Haustiere hält der Papst für ein bedenkliches Zeichen. Denn für ihn signalisieren sie einen Egoismus in der Bevölkerung. »Wir sehen eine Form der Selbstsucht«, sagte Franziskus Anfang dieses Jahres. »Viele Menschen wollen keine Kinder kriegen – manche haben vielleicht eines, aber das war es dann schon, stattdessen haben sie Hunde und Katzen, die den Platz der Kinder einnehmen.« Die Ablehnung von Vater und Mutterschaft »reduziert uns, nimmt uns unsere Menschlichkeit«, mahnte der Papst, und führe einen »demografischen Winter« herbei. Wenn Kinderlosigkeit eine Form der Selbstsucht ist, so ist in der päpstlichen Logik Kinderreichtum eine Form der Selbstlosigkeit, des Dienstes. Aber an wem? Ökonom:innen hätten eine Antwort: an der Wirtschaft. Denn Kinder sind eine Ressource des Wachstums. Und da sie derzeit ausbleiben, werden dem globalen Kapitalismus düstere Zeiten vorhergesagt.
Schluss mit der FIFA. Schafft sie ab, löst sie auf. So schnell wie möglich. Ein Verband, der gern mit Autokraten kungelt, und der in die Liebes- und Lebensgewohnheiten von Spielerinnen und Spielern hinein greift, gehört abgeschafft! Lieber DFB, liebe Fußball-Verbände whereever, im Zeitalter von Home Office, Informationen und Absprache über alle Möglichkeiten des Zoomings, der Datenbanken und Clouds, angesichts tausender gut ausgebildeter arbeitswilliger Juristinnen und Juristen, Betriebswirten, Management –Fachleuten ist der FIFA- Zirkus völlig überflüssig. Für Überschuss- und Veranstaltungsmanagement sowie für die Entwicklung der Fußballregeln und deren Anwendung braucht es keine hunderte FIFA-Nasen, die wie im Schlaraffenland leben. Es geht um eine Übergangszeit, bis eine neue, echt föderale, abgemagerte, vertrauenswürdige Struktur steht, die Anstand hat. Kauft vom Geld auf den FIFA-Konten Fußballschuhe, bezahlt Ausbildungszentren, lasst davon Brunnen in armen Gegenden mit tollen Fußball-Begabungen bohren, fördert echte Freundschaften. Schenkt allen Hans Christian Andersens Geschichte von „des Kaisers neuen Kleidern“. In der Geschichte ruft ein Kind aus der Bambini- Jugendklasse: Der hat ja nichts an! Am Ende rufen alle: Der hat ja nichts an! Das wär Weltklasse.
Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici ist mit dem Österreichischen Ehrenzeichen und Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet worden. In seiner Dankesrede spricht er über Antisemitismus, Rechtsextremismus und die Willfährigkeit gegenüber den Zumutungen staatlicher Macht. Das Ehrenkreuz ist eine Auszeichnung der Staates Österreich. Bruchstücke übernimmt die Dokumentation seiner Rede von Faustkultur.
Es war ein Märchen. Entspannt ließen sich die Ehepaare Willy und Rut Brandt sowie Walter und Mildred Scheel von ihrem Nachwuchs unterhalten. Während die Bürger die Wahllokale regelrecht stürmten, saßen Kanzler und Vizekanzler in einer Bonner Schulaula und sahen zu, wie auf der Bühne die Jungschauspieler Mathias Brandt und Cornelia Scheel die Erzählung von „Dornröschen“ in Szene setzten und Grimms Märchenfee aus ihrem Schlaf befreiten. Wachgeküsst schien an jenem 19. November 1972 auch die Republik, durchdrungen von dem Wunsch, den Daumen für den Kanzler zu heben oder ihn zu senken.
Technik macht vieles leichter und komfortabler. Trägt ein Gabelstapler die Lasten oder müssen Menschen sich abschleppen? Je üppiger wir uns mit Technik ausstatten, desto abhängiger werden wir von Energie. Schwierigkeiten mit der Energieversorgung lösen in einem hochtechnisierten Land sofort Alarm aus, weil nicht nur der Lebensstandard, sondern vielfach tatsächlich Überleben davon abhängt. Wenn, wie gegenwärtig, Energiekrise und Klimakrise aufeinandertreffen, wird es schwer zu entscheiden, ob erst der Belzebub oder erst der Teufel ausgetrieben werden sollen. Die Agenda 2030 muss als Zukunftsstrategie Antworten auf die Gegenwart von 2022 geben. Wenn es in ihrer Präambel heißt, dass die 17 Ziele (SGD) für nachhaltige Entwicklung eine wirtschaftliche, eine soziale und ökologische Dimension enthalten müssen, ist dies auch als Beitrag zu einem anderen Zivilisationsmodell zu verstehen, einem Zivilisationsmodell, dessen Energieverbrauch nicht zu Klimakatastrophen führt.
«Im Frühling würde alles anders, die Natur würde erwachen, die Vögel würden lauter singen als die Geschütze feuerten, weil die Vögel in der Nähe sangen, die Geschütze aber dort in der Ferne blieben. Nur manchmal würden die Artilleristen aus unbegreiflichem Grund, vielleicht weil sie betrunken oder müde waren, ein Geschoss zufällig auf das Dorf, auf Malaja Starogradowka, abfeuern. Einmal im Monat, nicht öfter. Das Geschoss würde dorthin fallen, wo es schon kein Leben mehr gab: auf den Friedhof oder den Kirchenvorhof oder das seit langem leerstehende Gebäude des alten Kolchosebüros.» So denkt der Bienenzüchter Sergej Sergejitsch im Donbass.
Bundesaußenminister Genscher (rechts) im Gespräch mit Deng Xiaoping in der Großen Halle des Volkes am 29. Oktober 1985, dem Tag der Einweihung der Handelsförderungsstelle. (Foto: Ulrich Wienke auf wikimedia commons)
Wenn die Vorstände der großen deutschen Konzerne sich gemeinsam äußern und mit ihnen die Vertreter der wichtigsten Industriezweige, dann geht es ums große Ganze. Riesig ist der chinesische Markt und aus den Umsatzzahlen von BASF, VW, Bosch und Siemens nicht wegzudenken. Genauso wie für die deutsche Pharmaindustrie, die Medizintechnik, die Autozulieferer und den Maschinenbau. Die in der FAZ kürzlich veröffentlichte gemeinsame Erklärung hat die Crème des deutschen Kapitalismus unterzeichnet, aus gegebenem Anlass ergänzt um die Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen AG. Man macht sich große Sorgen um die öffentliche, China viel zu kritisch kommentierende Meinung in Deutschland.
In den letzten 50 Jahren hat sich die Medienwelt modernisiert und in manchem zum Guten gewandelt. Nehmen wir die Lage von Journalistinnen. Die 1970er waren das Jahrzehnt, in dem der Chefsprecher der ARD beispielsweise noch behaupten konnte, Frauen seien zu emotional, um Nachrichten zu verlesen. Noch längst ist nicht alles gut. Aber solche Zeiten sind vorbei. Auch, weil Journalistinnen zum Beispiel im Verein Pro Quote für gleiche Chancen gekämpft haben. Genau, wie es seit einigen Jahren Menschen mit Migrationsgeschichte im Zusammenschluss Neue deutsche Medienmacher*innen tun. Ihrer aller Forderung: Redaktionen müssen ein Abbild der Gesellschaft sein, über die sie berichten. Die Gratwanderung, das vorab, die dieser Text versuchen wird, ist, keine Ungleichheit gegen die andere auszuspielen. Trotzdem ist festzustellen, dass die Diversity-Diskussion einen Bereich weitestgehend ausblendet – oder sollte man sagen: eine Dimension?
Viele demokratisch gesinnte BürgerInnen wissen, es muss sich vieles ändern. Zugleich wollen sie ihren alten Alltag zurück. Gepaart mit diesem Paradox ist ein tiefes Misstrauen gegen "die da oben" und zunehmend die Überzeugung, unsere Demokratie sei unfähig, die jetzigen Probleme zu lösen. Auf dieser Grundlage gibt es eine Annäherung an die Narrative der Rechtsaußen. Wolfgang Storz und Horand Knaup im Gespräch mit der Wahlforscherin Jana Faus.
Es rauschte einfach an den Zuschauenden vorbei, nämlich was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Erwachsenen- Schulfunk „hart aber fair“ gerade sagte: „Das System wird ein Stück teurer.“ Ein netter Hinweis auf den Defizit-Stau in den beitragsfinanzierten Sozialsystemen. Für die gesetzliche Krankenversicherung wird der Zusatzbeitrag um 0,3 Prozent steigen – was etwa fünf Milliarden € ausmachen wird. Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten zwei Beiträge, den „regulären“ Beitrag in Höhe von 14, 6 v.H. vom Brutto-Entgelt, jeweils zur Hälfte von Beschäftigten und Betrieben gezahlt und einen Zusatzbeitrag. Der liegt im Schnitt bei 1,3 v.H. Da die Krankenkassen Mitte des Jahrzehnts in Defizite in Höhe von geschätzt 27 Milliarden € laufen (IGES- Forschungsinstitut Berlin) werden 0,3 Prozent Erhöhung nicht reichen. Es kommen Beitragserhöhungen für die Rentenversicherung hinzu. 18,6 v.H. vom Brutto zahlen Beschäftigte und Betriebe paritätisch in die Rentenversicherung. Um das Rentenniveau (Relation zwischen Einkommen aus unselbständiger Arbeit und Renten) bei 48 v.H. zu halten, werden bis 2026 statt 18,6 v.H. etwa 20 v.H. erforderlich sein. Für die Pflegeversicherung werden gegenwärtig, ebenfalls paritätisch aufgebracht, 3,05 v.H. bei den Beitragszahlenden mit Kindern verlangt, 3,4 v.H. von den kinderlosen. Ein großer Teil höherer Entgelte in der Altenpflege ab 1, September ist nicht finanziert. Also nicht da. Ab 1. September mussten Tarifentgelte gezahlt werden. Es gibt Fachleute, die sehen in der Altenpflege eine humanitäre Katastrophe heraufziehen. Der Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung liegt im laufenden Jahr bei 2,4 v.H. – er wird 2023 auf 2,6 v.H. steigen. Was ich aufschreibe, das ist keine Panikmache. Die soziale Sicherung läuft so, wie es aussieht, in eine existenzielle Krise.
Am 27. November entscheidet die Basler Stimmbevölkerung, ob die Stadt bis 2030 klimagerecht wird. Das bewegt jetzt schon viel. Vor wenigen Wochen, am 9. Oktober 2022, ist Bruno Latour gestorben, dessen Diagnosen zum Zustand der Erde wegweisend, verstörend und radikal bleiben. Zum Beispiel die Diagnose, dass die Verleugnung der Klimasituation und die Explosion der globalen Ungleichheiten miteinander verstrickt sind und dass sie von Eliten orchestriert werden, die beschlossen haben, in einer Welt ohne Realität und ohne Erde zu leben. Die einzigartige Bedeutung von Latour liegt darin, dass er solch erstickende Diagnosen verbunden hat mit dem Optimismus, den das «Terrestrische» uns auferlegt: Die Erde braucht uns nicht – wir aber sie. Das wäre die Grundlage jeder Klimapolitik. Nur eben: Wie wird diese gemacht? Und von wem? Und wie kommt man zu einem sinnvollen Klimahandeln oder gar zur «Klimagerechtigkeit»? [Aktualisierter Hinweis zum Abstimmungsergebnis: Zwei-Drittel-Ja: Kanton Basel-Stadt soll bis 2037 klimaneutral werden.]
Die Frage, ob unser jetziges Lebens- und Wirtschaftsmodell, dessen Alltag im Wesentlichen aus dem Herstellen, Ver/Kaufen, Konsumieren und Wegwerfen von Warenansammlungen besteht, weitergeführt werden kann, wurde vor etwa 30 bis 40 Jahren aufgeworfen. Es ist bisher beim Fragen geblieben. Ein Plädoyer für viele konkrete Projekte statt endloser Debatten über Großkonzepte.
Das eurasische Pendant zum Weltwirtschaftsforum in Davos ist das jährliche Treffen des Valdai-Clubs in Sotschi. Sieht man im Tessin den Auftritt vieler Staatschefs, ist an der Schwarzmeerküste die Bühne für eine One Man Show bereitet. Putins neulich gehaltene Rede verdient es, sehr beachtet zu werden. Es ist keine von besonderer Raffinesse zeugende Rede, im Gegenteil; sie folgt dem plumpen, von George Orwell beschriebenen, für totalitäre Systeme typischen Muster. Aus Krieg wird Friedenssicherung, aus militärischer Aggression wird Verteidigung, aus Fakten werden Lügen. So steige sein Land im Gegensatz zum Westen nicht in einen fremden Hof ein. Die Anstiftung zum Krieg in der Ukraine…die Destabilisierung der weltweiten Lebensmittel- und Energiemärkte seien vom sogenannten Westen zu verantwortende Eskalationsschritte. Es sind die immer wiederkehrenden Redefiguren, die Putins Demagogie bedeutsam machen, denn sie sollen ihn als einen antikolonialistischen Kämpfer erscheinen lassen.
Beginnen wir hierzulande: Noch immer gibt es eine Fülle anachronistischer Gesetze und Subventionen, etwa bei der horrenden öffentlichen Finanzierung von Kirchentagen oder der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, die Finanzierung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten bis hin zu Kirchenredaktionen in deutschen Landes-Rundfunkanstalten. Daran wird sich auch in naher Zukunft wenig ändern. Zu stark ist der klerikale Lobbyismus, die Kirchenhörigkeit der Politik. Dabei gibt es einen klaren Verfassungsauftrag in Deutschland, die Komplizenschaft von Kirche und Staat zu beenden. Seit mehr als einhundert Jahren. Doch passiert ist bislang nichts.
Als die FAZ den Artikel „Persönlichkeitsstörungen: So erkennt man Psychopathen“ veröffentlichte, dachte sie bestimmt nicht an ihren (Mit-)Herausgeber Berthold Kohler. Der räumt (drei Tage danach) in seinem Leitartikel „Braucht auch Deutschland die Bombe?“ zwar ein, dass man leicht für verrückt erklärt werden könne, wenn man Vorschläge wie die seinigen unterbreite. Er macht es trotzdem: Kohler hat erneut – und in bisher ungekannter Deutlichkeit – eine deutsche Atombombe gefordert. Also keine Teilhabe an einer europäischen, sondern eine ausdrücklich deutsche Nuklearstreitmacht, die auch wesentlich umfangreicher sein müsse als die force de frappe oder das britische Pendant. Denn sie müsse alle Varianten der Abschreckung bedienen können, gerade heute im Ukrainekrieg. Er argumentiert ganz im Sinne von FJ Strauß und beruft sich auch auf ihn. Eine schnelle Reaktion verfasste der Energie-Fachmann Udo Leuschner in seiner Energiechronik. Auf Bruckstuecke wurde schon im Juni unter dem Titel „Atomare Propaganda“ darauf hingewiesen, wie begehrlich die FAZ „das Undenkbare“ denkt und dass man damit den Atomwaffensperrvertrag brechen würde. Eben das findet Kohler nun durchaus machbar; der Vertrag enthalte ja eine Austrittsoption. Auch zum 2+4 Vertrag äußert er sich „vieldeutig-unklar“, wie Leuschner feststellt. Kohler erklärt die Nachkriegsordnung von 1945f. komplett für obsolet und möchte sie durch eine Vorkriegsordnung ersetzen, in der Deutschland seinen berüchtigten „Sonderweg“ einschlägt. Der unvermeidlich folgenden Konfrontation mit Frankreich und Großbritannien ist er sich bewusst: Wer eine Formulierung „diesseits der Maginot-Linie“ wählt – statt diesseits des Rheins – befindet sich gedanklich in der Welt der deutschen Bestie, wie man es früher nannte. Oder er hat etwas zu sich genommen, was ihm nicht bekommen ist.