Was fehlt, ist eine Perspektive, die Lust und Hoffnung macht

Die Klimakrise ist am Durchdrehen. Ohne Unterlass prasseln die Nachrichten auf uns ein, die eines klar machen: Ohne, dass sich schnell alles ändert, ist die Erderwärmung nicht auf 1,5° zu begrenzen. Ein Kipppunkt nach dem anderen wird in den nächsten Jahren überschritten, teils geschieht es schon. Alles geht schneller als gedacht, inzwischen ist nicht mehr die Frage, ob sich die Klimakrise noch verhindern lässt, sondern wie schlimm sie – für wen und wo– wird und ob eine Eindämmung gelingt. Während Regierungen und Unternehmen damit beschäftigt sind, ihre Klimaziele zu verschieben oder ihre Bilanzen grün zu färben, weil sie sogar ihre selbst gesetzten Ziele Jahr für Jahr reißen, bemühen sich andere angesichts der dramatischen Situation um echte Veränderung, ambitionierte Ziele und fordern die Maßnahmen, die notwendig sind, um diese zu erreichen.

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It`s culture, not nature

Im Angesicht des multiplen Krisengeschehens auf dieser Welt erfasst uns häufig ein tiefes Unbehagen, ja schiere Verzweiflung. Das wird sich nie ändern, ist oft zu hören, denn der Mensch sei eben von Natur aus böse, gierig, machtbesessen und stets nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Nein, erwidern Carel van Schaik und Kai Michel, die Autoren von „Mensch sein – Von der Evolution für die Zukunft lernen“ (Rowohlt Verlag 2023). Das sei grundfalsch und im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Geschichtsschreibung lediglich die letzten 5.000 Jahre mit ihren männlichen Unterdrückungsstrukturen und fatalen Dominanzkulturen thematisiert hat und diese als gott- oder naturgegeben begründet.

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Horror und Kontext

Nazi-Konzentrationslager Theresienstadt
(Foto, März 2016: Richard Mortel auf wikimedia commons)

1973 wenige Wochen vor dem Jom Kippur Krieg war ich als junger Mensch zum ersten Mal in Israel. In dem Land, in dem viele Holocaustüberlebende Zuflucht und Heimat gefunden hatten. Nicht als Teil einer Kolonialmacht, die fremde Länder erobern wollte, sondern als Verzweifelte und Geschundene. Niemand begegnete mir mit Feindschaft oder Hass. Das hat mich damals tief berührt und berührt mich noch heute. Ohne die Bereitschaft jüdischer Menschen mit Deutschen zu sprechen, mit Deutschland zu sprechen, wäre nach Ausschwitz eine Rückkehr Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft nicht möglich gewesen. Das besondere Verhältnis zu Israel ergibt sich nicht nur aus der Schuld, die meine Vorväter auf sich geladen haben, sondern auch aus der Dankbarkeit, dass Juden nach 1945 bereit waren, mit uns über das Unaussprechliche zu sprechen.

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(V) Beste Bedingungen für rechtsextreme Erfolge

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Wo die Lebenslage übersichtlich und leicht zu erkennen ist, was wie miteinander zusammenhängt, braucht sich niemand eigenartige Vorstellungen zu machen und absonderliche Deutungen zusammenzureimen. Dass die Fahrscheinautomaten des öffentlichen Nahverkehrs von fremden Mächten gesteuert werden, ist keine Idee, die mit einer größeren Glaubensgemeinschaft rechnen darf; dafür ist deren Technik zu leicht zu durchschauen. Verschwörungsfantasien, irrationale Erzählungen, Mythenbildungen werden nachgefragt, wenn die Verhältnisse verworren-bedrohlich erscheinen und sonstige angebotene Erklärungen nicht überzeugen können. Dann wächst die Versuchung, hinter allem Drahtzieher zu vermuten, das schwer Durchschaubare als eindeutiges Geschehen darzustellen („Deutschland ist der Zahlmeister Europas“), das Gefährliche zweifelsfrei zu erkennen und zu benennen („die Migranten sind unser Unglück“). Krisen sind der klassische Fall.

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Wirtschaftsweise für Sozialismus in einer Klasse

Dass ich das noch erleben darf! Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sogenannten „Wirtschaftsweisen“, sprechen sich mehrheitlich für Sozialismus aus! Pardon, nicht generell für den Sozialismus, den an und für sich, sondern sie plädieren für eine bestimmte Weise des Sozialismus, nämlich für den „Sozialismus in einer Klasse“. Wie soll der gehen?

Screenshot: Website Münchner Merkur
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Klitterungen. Slavoj Žižek und sein „seltsames Analyseverbot“

Slavoj Žižek, 2015 (Foto: Amrei-Marie auf wikimedia commons)

Bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit Slowenien als Gastland war der Philosoph Slavoj Žižek einer der Redner auf der Auftaktveranstaltung. Er machte den Krieg zwischen Israel und der Hamas, zu dem auch die Vorrednerinnen bereits Statements abgegeben hatten, zu seinem Thema. Seine Ausführungen führten zu erheblicher Unruhe im Saal und bei den anwesenden Repräsentanten der Stadt Frankfurt. Besonders der hessische Antisemitismus-Beauftragte, Uwe Becker (CDU), brachte seine Empörung hörbar zum Ausdruck. Anschließend äußerte sich der Direktor der Buchmesse Juergen Boos erleichtert, dass die Rede bis zu ihrem Ende gehalten werden konnte. Die Frankfurter Rundschau fand, Becker sei zu weit gegangen. Sie veröffentlichte das Redemanuskript mit Zustimmung des Autors. Ich sehe hingegen wichtige Argumente, Uwe Becker zu danken, dass er die auf Festveranstaltungen zu übende vornehme Zurückhaltung aufgab und die Provokation publik machte.

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‚Neiddebatte‘ neu eröffnet

Screenshot: tax the rich

Der maßlose Reichtum weniger Privatpersonen wächst, in Deutschland und weltweit. Je erdrückender diese zig Milliarden-Lasten für Gesellschaft, Demokratie und Gering-Begüterte werden, umso weniger wird öffentlich darüber geredet. Regierungen, Parteien, auch Gewerkschaften beschweigen diese Völlereien. Bestenfalls stecken sie sich ihren politischen Dauerlutscher soziale Gerechtigkeit in den Mund. Die ‚Neiddebatte‘ wird gerade neu eröffnet.

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(IV) Demokratische Parteien und ihre fatale Lage

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Politikverdrossenheit im allgemeinen und Parteienschelte im besonderen kennzeichnen das gesellschaftspolitische Klima demokratisch regierter Länder; mal mehr, mal weniger. Je nach aktuellen ökonomischen, sozialen und kulturellen Zuständen sind Verdruss und Vorwürfe stärker oder schwächer ausgeprägt, verschwunden sind sie nie. Zeitungsarchive legen beredtes Zeugnis davon ab. Warum findet braune Politik positive Resonanz, wenn sie verspricht, eine Partei zu sein, die keine Partei ist, die das Ganze verkörpert, statt Teilinteressen zu vertreten? Weshalb findet sie Gehör, wenn sie beansprucht, den Volkswillen zu repräsentieren, im Bestfall in Gestalt einer Führerfigur, die mit jedem Wort dem Volk aus der Seele spricht?

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Radikalisierte Ränder, keine Spaltung

Herr Mau, in der Einleitung Ihres neuen Buches „Triggerpunkte“ verwenden Sie und Ihre beiden Autorenkollegen Thomas Lux und Linus Westhuser zwei gegensätzliche Begriffe, die den Grad der gesellschaftlichen Spaltung charakterisieren sollen: „Kamelgesellschaft” und „Dromedargesellschaft”. Warum verwenden Sie diesen Tiervergleich?
Steffen Mau: Wir haben uns da vom Rücken der Tiere inspirieren lassen. Beim Kamel haben wir zwei Höcker, dazwischen ist ein großer Graben. Hier stehen sich zwei gesellschaftliche Grußgruppen gegenüber, die Differenzen erscheinen unüberbrückbar. Beim Dromedar gibt es einen großen Hügel, die Ränder laufen aus und sind deutlich kleiner.

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Lesen für die Demokratie

Bild: geralt auf Pixabay

Im Kontext der diesjährigen Frankfurter Buchmesse diskutierten der Dichter und Essayist Durs Grünbein, der slowenische Autor Aleš Šteger und der Lyriker und Übersetzer Matthias Göritz über das Ljubljana-Manifest.1 Dieses Manifest ist eine Warnung angesichts der Entwicklung des Lesens. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben sich mit dem Leseverhalten auseinander gesetzt, das im Zuge der Digitalisierung entstanden ist. Ihnen haben sich u.a. PEN International, die International Federation of Library Associations, EURead und die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung angeschlossen. Das Manifest hat eine Art Vorläufer, der aus dem Jahr 2019 stammt. Damals unterzeichneten mehr als 130 Leseforscherinnen und -forscher aus ganz Europa die Stavanger-Erklärung zur Zukunft des Lesens im Zeitalter der Digitalisierung. Sie hatte damals eine breite Debatte über die Nachteile des Bildschirmlesens angestoßen.

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(III) Demokratische Politik – offen für jede Stimme und jede Stimmung

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Drei Merkmale gelten gemeinhin für eine Demokratie als konstitutiv, nämlich Bürgerrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit, aktives und passives Wahlrecht bei fairen Wettbewerbsbedingungen der Parteien sowie Rechtsstaatlichkeit mit unabhängigen Gerichten, vor denen alle gleich sind. Dort, wo sie die Macht dazu hat, hat braune Politik diese demokratischen Merkmale stets abgeschafft. Solange sie in der Opposition agiert, parlamentarisch und außerparlamentarisch, greift braune Politik real existierende Demokratien an, sie würden diese drei Merkmale nicht erfüllen, würden die Meinungsfreiheit einschränken, Wahlbetrug betreiben und politische motivierte Gerichtsurteile nicht nur zulassen, sondern forcieren. Die freie Meinung gerät in der Demokratie in eine Doppelrolle als Aschenputtel und Prinzessin – was der Rechtsextremismus für sein Ziel ausnützt, sie zu beseitigen, bei Bedarf auch mit Gewalt.

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Zwei konfliktfähige Frauen, zwei konträre Politikstile

Zwei politisch engagierte Frauen haben Ende Oktober in der Öffentlichkeit viel mediale Aufmerksamkeit gefunden: Sahra Wagenknecht mit der öffentlichen Bekanntgabe einer geplanten Parteigründung sowie den programmatischen Aussagen dazu am 22. 10. 2023 und Christiane Benner, die mit überwältigender Mehrheit als erste Frau in der Geschichte der IG Metall zur 1. Vorsitzenden gewählt wurde und mit ihrer Grundsatzrede „Zeit für Zukunft“ am 24.10. Akzente gesetzt hat. Im Alter nahe beieinander haben beide Frauen auch einen vergleichbaren Lebensweg. Sie kommen aus einfachen Verhältnissen und ihr sozialer Aufstieg durch Bildung ist ihnen gemein. Sie haben sich beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise, in ihren Organisationen durchgesetzt.

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Die neue Vorsitzende der IG Metall und ihre Aufgaben

Screenshot: Website der IG Metall

Wer verspricht, der AfD das Wasser abzugraben, dem fliegt das Wohlwollen der Hauptstadtpresse und der Rundfunkanstalten zu. Herr Merz hat es versprochen, aber er kann nicht liefern. Frau Wagenknecht verspricht es, und zielt mit ihrem Parteiprojekt auf eine Wählerschaft, die zwischen links und rechts nicht zu unterscheiden vermag. Christiane Benner, die neu gewählte Vorsitzende der IG Metall, sagt: Gerade wir als Gewerkschaft haben enorme Möglichkeiten, gegen den weiteren Aufstieg der AfD zu wirken…Wir können den Rechten den Boden entziehen, wenn wir in den Betrieben mithilfe von Gewerkschaften und Betriebsräten Menschen Sicherheit vermitteln, etwa indem sie weiterqualifiziert werden und bei all den Veränderungen eine gute Perspektive für sich sehen.

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(II) Das Me-first-Klima als braune Anschlussstelle

Berlin Lustgarten, 1933 (wikimedia commons)

Auf der Suche nach strukturellen Hintergründen rechtspopulistischer und -extremistischer Erfolge in entwickelten, demokratisch-rechtsstaatlichen Ländern zeigt sich, dass unsere normale Lebensweise mehr Anschlussstellen für braune Politik aufweist, als es die öffentlich ausgetragenen lautstarken Differenzen und scharfen Kontroversen vermuten lassen. Historisch ist braune Politik seit dem 19. Jahrhundert nie verschwunden, aber ihre Sichtbarkeit und ihre Machtchancen haben Konjunkturen, das 21. Jahrhundert hat ihr bisher großen Aufschwung gebracht. Das hängt mit krisenhaften Entwicklungen zusammen, die Thema der Teile vier und fünf sind. Die Teile zwei und drei behandeln noch sehr allgemeine strukturelle Zusammenhänge.

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Sahra thront auf dem Wagen, Knechte ziehen und schieben

Sahra Wagenknecht (Foto: Bundestagsfraktion DIE LINKE auf wikimedia commons)

Das »Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit« bereitet die Gründung einer neuen Partei vor, die im kommenden Jahr in den Wettbewerb um Wählerstimmen eingreifen soll. Es handelt sich um ein in Deutschland bisher einmaliges Projekt: die Gründung einer Wahlpartei um die Prominenz einer Person herum. Nicht die Person gibt der Partei ein Gesicht, sondern der Person wird von verlässlichen Gefolgsmännern und -frauen eine Partei geschaffen. Vergleichbares kannte man bisher eher aus Italien, von Beppo Grillo und seiner Fünf-Sterne-Bewegung. Auch in Frankreich (Mélenchon), Spanien (Iglesias) oder Griechenland (Tsipras) gründeten sich Wahlbündnisse um eine Person herum. So lange diese Person verlässlich für die Partei spricht, so lange die von ihr vertretenen Positionen nicht vom Parteiprogramm relativiert werden und so lange das öffentliche Auftreten der Partei Gefolgschaft ausstrahlt, kann das gut laufen.

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