Offizieller Bildtitel: „IMF family“ (Foto: babella auf wikimedia commons)
Hört man die Warnungen derer, die oft als »Entscheider« tituliert werden, so befindet sich der Weltmarkt in Auflösung. Die Globalisierung, heißt es, schreite rückwärts, es drohe »Fragmentierung«, also eine Aufteilung in konkurrierende Handelsblöcke mit den USA, Europa und China als entgegengesetzten Polen. Dies unterminiere auch die Institutionen der globalen Kooperation. Doch während die Welthandelsorganisation WTO in einer Dauerkrise steckt, erweist sich die zweite Säule der Nachkriegs-Weltwirtschaftsordnung als bemerkenswert stabil: der Internationale Währungsfonds (IWF). Er verfügt über immer größere Mittel und weitet sein Engagement stetig aus. Dies liegt an seiner Funktion als Krisenmanager, die in unruhigen Zeiten an Bedeutung gewinnt – für das globale Geschäft sowie für jene Mächte, die ihn seit Jahrzehnten kontrollieren.
Dies ist die Geschichte eines Nuklearunfalls im US-Bundesstaat New Mexico. Obwohl es der erste schwere Unfall in einem unterirdischen Endlager für Atommüll war, fand das Ereignis weltweit und speziell in Deutschland kaum Beachtung. Dabei ist es eine aufschlussreiche Geschichte, wenn man verstehen will, wie sich Atomkatastrophen ankündigen und schließlich tatsächlich passieren. In der geheimnisvollen Welt des Nuklearen geht es nämlich genauso zu wie überall anders auch. Das heißt, dass immer irgendwo irgendetwas schiefgeht. Im Fall des Waste Isolation Pilot Plant (WIPP), der Pilotanlage zur Entsorgung von Abfällen aus dem US Atombomben-Programm, summierten sich kleine Unachtsamkeiten und aufgeschobene Erledigungen zu einem Ereignis, das eigentlich erst in vielen tausend Jahren hätte stattfinden dürfen. Am späten Abend des 14. Februar 2014, 22:50 Uhr Ortszeit, klingelte das Telefon in der Leitstelle von WIPP, keine fünf Meilen von der Kleinstadt Carlsbad im Bundesstaat New Mexico entfernt.
Wird es eine Eintagsfliege bleiben oder Schule machen? Hand in Hand machen ver.di und Fridays for Future aus diesem 3. März 2023 ein brisanten Tag. In öffentlichen Aktionen verwirklichen Gewerkschaftsmitglieder und Umweltaktivist:innen, was in der wissenschaftlichen und politischen Kommunikation seit Jahrzehnten angemahnt und eingefordert wird: Dass nur sozial-ökologische Allianzen den großen Transformationsbedarf unserer Gesellschaft, wie er in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen beschrieben wird, auf einen erfolgversprechenden Weg bringen können. „Im Schulterschluss rufen wir von Verdi und Fridays for Future diesen Freitag gemeinsam dazu auf, auf die Straßen zu gehen. Beschäftigte aus dem Nahverkehr und Klimabewegte, alle zusammen, für eine klima- und sozial gerechte Mobilitätswende“ heißt es in einem „Gastbeitrag zum gemeinsamen Streikaufruf“ von Verdi-Chef Frank Werneke und Luisa Neubauer. Ernährung, Wohnen, Verkehr, Gesundheit, Bildung – die sozialen und ökologischen Krisenszenarien haben dieselben Ankerpunkte, aber die alten sozialen und die neuen ökologischen Bewegungen der Zivilgesellschaft lassen sich immer wieder auseinander dividieren. Ihre Zerrissenheit trägt dazu bei, dass Armut und soziale Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung und Klimakrise unseren Planeten für Milliarden Menschen zu einem immer weniger bewohnbaren Ort machen. „Klimabewegung und Gewerkschaft lassen sich längst nicht mehr gegeneinander ausspielen. Wir verstehen, dass wir nur gemeinsam die Klimaziele von Paris einhalten und eine sozial und ökologisch gerechtere Gesellschaft schaffen können“, schreiben Werneke und Neubauer. Ob es ein PR-Text ist oder eine ernst zu nehmende politische Botschaft, wird sich erst erweisen müssen.
Deutschlands Arbeitgeber wittern bereits „eine gefährliche Grenzüberschreitung“. Große Unternehmen treffen tagtäglich wirtschaftliche Entscheidungen mit weitreichenden und tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Auswirkungen. Aber ihr oberstes Verbandsfunktionär moniert, es würden „Arbeitskämpfe und allgemeinpolitische Ziele miteinander vermischt“, und prangert einen „politischen Streik“ an, wenn ver.di und Fridays for Future zusammen für eine klima- und sozial gerechte Mobilitätswende auf die Straße gehen. Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.
„Der Führer als Tierfreund“ (Bild: Adrian Drozdek auf wikimedia commons)
Der Historiker Götz Aly hat sich der Aufklärung der NS-Verbrechen verschrieben. Ein neues Buch versammelt seine wichtigsten Reden, Aufsätze und Vorträge der vergangenen Jahre. Eine lesenswerte Lektüre: aufklärend, klug und – aktuell. Nein, Hitler war nicht über die Deutschen gekommen, sagt Götz Aly, Deutschland war zu Hitler gekommen. Es hat ihn gewählt, verehrt und bejubelt.
„Viele Konzerne, egal in welcher Branche, verteilen ihre oft exorbitanten Gewinne nach einem ‚asozialen‘ Muster kreuz und quer über die Welt“, sagt Klaus Lang im zweiten Teil des Interviews mit Wolfgang Storz. „Die Gewinne sollen, egal wo erwirtschaftet, in Ländern verrechnet werden, in denen die Steuern am niedrigsten, Gewerkschaften schwächer und die Beschäftigten weniger an Gegenwehr interessiert sind. So bitter das ist: Ohne globale Regeln der Umverteilung wird es unmöglich, den unternehmerischen Reichtum fair zu verteilen, nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Nationalstaaten. Teil eins endete mit der Feststellung, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt, Stichwort Arbeitskräftemangel, die gewerkschaftlichen Möglichkeiten verbessert, die vierte industrielle Revolution human und sozial zu gestalten.
„Ich halte zwei Themen für herausragend, die beide in den Gewerkschaften auch schon diskutiert werden: Die Regelarbeitszeit wird verkürzt, in Form einer Vier-Tage- oder einer 28-Stunden-Woche [siehe aktuell 05-04-2023]. Und: Die arbeitenden Menschen müssen im Arbeitsprozess viel mehr als bisher zu sagen haben, viel mehr als bisher im Arbeitsalltag mitentscheiden können“, sagt Klaus Lang im Interview mit Wolfgang Storz, das Bruchstücke in zwei Teilen publiziert. Teil zwei erscheint unter dem Titel „Warum hat bei den Gewerkschaften niemand den Mumm, groß zu denken?„
Es ist ein halbes Jahrhundert her, dass die (heute immer noch) größte Industriegewerkschaft der (freien) Welt zu einer Internationalen Arbeitstagung nach Oberhausen bat. Auf Einladung des Ersten Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Metall, Otto Brenner, kamen vom 11. bis 14. April 1972 Politiker, Intellektuelle, Zukunftsforscher und Gewerkschaftsführer aus aller Welt zusammen, um über die „Qualität des Lebens“ als „Aufgabe Zukunft“ nachzudenken. Die männliche Form ist bewusst gewählt, denn unter den Rednern befand sich keine einzige Frau. In einer Reihe von zehn Taschenbüchern dokumentierte die Europäische Verlagsanstalt diese außergewöhnliche Veranstaltung. Vereinzelt noch tauchen sie in Antiquariaten auf: Bildung (Band 2), Umwelt (Band 4), Qualitatives Wachstum (Band 7) oder Demokratisierung (Band 8). Kommen heutigen Leserinnen und Lesern diese Themen nicht bekannt vor?
Der Hessische Rundfunk hat einen Kanal für Podcasts unter dem Titel STUDIO KOMPLEX eingerichtet. Hier werde „Show gewordener Journalismus“ dargeboten, heißt es in der Selbstdarstellung. Auch wolle man „die schmerzhaften Graubereiche des Lebens“ ergründen. Von dieser Programmankündigung, die in der Tat schon Pein bereitet, weil sie wie Durchschnittsware von Werbeagenturen verfasst ist, haben sich Hörer:innen des hr nicht abhalten lassen. So mussten sie eine unheimliche Entdeckung machen.
Der iranische Staatschef stimmte dem Atomabkommen unter Vorbehalt zu Bild: Unknown auf wikimedia commons
Von Tagesschau bis Handelsblatt berichten (nicht nur) deutsche Medien, Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hätten im Iran Uran mit einem Reinheitsgrad gefunden, der mit 84 Prozent nur knapp unter dem zum Bau einer Atombombe nötigen Wert liege. Die UN-Atomenergiebehörde prüfe nun die Hintergründe. Über die Hintergründe der Hintergründe hatte Detlef Zumwinkel im Dezember 2022 bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Frankfurt a. M. einen Vortrag gehalten, den Bruchstücke in zwei Teilen dokumentiert hatte. Aus aktuellem Anlass präsentieren wir den gesamten Vortrag.
Der Karneval, der Fasching, Fastelovend, Fasteleer, wie auch immer die „tollen Tage“ im Februar genannt werden, sie sind eine verdammt ernste Angelegenheit. Es ist nämlich so: Beim Geld und im Karneval hört der Spaß rasch auf. Dass das so ist, merkt Mensch am Streit um selbigen. So hatte das Kölner Arbeitsgericht 2018 festzustellen, wie lange der Kölner Fasteleer überhaupt dauert. Andere würden sagen: anhält beziehungsweise: nervt. Der dauert von Donnerstag („Wiivefastelovend“) bis zum nächsten Mittwoch (Aschermittwoch), allerdings nicht den vollen Donnerstag. Die Deutsche Welle, gewissermaßen die Speerspitze der weltweiten Information über die deutsche Kultur, hat nachgerechnet. Sie kam 2019 bezüglich der Dauer des Karnevals auf 132 Stunden und 49 Minuten.
Bild: Dall-E von OpenAI (Dall-E ist ein von OpenAI entwickeltes Computerprogramm, das Bilder aus vorgegebenen Text generiert).
ACHTUNG: Nach dem Lesen dieses Artikels wollen Sie sich an Reiche kleben… Wir schreiben das Jahr 2029 und Melanie B. und Jan A. verlassen ihre Wohnung, um sich wie jeden Freitag an einen Reichen zu kleben. Doch wie ist es dazu gekommen und was motiviert die jungen Menschen, eine lange Haftstrafe zu riskieren? … weil Sie wissen, warum nicht Klima-Kleber extremistisch sind, sondern die Gesellschaft, und wie ein Kompendium des absurden Widerstands in einer extremen Gesellschaft aussehen könnte.
Für Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht ist ihr Manifest, über das Emma unter der Headline „Der Aufstand für Frieden — allerorten“ berichtet, ein großer Erfolg: Viele als Intellektuelle Bekannte haben unterzeichnet, in wenigen Tagen bald eine halbe Million BürgerInnen, in weiteren wenigen Tagen werde es eine Million und mehr sein, so die Vorhersage der Redaktion von Emma. Viel spricht dafür, dass mit dem Manifest „eine regelrechte BürgerInnen-Bewegung“, so Emma, für Wladimir Putin, den Geheimdienstagenten, Vielfach-Schlächter (Tschetschenien, Syrien, Ukraine) und Diktator ausgelöst worden ist. Das Manifest kehrt mit wenigen Worten — meist offen und alles andere als subtil — die Schuldfrage um: Der ukrainische Präsident Selensky ist der Kriegstreiber, Putin ist der Angegriffene. Ein kommunikativ-handwerklich sehr kompetentes Machwerk an Manipulation und Verschwörungsarbeit. Wie geht das?
Place des Nations, Genf. Skulptur „Frieden“ von René Brandenberger (Foto: Markus Schweizer auf wikimedia commons)
Das Motiv für das „Manifest für den Frieden“ ist ehrenwert und nachvollziehbar: Der schiefen Ebene der Eskalation – hin möglicherweise sogar zum Atomkrieg Einhalt gebieten! Statt zuzuschauen – Eingreifen! Und auf wen können wir am ehesten Einfluss nehmen? Auf unsere Regierung! Und was bietet sich da als Handlung an? Der Verzicht auf Waffenlieferungen. Und was ist unter anständigen, zivilisierten Menschen die richtige Konfliktlösung? Verhandlungen. Also lautet die scheinbar naheliegende Konsequenz: Verhandlungen statt Waffenlieferungen! Aber…
In seiner Studie „Leidenschaften und Interessen“ aus dem Jahr 1977 hat der Ökonom Albert O. Hirschmann gezeigt, wie der Begriff des „Interesses“ zu Beginn der Neuzeit zum Zentralbegriff der politischen Staatslehre wurde. Er verkörperte das Gegenmodell zu den Leidenschaften des Glaubens, die in den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts Deutschland und Europa ins Chaos gestürzt hatten. Interessen wurden so etwas wie die verborgene Kraft, die das menschliche Handeln, wechselnde Befindlichkeiten und Konflikte erklärbar machten. Der Begriff des Interesses öffnete zudem einen gedanklichen Raum für Kompromisse, während das Universum der Leidenschaften nur den richtigen und den falschen Glauben kannte. Vor diesem Hintergrund einige Anmerkungen zu Klaus von Dohnanyis Buch „Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche„.
ARTE zeigte am 5. Mai 2010 einen 100 Minuten dauernden Dokumentarfilm der grandiosen Historikerin und Filmemacherin Ruth Zylberman. Der Film – ausgezeichnet mit dem Grand Prix du documentaire d’histoire – war bewegend, er beschrieb die Lebenswege von Dissidenten aus Polen und Ungarn und der Tschechoslowakei, von Václav Havel, Jacek Kuron, Adam Michnik und anderen, deren geheime Treffen, deren Ängste und Kämpfe um Freiheit und Offenheit, darum, wie Menschen behandelt zu werden. Der Film geht mit einer Botschaft, sofern ich mich richtig erinnere, zu Ende. Mit der Botschaft, dass die Dissidenten uns im Westen ein Erbe hinterlassen haben: Nämlich nie zu vergessen, welchen Wert die Freiheit hat. Wir haben dieses Erbe kollektiv angenommen. In diesem Zusammenhang wurde oft erklärt: Wir vergessen eure Botschaft nicht. Mehr noch: Wir heißen euch in unserer europäischen, nun gemeinsamen Heimat willkommen. Dabei war klar: Die im Westen Deutschlands mussten nie wirklich gegen Unfreiheit kämpfen. Viele im Osten unseres Landes haben gekämpft und dafür auch bitter bezahlt. Gibt es das Erbe noch? Ist es vergessen? Hat es sich aufgezehrt? Oder muss man genauer in den Erbvertrag schauen? Steht da irgendwo im Kleingedruckten: Wir verwerfen dieses Erbe dann, wenn es hart auf hart kommt?
In einer Petition aus diesen Tagen, einem „Manifest für den Frieden“, lese ich: „…wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“. Und: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“ Können und müssen? Es geht darum, den mörderischen Angriffs-Krieg in Europa zu beenden. Durch Kompromisse, wie es in der Petition heißt, denen eine Seite zustimmen kann, die jeden Vertrag gebrochen hat, die angekündigt hat, ein Land von der Landkarte zu löschen, die mordet, Kinder raubt, Frauen schändet, die die Arbeitslager und Gulags wieder füllt. Die Petition will und kann einen Kanzler und eine Regierung „in die Pflicht nehmen“, die der anderen Seite im Konflikt auch militärisch mit fast allem, was sie hat, helfen will. Daraus schließe ich, dass die Genannten bislang ihre Pflicht verletzt hätten, denn sonst müssten die nicht in die Pflicht genommen werden. Wir sollten die Petition vergessen, bitte, bitte. Sie ist eine einzige Blamage.