Der Münchner Politikwissenschaftler Professor Carlo Masala hat jüngst ein Szenario vorgelegt, in welchem angenommen wird, dass Putins Russland den zu Estland gehörenden Teil der Stadt Narva besetzt, um – so die Putin unterstellte Begründung – russischstämmige Einwohner gegen Diskriminierung und Unterdrückung ihrer Kultur zu schützen. Im Szenario würde die NATO Ende des Jahrzehnts in einem kleinen Mitgliedsland und an ihrem östlichsten Punkt auf die Probe gestellt werden: Lässt sie „mit der Faust in der Tasche“ eine solche Verletzung der Souveränität und des Territoriums eines NATO-Mitglieds zu oder antwortet sie mit gleicher Münze, also militärisch?
In Osnabrück rumort es, über zweitausend Arbeitsplätze im dortigen VW-Werk sind gefährdet. Spekuliert wird sogar über eine Schließung des ganzen Standortes, der einst Sitz des traditionsreichen Autoherstellers Karmann war. Doch die Rettung naht in Gestalt von Armin Papperger, Chef von Rheinmetall. Sein Unternehmen macht derzeit bombige Geschäfte, der Aktienkurs hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verzehnfacht. Papperger hat bereits mit Kommunalpolitikern gesprochen, eine Delegation von Rheinmetall besichtigte Ende März die Fabrik. Das sind Indizien dafür, dass der Konzern die bisher auf zivile Fahrzeuge wie Cabrios ausgerichteten Fertigungsstraßen übernehmen und stattdessen dort Panzer bauen könnte. Es passt ins Bild: Deutschland hat 2024, berichtet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri, 88,5 Milliarden US-Dollar (77,6 Milliarden Euro) für das Militär ausgegeben – 28 Prozent mehr als im Vorjahr – und liegt damit hinter den USA, China und Russland auf Platz vier. „Keine Start-up-Szene wächst in Europa derzeit rascher als die der Rüstungs- und Sicherheitsfirmen“, schreibt Spiegel-Online über „Rüstungsboomer, junge Firmen, die eine Verteidigungsindustrie neu aufbauen wollen“ und im Ukrainekrieg eine Geschäftschance sehen.
Streuartikel „Schokoladenherz CDU“ (Screenshot: Website der CDU)
Die in diesen Tagen bei CDU/CSU zu beobachtenden Konfliktlinien und personellen Schachzüge können auch als Vorbereitungen der künftigen Kanzler-Partei gelesen werden, politisch die Option auf eine thematisch begrenzte Kooperation mit der AfD möglich zu machen. Thomas Weber hat auf unserem Blog vor Wochen schon auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass die SPD zum Steigbügelhalter eines Kanzler Merz wird, der in der sogenannten politischen Not — um nationale Notfälle zu konstruieren, reichen, wie wir seit dem vergangenen Wahlkampf wissen, zwei bis drei messermordende Geflüchtete — auch mit der AfD kooperiert. Und: Allein die glaubwürdige Drohung damit, wird ihm in den kommenden vier Jahre erlauben, seinen offiziellen Koalitionspartner SPD dauerhaft über die Maßen zu domestizieren. Das jüngste Verhalten von Julia Klöckner, die Positionierungen von Jens Spahn, Carsten Linnemann und Markus Söder deuten daraufhin: Diese Option wird nicht ausgeschlossen, sie wird bewusst offengehalten.
Er warnt vor einer „Dämonisierung“ des Populismus: „Man bekämpft nicht eine Gefahr, wenn man nicht etwas Attraktiveres vorzuschlagen hat.“ Pierre Rosanvollan, der französische Demokratieforscher, fordert die Demokratinnen und Demokraten zu einem dreifachen Kampf auf (Le Monde vom 12. April). Mit der Klarstellung „„Richter verkörpern das demokratische Prinzip der Volkssouveränität ebenso wie gewählte Amtsträger“, kritisiert er die Angriffe des rechtsextremen Rassemblement National (RN) gegen die „politische Justiz“. Er richtet sich direkt an seine Französinnen und Franzosen, die bis hinauf zum Premierminister irritiert reagiert haben auf den angeblichen „politischen Mord“ an der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen, die wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern zu einer Haftstrafe und einer fünfjährigen Nichtwählbarkeit verurteilt worden ist (am 31. März). Rosanvallon könnte ebenso die verunsicherten Deutschen meinen, die mit Skepsis auf die Politik, die Wahlerfolge der Rechtsextremen und den schnellen Vertrauensverlust eines Friedrich Merz blicken.
Die erste Mahnung des 77jährigen Historikes ist für ihn entscheidend. Sie gilt der intellektuellen Wachsamkeit: Marine Le Pen gibt empört vor, das „Wahlvolk“ stünde über dem „allgemeinen Volk“ und dessen rechtsstaatlichen Verfassung. Sie, die von diesem Wahlvolk gewählte, sei der Justiz und damit dem Rechtsstaat entzogen. Gegen diese demokratische Unhaltbarkeit erwartet Rosanvallon intellektuelle Entschiedenheit. Sie vermisst er bisher in Frankreich. Öffentlich trotzen der rechtsextremen Empörungswelle lediglich Richter, Juristen oder eine ehemalige Justizministerin. Sonst herrscht bleiernes Schweigen. Die zweite Mahnung richtet sich nicht nur an die Politik, sondern die gesamte Gesellschaft, an Journalistinnen, Soziologen, Schriftsteller oder Filmemacherinnen. Er fordert von ihnen „soziale Nähe“ und „Aufmerksamkeit“ für diejenigen, die zu den „Unsichtbaren“ gehören. Er mahnt das Hinsehen auf das „tägliche Leben“ an. Diese Aufmerksamkeit auf das reale Leben in der Gesellschaft stünde leider nicht im Mittelpunkt der Praxis der Parteien und der Gewählten. Rosanvallons zutiefst mitmenschliche Mahnung sollte nicht nur in der französischen Klassengesellschaft gehört werden. Die dritte Mahnung gilt der „demokratischen und politischen Vitalität“: Seit dreißig Jahren gehe die Beteiligung an den Wahlen immer weiter zurück, bildeten die Nichtwähler die größte „Wahlgruppe“. Wenn aber das Vertrauen in den Wahlprozess verloren geht, bröckelt das demokratische Fundament: So lautet Pierre Rosanvallons eindringliche Mahnung an die politischen Parteien. Sie sollte jenseits und diesseits des Rheins gehört werden.
Harvard gestern: Ku Klux Kan Mitglieder posieren bei der Aufnahmefeier 1924. Ein Klan-Mitglied sitzt auf dem Schoß der John-Harvard-Statue. Foto: wikimedia commonsHarvard heute. Foto: KI generiert
Der aktuelle Konflikt in den USA zwischen weitrechter Regierung und Universitäten enthält eine aufschlussreiche Botschaft für den Umgang mit Rechtsaußen. (Die Bezeichnung faschistisch, wissenschaftlich durchaus zu begründen, wird hier umgangen, weil „Faschismus“ unvermeidlich auch als politischer Kampfbegriff gelesen wird und in meist unfruchtbare Diskussionen mündet.1) Am Beispiel der Universitäten rufe ich den Unterschied zwischen Individuen und Organisationen auf. Der allgegenwärtige Begriff Individualisierung legt neben allem, was er sonst noch meint, die Ansicht nahe, dass Individuen die einzigen, jedenfalls die einzig nennenswerten handelnden Akteure unserer Gesellschaft seien. Darin sehe ich eine folgenschwere Vereinfachung mit weitreichenden Konsequenzen für gesellschaftspolitische Erfolge von Weitrechts.
Jacopo Tintoretto: The Resurrection of Christ (Foto: Didier Descouens auf wikimedia commons)
Die Gegenwart ist auch geprägt von Vernichtung pflanzlichen, tierischen, menschlichen Lebens, dystopischen Programmen und politischen Kräften, die sich um Recht und Gesetz immer weniger scheren. Vor aller Augen verbünden sich politische Macht und finanzieller Reichtum und entwickeln milliardenschwere Projekte, die sich von einem besseren Leben für die Bevölkerung endgültig verabschiedet haben. Es geht bei diesen Projekten um Rückzugsorte, um eigene Lebensverlängerung, persönliche Überlebensstrategien auf einem Planeten, der generell wohl als immer weniger lebenswert und überlebensfähig eingeschätzt wird. Es sind libertäre Freiheitsphantasien weniger Individuen, die ihrer Gier nach Macht und Geld ohne jegliche gesellschaftlichen Regeln und Verpflichtungen als unsterbliche Egos frönen und damit die Erde und am liebsten auch den Kosmos beherrschen wollen.
Mit seiner Bemerkung, die AfD wie jede andere Oppositionspartei im Bundestag zu behandeln, hat der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Jens Spahn, eine unheilvolle Diskussion in Gang gesetzt. Er wehrt sich nun gegen eine Auslegung seiner Worte, die lautet: Er sei für eine Normalisierung der AfD. Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. September 2024 in einer einstimmig gefällten Entscheidung Klarheit geschaffen. Die Rechte der AfD-Fraktion und der einzelnen AfD- Bundestagsabgeordneten werden nicht verletzt, wenn ein Vertreter dieser Fraktion keine Mehrheit findet, der für das Amt eines Vizepräsidenten des Bundestages oder für einen Ausschussvorsitz kandidiert. Entscheidend ist für das Gericht: Die Wahl zur Besetzung eines parlamentarischen Leitungsamtes kann nur und muss eine freie Wahl sein. Ein „Wahlakt“ des oder im Bundestag(es) unterliege „keiner über Verfahrensfehler hinausgehenden gerichtlichen Kontrolle, weswegen sein Ergebnis auch keiner Begründung oder Rechtfertigung“ bedürfe. Wer also kandidiert, der tut das entweder mit einer auf seine Fraktion gegründete Mehrheit oder mit einer durch mehrere Fraktionen gebildeten Mehrheit im Rücken. Einen anderen Weg gibt es nicht. Dabei spielt die Frage keine Rolle, ob sich ein gescheiterter Kandidat/Kandidatin als unfair behandelt, gar als „Märtyrer“ seiner Sache versteht beziehungsweise so in der Öffentlichkeit markiert wird. Ich vermag nicht anzunehmen, Spahn habe einfach mal so daher geplappert, als er in der „Bild“-Zeitung über den Umgang mit der AfD redete. Er wusste, was er sagte. Da die AfD über keine eigene Mehrheit verfügt, folgt: Sie kann nur mit Hilfe „geliehener“ also vorübergehend ihr zur Verfügung gestellter Stimmen ihre Ansprüche erfüllen. Diese Möglichkeit hat Spahn „aufgerufen“. Er hat einem in den Unionsparteien vorhandenen Unbehagen im Verhältnis zur AfD Ausdruck gegeben. Er tut parteipolitisch das, was der Sherpa in der dünnen Luft des Hochgebirges tut: Einen möglichen Weg gangbar machen. Wenn es historische Wahrheiten gibt, fällt diese darunter: Rechtsradikale kommen nicht an die Macht, nirgends und zu keiner Zeit, ohne Beihilfe demokratievergesser rechter Politiker wie Jens Spahn.
Bundespressekonferenz am 31.8.1978, Bonn (Foto: CDU auf wikimedia commons)
Seit anderthalb Wochen liegt ein politischer Vertragsentwurf zwischen den drei koalitionswilligen Parteien CDU, CSU und SPD auf dem Tisch. Er besteht aus einer Sammlung von Vorhaben und dem gegenseitigen Versprechen, die aufgeschriebenen Vorhaben im Licht der Haushaltsregeln und der finanzpolitischen Möglichkeiten umzusetzen. Ein Koalitionsvertrag ist also keine Bibel und auch keine Reißbrett-Zeichnung, die nun zentimetergenau von Handwerkern realisiert werden müsste. Seit einer Woche wird der Vertragsentwurf aus verschiedenen Blickwinkeln kritisiert. Die einen sagen, der Koalitionsentwurf strahle soziale Kälte aus; andere vermissen große Reformversprechen. Am häufigsten wird an diesem Papier kritisiert, dass sich die Vertragschließenden in vielen Teilen und Aussagen nicht sicher festgelegt hätten. Man vermisst also Gewissheiten.
Ein „ Krieg ohne Grenzen “: Die erneute Blockade des Gazastreifens geht in den zweiten Monat. Zahlreiche internationale Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen warnen davor, dass sich Hunger ausbreitet und lebenswichtige Medikamente fehlen. Mangelernährung, Krankheiten und andere vermeidbare Leiden würden wahrscheinlich zunehmen – insbesondere unter Kindern . Die erneute Verweigerung notwendiger humanitärer Hilfe rückt damit eine besonders verheerende Methode der Kriegsführung zurück in den Fokus: das Aushungern der Zivilbevölkerung. Der Verfassungsblog, genauer: Chefredakteur Maxim Bönnemann, hat mit Tom Dannenbaum, Professor für Völkerrecht an der Fletcher School of Law & Diplomacy (Medford, Massachusetts), einem international führenden Experten zu diesem Thema, über die verheerende Wirkung von Hunger als Kriegswaffe und die völkerrechtliche Bewertung der Lage in Gaza gesprochen. Bruchstücke übernimmt das Interview.
Wird der russische Krieg in der Ukraine gerade zum internationalen Agententhriller – inklusive chinesischer Soldaten mitten im Donbass? Während Peking alles abstreitet und sich als Friedensbotschafter inszeniert, fragt sich der Westen, ob es sich hier um eine militärische Eskalation oder nur um einen fatalen Navigationsfehler handelt. Fest steht: Die globale Lage ist so absurd, dass selbst James Bond absagen würde – zu wenig Logik, zu viel Realität.
Vor achtzig Jahren – am 9. April 1945 – wurde der Schreinergeselle Georg Elser im KZ Dachau ermordet. Mit einer selbstgebastelten Bombe hatte er ein Attentat auf Hitler geplant, während dieser im Münchner Bürgerbräukeller eine Rede hielt. Doch an diesem 8. November 1939 verließ der «Führer» vorzeitig den Saal und kam mit dem Leben davon. Elser wurde als »Sonderhäftling« jahrelang inhaftiert – und kurz vor Kriegsende auf Befehl der Gestapo erschossen. Wer war der Mann, der die Bombe baute, die Hitler töten sollte?
Place Vauban in Paris ohne Rechtsextremisten (Foto: Jmh2o auf wikimedia commons)
Die Maske der gepflegten Bürgerlichkeit mit Kostümchen und Krawatte ist gefallen: Nach dem Urteil des französischen Strafgerichts vom 31. März in Paris mit Haft- und hohen Geldstrafen sowie dem zeitweiligen Entzug der passiven Wählbarkeit ziehen die rechtsextreme Marine Le Pen und ihre Getreuen in der Nationalversammlung, in den Medien und auf dem Place Vauban mitten in Paris gegen „das System“, das eine „Atombombe“ gezündet habe, gegen die „roten Richter“ und die „Justiztyrannei“ zu Felde. Die Kampagne des Rassemblement National (RN) und die sonntägliche Mobilisierung des „Volkszorns“ auf dem Platz Vauban sind eine beispiellose Missachtung der Gewaltenteilung, eines unabhängigen Gerichts und eines Urteils auf der Grundlage von Gesetzen des französischen Parlaments: Marine Le Pen hält sich und ihre Ambitionen, in zwei Jahren zum vierten Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren, für wichtiger als die Achtung des Rechtsstaats.
Für Sonntag, den 6. April, hat die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National (RN) zu einer Protestkundgebung in der französischen Hauptstadt aufgerufen. Im Mittelpunkt: Marine Le Pen, der ein Pariser Strafgericht das passive Wahlrecht entzog. Als Redner sind neben Le Pen der RN-Chef Jordan Bardella sowie RN-Vizepräsident Louis Aliot angekündigt. „Die Richterin, die Le Pen verurteilt hatte, steht mittlerweile unter Polizeischutz. Sie hatte Morddrohungen erhalten, zudem wurde ihre Privatadresse im Internet veröffentlicht, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. Die Pariser Polizei bestätigte Ermittlungen“, schreibt Zeit-Online. Am Tag nach der Urteilsverkündung veröffentlichte der Verfassungsblog (unter der CC BY-SA-4_Lizenz) eine Analyse der Rechtswissenschaftlerin Charlotte Schmitt-Leonardy, Professorin an der Universität Bielefeld. Bruchstücke übernimmt den Beitrag, der mit dem Satz schließt: „Und beruhigen wir uns: Hier hat die Justiz nicht den ‚politischen Tod‘ einer zukünftigen Präsidentschaftskandidatin zu verantworten – es war ein (leicht vermeidbarer) Freitod.“
In Tel Aviv scheint die Sonne. Die Cafés und Restaurant sind voll. Am Strand wird Volleyball gespielt. Die ersten Menschen wagen das Bad im noch kühlen Mittelmeer. Kurz, in der Weißen Stadt – in keinem anderem Land der Welt prägt die Bauhaus-Architektur das Stadtzentrum so wie in Tel Aviv – pulsiert das Leben. Auf den ersten Blick scheint der nur 80 km entfernte Krieg fast surreal weit weg und doch ist er allgegenwärtig. Im Gespräch mit Freunden aus der Gewerkschaft zeigt sich das ganze Dilemma von Linken im heutigen Israel. Rechts und links definiert sich in Israel nicht so sehr über Wirtschafts- und Verteilungsfragen, sondern vor allem über die Haltung zu den Palästinensern. Mit einer Politik, die an Frieden mit den Palästinensern und einer auszugestaltenden Zweistaatenlösung festhält, ist zur Zeit keine Mehrheit zu gewinnen.
Es ist ein Satz, der tiefes Erschrecken und ein ebenso tiefes Gedenken an einen großen Lehrer auslöst. „Today, we are witnessing the birth of a new dual state.“ Aziz Huq, der Jura an der Universität von Chicago lehrt, erinnert in einem kurzen, messerscharfen Essay für die Print-Ausgabe der US-Zeitschrift The Atlantic unter dem Titel „Amercia is Watching the Rise of a Dual State“ an Ernst Fraenkel und sein fundamentales Werk zur nationalsozialistischen Herrschaft: „The Dual State“ (1940), erst 1974 als „Der Doppelstaat“ in der Europäischen Verlagsanstalt auf Deutsch erschienen. „Wir sind Zeugen der Geburt eines neuen Doppelstaats“, schreibt Huq. Lange wären die USA, wenn auch nicht immer perfekt, ein Staat der Normen und demokratischen Machtteilungen (für Fraenkel war das der „Normenstaat“) gewesen. Seit seinem Amtsantritt aber setze sich Donald Trump mit seinen „executive orders“ über fundamentale Lehren des amerikanischen Verfassungswesens hinweg: so die Macht des Kongresses für bindendes Recht und Gesetz; oder Entscheidungen von unabhängigen Gerichten. Damit habe er die Grenze überschritten vom „normativen Staat“ zum „Maßnahmenstaat“ (Fraenkels Begriff für den nationalsozialistischen Parallelstaat). Aziz Huq erwähnt auch Versuche, Richter, Wissenschaftler und Universitätsleitungen einzuschüchtern. Vieles bleibe zwar für die Mehrheit der Bevölkerung, wie es war. Die „executive orders“ berührten ihr Leben nicht: „Most people can ignore the construction of the prerogative state simply because it does not touch their lives.“ Das aber sei die eigentliche Gefahr eines „Doppelstaates“, weil die „Maßnahmen“ Dissidenten und sonstige „Sündenböcke“ träfen. „But once the prerogative state is built, as Fraenkel’s writing and experience suggest, it can swallow anyone”: Der „Maßnahmenstaat”, wenn er sich etabliert hat, verschlingt politische Freiheit und Verfassungen mit den „checks and balances“.
Das lehrte Professor Ernst Fraenkel, der 1938 aus Deutschland geflohene und 1951 zurückgekehrte jüdische Anwalt, uns Studentinnen und Studenten im Wintersemester 1962/63 am Berliner Otto-Suhr-Institut. Die Geschichte seines Buches erzählte er damals nicht: das ursprüngliche, deutsche Manuskript schmuggelte ein französischer Diplomat in seinem Gepäck nach Paris. Fraenkel schrieb es neu und zu Ende auf Englisch im Exil an der Universität, an der heute Aziz Huq lehrt. Seine Erinnerung und sein Wiederlesen fallen beklemmend aus.