„Grim-Grom“ und die schwer erträglichen Hängepartien

Bild: Russische Post auf wikimedia commons

Vielleicht sitzt Wladimir Wladimirowitsch heute im Kreis seiner Getreuen, reibt sich die Hände, sagt in die Runde: Gut gemacht. Die Deutschen streiten sich. Er lässt die Füßchen vor lauter Freude ein wenig baumeln. Denn er hat die Schuhe abgestreift, die mit den high Heels für Männer, so dass er mit seinen 163 Zentimetern den Boden nicht mehr erreichen kann. Sogar die Profs kritisieren nun den Olaf, sagt er in die Runde. Professoren, fragt jemand? Ja, Professoren, antwortet Wladimir, hast Du das nicht mitbekommen? Er schüttelt den Kopf. Ein Glück, dass die bei uns nichts zu sagen haben, was? Man reicht ihm den Ausriss aus einem deutschen Blog, in welchem zu lesen ist: „Der Afghanistan-Moment in der westlichen Unterstützung der Ukraine ist erreicht.“ Man nickt in die Runde. Ja, ja. Dann werden wir unsere Ziele wohl erreichen, sickert als Botschaft in die Köpfe der Männerrunde.

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„The Zone of Interest“: Verschobene Maßstäbe

Christian Friedel (Rudolf Höß) und Sandra Hüller (Hedwig Höß)
(Foto: Raph_PH auf wikimedia commons)

„Interessengebiet“, so hieß die Sperrzone der SS rings um das Konzentrationslager Auschwitz, heute die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. „The Zone of Interest“ heißt sprachdistanziert der Film, der, mit Preisen und cineastischem Lob überschüttet, zum intellektuellen Kultfilm über den Holocaust, die planvolle Vernichtung des europäischen Judentums, gemacht werden könnte und von Teilen der Filmkritik bereits gemacht wird. Vom Sound (ausgezeichnet mit einem Oscar) bis zur Bildästhetik der knallroten Dahlie aus dem Prachtgarten der Hedwig Höß an der KZ-Mauer reicht die Begeisterung: Sekundenlang verwandelt sich die Blume der „Königin von Auschwitz“ (so Kommandant Rudolf Höß über seine Gattin) und färbt die Leinwand blutrot. Die Millionen Toten, die Vergasten, die Verscharrten, die Ausgebeuteten bleiben unsichtbar und ungenannt: In den über anderthalb Stunden fällt das Wort „Jude“ ein einziges Mal bei einer Lagebesprechung in Oranienburg. Das Verbrechen gegen die Menschheit findet statt, hinter der Mauer, die Hedwig Höß mit Wein beranken möchte.

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Die Rente, der Geldfetisch und ein Börsenneuling

Bild: geralt auf Pixabay

Die Bundesregierung, vom Verfassungsgericht aufgefordert, ihren Haushalt nicht mit weiteren Schulden zu belasten, wird sich für ihre Aktienrente pro Jahr mit mehr als 12 Milliarden verschulden, eine in zehn Jahren auf 200 Milliarden Euro anschwellende Summe. Die Ampelregierung wird Börsenneuling. Wer einem Novizen des Aktienhandels mit guten Tipps wohl will, rät ihm mit der Regel Nummer eins: Nie Geld aufnehmen, um Aktien zu kaufen! Im Privatgeschäft gilt sowas als liederlich, aber im öffentlichen Geschäft soll es künftig als clever gelten. Private Laster sind öffentliche Tugenden – eine alte, bürgerliche Weisheit. Als Christian Lindner neulich vor die Presse trat und das erwartbare Wort vom Paradigmenwechsel sprach, hat er das Schuldenmachen gleich relativiert: Aus den Renditen der angelegten Milliarden ließen sich doch die Zinsen für die aufzunehmenden Kredite locker bestreiten.

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Dialektik von Aufgeregtheit, Aktionismus und Abstumpfung

Golfstrom (Bild: RedAndr auf wikimedia commons)

Für eine Reihe von Klimafachleuten sind die Zeiten einer unkalkulierbaren Zukunft angebrochen. Akshat Rathi von Bloomberg Green sagt zu den neuesten Klimadaten: »Der Februar ist auf dem besten Weg, beispiellose Hitzerekorde zu brechen«. Die globalen Temperaturen liegen „2,03 Grad Celsius über dem vorindustriellen Basiswert von 1850 bis 1900“. Unlängst hatte eine Studie zur Atlantischen Umwälzzirkulation, die Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), herausgefunden, dass nicht nur die Temperaturen steigen, sondern die AMOC sich als instabil erweisen könnte. Das Bundesumweltamt erwartet „Kipppunkte und kaskadische Kippdynamiken im Klimasystem“. Und Germanwatch benennt Folgen: wenn der Golfstrom dem europäischen Kontinent keine Wärme mehr zuführt, werden „etwa 58 Prozent der weltweiten Ackerflächen, die derzeit für den Weizenanbau geeignet sind, sowie 59 Prozent der Anbauflächen für Mais  unbrauchbar“. Es ist nicht schwer vorherzusagen, was mit den Preisen für Grundnahrungsmittel passieren würde.

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Realpolitik ist zu Realitätsverlust geworden

Thwaites Gletscher in der Westantarktis (Foto: NASA auf wikimedia commons)

#1 Wo stehen wir? Auf dünnem Eis. Sorry für den schlechten Witz, aber es gibt Neuigkeiten zum weltgrößten Gletscher, dem Thwaites, dessen Abschmelzen Folgen für die gesamte Welt hätte. Oder sagen wir: hat. Denn er schmilzt ja und darüber weiß man jetzt mehr als zuvor. Eine andere Studie zeigt, wie die sich durch Klimawandel häufenden Hitzetage das Risiko für Frühgeburten deutlich erhöhen und wie Maßnahmen der Klimaanpassung den Effekt wiederum kleiner halten. Auch die in so genannten Sozialen Medien mit eindringlichen Mahnungen herumgereichten Grafiken werden nicht seltener, auf denen man die roten Linien aktueller Klimadaten weit über den Rekordkurven des letzten Jahres sieht.

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Rückwärtsgewandte Familien- und Geschlechterpolitik

Bild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Zum Selbstbild der Deutschen gehört, dass heutzutage eine Art tolerante Koexistenz von unterschiedlichen Familienformen existiert: Neben den klassischen Kernfamilien finden sich nicht eheliche Lebensgemeinschaften, Patchwork-, Stief- und Regenbogenfamilien mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch die Lebensform von Alleinerziehenden, in 9 von 10 Fällen sind es Mütter mit ihren Kindern. Auf den ersten Blick erscheint die Buntheit dieser Lebensformen als ein Zugewinn an Freiheit, selbst entscheiden zu können, wie man den Alltag mit Kindern gestaltet. Tatsache ist jedoch, dass 13 Prozent der staatlichen Familienleistungen in Deutschland an die reichsten zehn Prozent der Privathaushalte fließen, den untersten zehn Prozent der Privathaushalte in Armutslagen aber lediglich sieben Prozent der familienpolitischen Ausgaben zu Gute kommen.1

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Glückseligkeit im Jenseits, Macht im Diesseits

Gleich vorweg: Ich bin gottlos glücklich! Schon als Siebzehnjähriger habe ich den Hort der „Heiligen Kirche“ auf schnellstem Weg verlassen. Zuviel kam da zusammen: die absurde Apfelgeschichte aus dem Paradies, die kruden Erzählungen von Gottes Leihmutter Maria, vom heiligen Geist und einem doppelten Schöpfer, der aus Jesus und seinem Vater bestand; allerlei abstruse Auferstehungs- und Wundergeschichten, dazu die ständige Sünden-Drohung samt (freilich nicht mehr funktionierender) Erzeugung und Nutzbarmachung des schlechten Gewissens.

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Bundeskanzler Scholz liegt falsch

Foto, Februar 2022: Presidential Executive Office of Russia auf wikimedia commons

Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir: Sie sind so wie ich kein Experte für Waffen, deren Wirkung, Vorzüge oder Nachteile beim Einsatz in Kriegen. Auch vom Krieg Führen habe ich keine Ahnung. Mein gesamtes Leben habe ich während hiesiger Friedenszeiten zugebracht. Erfahrung aus Kriegen habe ich nicht.
Viele unter uns haben gegen Kriege demonstriert. Laut und deutlich. Dabei stützten wir uns auf das, was wir vorgesetzt bekamen: Betroffenen- und Korrespondenten-Berichte, Lektüre, Ton- und Filmaufnahmen, hinzu kamen teilnehmende Diskussionen. Das alles hat mit Krieg wenig bis nichts zu tun.

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Arbeitskämpfe, die die BRD erleben durfte

Bild: LJNovaScotia auf Pixabay

Vor einem halben Jahrhundert ging eine Streikwelle durch Westdeutschland, die vieles veränderte. Mit ihr traten erstmals migrantische Arbeitskräfte, männliche, aber gerade auch weibliche, kollektiv an die Öffentlichkeit – und krempelten erfreulicherweise auch die Gewerkschaften um. Eine neue Publikation zeigt, wie wichtig ihr Kampf damals war. Und bis heute ist.

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Leitartikel und Reportagen von Robotern?

Bild: LetsDecode14 auf Pixabay

»Manchmal ist die Wirklichkeit nur eine Frage der Worte, die man dafür wählt«, formuliert der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky in seinem Roman »Kastelau« und fasst damit eine sozialwissenschaftliche Erkenntnis in einem Satz zusammen. Was Menschen für wirklich halten, ist vor allem ein Produkt bzw. das Ergebnis ihrer Kommunikation. Die Informationen, die wir bekommen, das Wissen, über das wir verfügen, gewinnen wir in allererster Linie in Kommunikationsprozessen. Denn auch für das, was wir direkt mit unseren Sinnen wahrnehmen, benötigen wir den Austausch mit anderen darüber, was es zu bedeuten hat, wie wir es verstehen sollen. In unsere Alltagskommunikation greift nun die KI vor allem online, aber auch offline ein, oft unsichtbar, aber rapide zunehmend. Von KI produzierte Bilder, Töne wie ganze Musikstücke, vor allem aber geschriebenes und gesprochenes Wort werden verbreitet, von Menschen wissentlich wie unwissentlich genutzt, weitergeleitet, erlangen Aufmerksamkeit, lösen Anschlusskommunikation aus und wirken, direkt und indirekt, auf die soziale Wirklichkeitskonstruktion ein. Die KI beginnt, die Grundlagen unserer Wirklichkeitskonstruktionen in der alltäglichen Kommunikation zu verändern.

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Den Hassverkäufern ihr Geschäft erschweren

Oskar Negt im September 2015 in Hannover während seines Vortrags bei der Festveranstaltung zum 60-jährigen Bestehen des Vereins „Karl-Lemmermann-Haus, sozialpädagogisch betreutes Wohnen e.V“ (Foto: Ilse Paul auf wikimedia commons)

Die zahlreichen Nachrufe auf Oskar Negt, der Anfang Februar 2024 im Alter von 89 Jahren starb, haben die Facetten eines Intellektuellen kenntlich gemacht, der durch die Schule der kritischen Theorie ging, zu einem Sprecher der Studenten-, Schüler- und Lehrlingsbewegung wurde, die Chance reformfreudiger Zeiten nutzte, um dem  gewerkschaftlichen Bildungswesen einen Aufbruchsgeist einzublasen, den Pflichten eines Hochschullehrers unter der Bedingung einer technokratischen Institution nachkam und der ein lesenswertes Buch nach dem anderen publizierte. Keines bot polittechnisches Wissen nach Art heutiger Spin Doctors, alle waren sie dem Zweck verpflichtet, gesellschaftlichen Akteuren den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu eröffnen. 

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Antisemitismus in linkem Gewand

Es ist ein schmales schmuckloses, weißes Bändchen, das seit Mitte Januar in den Buchhandlungen liegt. In roten Buchstaben leuchten Autor und Titel: Jean Améry, Der neue Antisemitismus. In sieben ausgewählten Essays aus den Jahren 1969 bis 1977 setzt sich dieser wachsame, aber von dunklen Ahnungen getriebene Schriftsteller mit der Auschwitzer KZ-Nummer 172364 mit den linken Studentenbewegungen auseinander: Die einstige Unterstützung in der deutschen Linken für die jüdischen Überlebenden und eine neue sozialistische Gesellschaft im 1948 ausgerufenen Staat Israel kippt 1969 zugunsten der (bewaffneten) palästinensischen Befreiungsbewegungen und begründet einen militanten Antizionismus. Für den linken Intellektuellen Jean Améry ist es ein Antisemitismus in neuem Gewand.

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Bitterer Waffenstillstand oder Krieg bis zu einem Sieg?

Foto: LukasJohnns auf Pixabay

Das von vielen als zögerlich kritisierte Ziel des deutschen Bundeskanzlers, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren und Russland dürfe ihn nicht gewinnen, war damals und ist heute das Beste, was die Ukraine zu erreichen hoffen kann. Die Hoffnung, dass das Putin Regime angesichts umfassender Wirtschaftssanktionen, robuster militärischer und ziviler Unterstützung des Westens und ukrainischer Erfolge an der Front, den verlustreichen Krieg durch Rückzug beenden werde, hat sich nicht bewahrheitet. Was heißt aber, nicht gewinnen und nicht verlieren?

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„2024, ein Schlüsseljahr für uns und die Ukraine“

Ältere Zivilisten, die von ukrainischen Polizisten in Kiew betreut werden, nachdem Granaten ihr Wohnhaus beschädigten (Foto, Mai 2022: Ministerium für innere Angelegenheiten der Ukraine auf wikimedia commons)

Auch wenn sich die Frontlinie zurzeit nur wenig bewege, könne sich die Lage in der Ukraine nach Einschätzung des Osteuropaexperten Andreas Wittkowsky noch dramatisch ändern – in beide Richtungen. „Insofern wird 2024 in zweierlei Hinsicht zum Schlüsseljahr: ob die Ukraine standhalten kann – und ob wir mit unserer Unterstützung standhalten“, betont er im Interview mit Wolfgang Storz. Noch sei nichts entschieden, doch die westliche Unterstützung müsse kontinuierlicher und langfristiger erfolgen. „Ein Schlüssel liegt zu einem großen Teil in unserer Politik – sie muss vorausschauender, entschlossener und zuverlässiger werden.“

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Hinrichtung eines Kritikers, Zerstörung eines Landes 

Gedenken an Alexej Nawalny am Denkmal für die Opfer politischer Repressionen in St. Petersburg am 16. Februar 2024
(Foto: Gesanonstein auf wikimedia commons)

Es ist mehr als deprimierend, wie der Tod Nawalnys und die nachlassende Stimmung für die Unterstützung der Ukraine in den westlichen Ländern, gerade auch in Deutschland, zum zweiten Jahrestag des militärischen Überfalls Russlands auf die Ukraine zusammenfallen. Alexei Anatoljewitsch Nawalny ist der bedeutenste und profilierteste Kritiker Wladimir Putins und dessen politischen Systems gewesen. Seine Unterschütterlichkeit war bewundernswert, sein Leidensweg grausam. Nawalny ist nicht einfach gestorben. Er ist durch das Unrechtssystem Putins langsam, aber letzten Endes zielgerichtet hingerichtet worden.

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