Metall Krefeld

Der Anteil an Jobangeboten mit verkürzter Arbeitszeit bei voller Bezahlung sei in den vergangenen fünf Jahren um 848 Prozent gestiegen, analysiert laut Spiegel das Jobportal Indeed, die Nachfrage steige weiter. Aber „die Forderung der IG Metall nach einer Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn in der Stahlindustrie stößt bei der Arbeitgeberseite auf Ablehnung. Eine solche Vereinbarung würde ‚zu einer exorbitanten Kostensteigerung‘ führen und somit ‚zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition‘, sagte der Vorstand des Arbeitgeberverbands Stahl, Gerhard Erdmann, der „Bild“-Zeitung“, schreibt das manager magazin. Auf Forderungen, Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten unterhalb der Führungsebene zu verbessern, reagieren Arbeitgeber, solange es sie gibt, mit der Warnung vor Kostensteigerungen und einer Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit. Ingrid Kurz-Scherf, frühere Marburger Professorin für Politik und Geschlechterverhältnis, kommt im Gespräch mit Jutta Roitsch auf interessantere Gedanken.

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Gerechte Kompromisse für die Biodiversität

Pyramide der Biodiversität
Bild: Fährtenleser auf wikimedia commons

Die Vereinten Nationen haben mit der Agenda 20301 den Versuch unternommen, die Entwicklung auf unserem Globus nachhaltig zu gestalten. Dazu dienen 17 sogenannte SDG (sustainable developement goals). Für mindestens zwei ihrer Nachhaltigkeitsziele – des SDG 14, die Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung zu erhalten und nachhaltig zu nutzen, und dem SDG 2, das den Hunger in der Welt bis 2030 beenden soll – war dieses Bestreben bisher nicht erfolgreich. In beiden Fällen, so lauten die Bewertungen der Weltozeankonferenz und des UN-Welternährungsbericht aus dem Jahr 2022, sind die Staaten den Zielen nicht näher gekommen. Auch bei SDG 15, das dem Schutz der Biodiversität gilt, war bestenfalls Stillstand zu verzeichnen. Wie kann und sollte es weitergehen?

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Der Deutsche Evangelische Kirchentag übt Zensur aus

Screenshot: Website Flüchtlingskinder im Libanon

Jetzt ist die Zeit!“ – unter diesem biblischen Motto aus dem Markus-Evangelium findet vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) statt. Erwartet werden bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. „Wichtige Themen der Zeit werden diskutiert, Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit … und der Würde des Menschen gestellt“, kündigt der DEKT in seinen Einladungen und Werbematerialien für die Großveranstaltung an. Doch die Vertreibung und Flucht von 750.000 Palästinenser:innen im Jahr 1948 darf man dort nicht thematisieren.

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11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen

Losung des 38. Evangelischen Kirchentages in Nürnberg, 7.-11. Juni 2023
Screenshot: https://www.kirchentag.de/losung

Christliche Groß-Events wie »Kirchentage« werden aus Steuergeldern mit Millionen großzügig subventioniert. Warum eigentlich? Gibt es nicht das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche? Alle Jahre wieder findet hierzulande ein Kirchentag statt, immer im Wechsel, mal ein katholischer, mal ein evangelischer – und immer in einer anderen Stadt. Das Ganze hat Event-Charakter: es gibt Musik, Tanz, gemeinsames Gebet und jede Menge Vorträge über Gott und die Welt. Ein straff organisiertes Himmels-Festival mit Zeltlager-Flair. Im Juni trifft sich die Christengemeinde in Nürnberg, zum 38. Evangelischen Kirchentag. Der Freistaat Bayern unterstützt mit 5,5 Millionen Euro die Kirchen-Veranstaltung großzügig.

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