Wider die Täter-Opfer-Umkehr

Darf man Religion verspotten? Ja, unbedingt, sagt Richard Malka. In Frankreich lebt er deshalb unter Polizeischutz. Als Anwalt hat er Charlie Hebdo erfolgreich gegen Rassismusvorwürfe verteidigt, nachdem das Magazin Mohammad-Karikaturen veröffentlichte. Jetzt ist sein Plädoyer vor Gericht als Buch erschienen – eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit. Ein bärtiger Mann mit Turban hält seinen Kopf zwischen den Händen. Er ist sehr verärgert. In der Sprechblase steht: »Schon hart, wenn einen Idioten lieben …!« Die Zeilen über der Zeichnung erläutern: »Mohammad beklagt sich. Er wird von Fundamentalisten überrollt!« Der Prophet beklagt sich also über die Haltung seiner fanatischen Anhänger. Eine Titelseite von Charlie Hebdo, dem französischen Satiremagazin: provokant, schrill, bunt. Nicht jeder muss über diese Karikatur schmunzeln, jeder darf sich beleidigt fühlen. In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft nennt man so etwas politische Karikatur.

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Plädoyer für eine ganz große Problem-Lösungs-Koalition

Für meinen Alternativ-Vorschlag zu einer Ampelregierung erntete ich vor zwei Jahren nur Kopfschütteln auf : Nämlich eine Rot-Schwarz-Grüne Koalition! Die Reaktion darauf: Wie könne man dafür sein, die CDU/CSU, eine für 16 Jahre Stagnation verantwortliche Partei, weiter in der Regierung zu halten? Was mache es für einen Sinn, eine Koalition aus drei Parteien zu bilden, wenn eine (die Grünen) dann numerisch überflüssig wäre? Und warum nicht mal das spannende Abenteuer wagen, zusammen mit der FDP die Republik zu modernisieren ? Meine Kernthese gestern wie heute: Die sichtbaren und versteckten Gemeinsamkeiten von SPD, CDU/CSU und Grüne würden für ein substantielles gemeinsames Überlebensprogramm ausreichen.

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Unruhe und Unsicherheit in Frankreichs Lehrerschaft

Porträt Samuel Paty | © victorcouto wikimedia commons

Sie erschienen vor dem Pariser Jugendgericht eingehüllt in Kapuzenpullis und vermummt: fünf ehemalige Schüler der Mittelschule „Bois d’Aulne“ in Conflans-Sainte-Honorine und eine heute 16jährige Schülerin, die unter einem anderen Namen an einem anderen Ort in eine andere Schule geht. Sie sind angeklagt wegen Verleumdung, Denunziation und Vorbereitung einer terroristischen Gewalttat. Der Fall des am 16. Oktober 2020 von einem 18jährigen radikalislamischen Tschetschenen erstochenen und geköpften Lehrers Samuel Paty wird erstmals vor Gericht verhandelt: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil die Jugendlichen zur Zeit der Tat zwischen 13 und 15 Jahre alt waren.

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Ein liberaldemokratisch-bürgerlich-anständiges Manifest

Bild: Peggy_Marco auf Pixabay

Im Bonner General-Anzeiger war am vergangenen Samstag eine spannende Geschichte aus der Feder des Chefs der überregionalen Tagespolitik der Rheinischen Post, Martin Kessler zu lesen. Zur Mediengruppe Rheinische Post gehören neben den beiden erwähnten Tageszeitungen die Saarbrücker Zeitung, die Aachener Nachrichten, der Trierische Volksfreund, digitale Medien, Anzeigenblätter und lokale wie regionale Rundfunke. Alles in allem gewiss kein kümmerliches Bäumchen im deutschen Blätterwald. Kessler, ein promovierter Volkswirt, schrieb nun im journal, in einem “Magazin für Kultur und Wissen“ genannten Zeitungsteil, über eine ganze Seite verteilt „sieben gute Gründe“ auf, „links zu sein.“

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Am Anfang war Verschwörung

Screenshot: Website Nachdenkseiten

„Es ist ja kein Geheimnis, dass wir von den NachDenkSeiten das neue Parteiprojekt mit Hoffnung und Sympathie begleiten“, schreibt Albrecht Müller. Die Katze war schon länger, aber eher unauffällig aus dem Sack geschlüpft – siehe den folgenden Beitrag von Matthias Meisner aus dem Jahr 2022. Jetzt präsentiert sich die Katze wohlig schnurrend, Sarah Wagenknechts Parteigründung umschmeichelnd. “Es lohnt sich, diese Pressekonferenz [anlässlich der Parteigründung] anzuhören und anzuschauen. Sie zeugt vom programmatischen und personellen Reichtum der neu gegründeten Partei“, wirbt derselbe Müller, der keine Gelegenheit auslässt sich zu beklagen, „wir alle sind heute massiver Meinungsmache und Propaganda ausgesetzt“.
Die Notwendigkeit der neuen Partei begründet Müller damit, dass SPD, Grüne und Die Linke durch „das erfolgreiche Wirken von Einflussagenten“ von außen umgedreht wurden, „dass Parteien, mit denen viele Menschen Hoffnungen verbunden hatten, unterwandert, umgedreht und fremdbestimmt worden sind“. Ausdrücklich begrüßt er es, dass die Führung der neuen Partei diese Probleme erkannt hat. „Deshalb versucht man, sorgfältig zu prüfen, wen man als neue Mitglieder aufnehmen kann.“
[at]

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Sozialer Zusammenhalt braucht soziale Orte

Bild: Ausstellung Wonderland im Deutschen Bundestag, 2013 | Fraktion Die Linke

Die Bedeutung des Raumes für das Zusammenleben der Menschen und ihre Vergesellschaftung ist in den Sozialwissenschaften vielfach beschrieben worden. Als soziale Kategorie ist Raum mehr als ein Behältnis, in dem sich soziale Prozesse abspielen. Der soziale Raum selbst ist, wie Henri Lefebrve (1974), Martina Löw (2001) und viele andere gezeigt haben, sozial konstituiert, perspektivisch auf Relevanzmuster bezogen, strukturiert durch soziale Beziehungen, den alltäglichen Austausch, aber auch Herrschaft, Macht und Konflikte. Der Raum wird angeeignet, er ist Gegenstand von Kämpfen, er kann die Menschen verbinden oder sie einander entfremden.

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Oppenheimer in der Unterhaltungsindustrie: Legenden übernommen und verstärkt

Screenshot: Oppenheimer | neuer Trailer Universal Pictures Germany auf youtube

Christopher Nolans „Oppenheimer“ hätte ein herausragender Film werden können. Seine Warnung vor den Gefahren eines Atomkriegs kam gerade zur rechten Zeit. Seine Erinnerung daran, dass der Vater der Atombombe nach getaner Arbeit gefeuert wurde, weil er nicht nachließ, vor der neuen Waffe zu warnen, hat vielen Menschen neue Einsichten beschert. Je länger das Kinoerlebnis allerdings zurückliegt, desto mehr fallen einige Ungereimtheiten der Erzählung ins Gewicht, schludriger Umgang mit Fakten und Personen, oberflächliche Interpretation wichtiger Ereignisse. Das Unbehagen darüber geht auf die Wirkungsmacht der modernen Unterhaltungsindustrie zurück. Sie setzt Legenden in die Welt und beruft sich dabei auf die künstlerische Freiheit. Wer mag da den Pedanten geben, der mit dem Zeigefinger auf dieses deutet – falsch! – und jenes bemängelt: dubios! Im Folgenden soll genau das geschehen.

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Blick in das zukunftsfähige Dorf Anpackhausen des Jahres 2035

Illustration: Grit Koalick

Drei Dörfer in Niedersachsen – Flegessen, Hasperde und Klein Süntel – arbeiten seit Jahren an einem gemeinsamen Zukunftsweg. Dafür wurden sie mehrfach ausgezeichnet und sie gründeten sogar eine eigene Akademie des Wandels, um ihre Erfahrungen in der bisherigen Dorfgestaltung mit anderen zu teilen. Dennoch hatten sie bei all dem den Eindruck: Angesichts der Krisen und Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu denen wir alle auch beitragen und die sich durch unsere wachstumsgetriebenen Gesellschaften für alle weiter verschärfen, müssten wir uns und unsere Dörfer noch viel tiefgreifender verändern. Aber was genau wäre denn notwendig, um Dörfer jenseits immer weiteren Wirtschaftswachstums zukunftsfähig aufzustellen? Das herauszufinden, wurde Aufgabe des Projekts „Zukunftsfähiges Dorf 2035“.

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Nachrichten meiden: Viele Ursachen, vielfältige Auswirkungen

Bild: NoName_13 auf Pixabay

Die offensichtlich rückläufige Nutzung von Nachrichten und Informationen ist zu einem Thema der Medienbranche geworden («Jahr der Nachricht»; «UseTheNews»). Das ist gut. Die Problematik muss aber ebenso zu einem Thema der Medienpolitik werden, denn es geht um mehr als das wechselhafte, volatile Nutzungsverhalten von Bürgerinnen und Bürgern. „News Avoidance“ steht für einen Umbruch in der gesellschaftlichen Vermittlungsstruktur mit Folgen für Journalismus und Medien. Ausgang offen.

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Medienkompetenz versinkt in der Informationsflut

Bild: geralt auf Pixabay

 Das Schweizer Publikum versteht die Medien schlecht. Eine Befragung zeigt, was falsch läuft. Vor wenigen Wochen publizierte das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) eine Studie zur Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung. Die beiden Autoren Jan Fivaz und Daniel Schwarz wollten damit die Medienkompetenz der Schweizer Bürgerinnen und Bürger untersuchen.
Doch die Studie weist auch auf Probleme im Schweizer Medienangebot hin. Fivaz und Schwarz sind keine Medienwissenschaftler, sondern Politologen. Sie forschen an der Uni Bern und der Berner Fachhochschule über Auswirkungen der Digitalisierung auf Politik und Demokratie. «Zwei Resultate haben mich besonders überrascht», sagt Fivaz im Gespräch mit Infosperber. «Erstens: Die Medienkompetenz hierzulande ist eher schlechter als in Deutschland. Und zweitens: Dass über 70 Prozent der Befragten angeben, von der Informationsflut ganz oder teilweise überfordert zu sein.»

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Strategien des Spaltens

Coverbild: Andreas Galling-Stiehler

[…] rette mich vor den Lügnern! Viel zu lange wohne ich schon hier, umgeben von Leuten, die den Frieden hassen. Ich selbst bin zwar auf Frieden bedacht, aber sobald ich auch nur den Mund aufmache, fangen sie schon einen Streit an!1 

Die Begabung der Menschen, in Gemeinschaft ein friedliches Leben zu führen, wird bisweilen von ihrer Leidenschaft für Feindschaften torpediert. Für das professionelle Ausleben von Feindschaften gibt es Strategien. Die Wortzusammensetzung und Herkunft aus dem Griechischen von stratós (Heer) und ágein (Führung) verrät den militärischen Ursprung des Wortes und der damit verbundenen Ideen. Dazu kommt, dass ágein auch verwandt ist mit agṓn, also der Bezeichnung für (Wett-)Kampf.2

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Geschlecht und Sexualität: Zentrale Faktoren für rechtsextreme Wahlerfolge

“Ja, wir wollen Helden! Wann genau haben Männer eigentlich begonnen, Memmen zu werden?” – So kommentierte die erzkonservative Publizistin Birgit Kelle Anfang 2016 im Wochenmagazin Focus die gewalttätigen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht. Angeblich verweichlichte weiße Männer hätten ihre Begleiterinnen nicht vor aufdringlichen Migranten geschützt, klagte Kelle, CDU-Mitglied und Autorin von antifeministischen Büchern wie Dann mach doch die Bluse zu und Gender-Gaga. Unterstützung erhielt sie von Björn Höcke: Seit Jahren diagnostiziert der AfD-Rechtsaußen den “identitätsgestörten Mann” und fordert eine neue “Wehrhaftigkeit”.

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Wenn eine für alle an alles denkt

Bild: Schwoaze auf Pixabay

Was wäre eigentlich passiert, wenn die heiligen 3 Könige heilige 3 Königinnen gewesen wären?

  • Sie hätten einfach nach dem Weg gefragt.
  • Sie wären rechtzeitig angekommen.
  • Sie hätten bei der Geburt geholfen.
  • Sie hätten den Stall sauber gemacht.
  • Sie hätten nützliche Geschenke gebracht
  • und auch was zu essen.
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Gewaltlos revolutionär, zivilgesellschaftlich ungehorsam, prophetisch unbequem – das wäre eine Weihnachtsbotschaft

Bild: stux auf Pixabay

Kirchen rangieren heute am unteren Ende der gesellschaftlichen Vertrauensskala. Das jüdische Flüchtlingskind in der Krippe und die damit verbundene Botschaft der Bibel lassen zwangsläufig daran denken, in welchem Gegensatz die feudal, hierarchisch und abgehoben verfassten und präsentierten Kirchen dazu stehen. Befreit könnten die Kirchen unbeschwert Mächtige in Politik und Wirtschaft kritisieren, gerechte Besteuerung verlangen, Reichen Hilfe abtrotzen und deren Unterstützung für die Armen fordern, Obdachlosen Wohnung geben, auch in kirchlichen Hütten und Palästen, Hungernde nähren, Durstende tränken.

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bruchstücke