Im Jahr 1948 warb das Waschmittel Persil mit einer Zeichentrick-Reklame, in der ein Marine-Matrose verdreckten Pinguinen die Bäuche wieder strahlend reinwäscht. Immer mehr Pinguine springen daraufhin an Bord und rufen im Chor ”PERSIL – PERSIL- PERSIL! “… Dabei recken sie die Flügel wie weit ausgestreckte Arme. Mit stolzgeschwellter Brust defilieren sie schließlich in Reih und Glied an Land, zu Marschmusik singend: ”Ja, unsere weiße Weste verdanken wir PERSIL … !” Die Deutschen hatten ihren Humor also noch nicht verloren, oder schon wiedergefunden. In Fridolin Schleys Roman Die Verteidigung, in dem er die Ereignisse um den Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess in ein fesselndes Drama über Moral und Verantwortung verwandelt, taucht die Reklame-Versprechung für blütenweiße Wäsche kurz auf – als filmische Metapher, die veranschaulicht, wie die »Entnazifizierung« schon frühzeitig funktionierte.
Weiterlesen →Gegen eine allzuständige, verwässerte Erinnerungskultur
In der Rede Richard von Weizsäckers von 19851 wird der 8. Mai nicht nur als Tag der Befreiung, sondern vor allem auch als Tag der Erinnerung gekennzeichnet. Erinnerung an die Verbrechen der Gewaltherrschaft Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus, an die fast realisierte Ausrottung des jüdischen Volkes, den Genozid an den Sinti und Roma, die millionenfache Zwangsarbeit, die anderen staatlich organisierten Gewaltverbrechen bis hin zu den Verbrechen der Wehrmacht. Sehr spät ist in der Bundesrepublik Deutschlands die deutsche Schuld eingestanden und dieser Zivilisationsbruch Gegenstand einer auf die Gegenwart bezogenen Erinnerungskultur geworden.
Weiterlesen →Gewohnt konservativ, aber auch radikal rechts. Der CDU-Grundsatzprogramm-Entwurf
Auf ihrem 36. Parteitag (6.-8. Mai 2024 in Berlin) will sich die CDU ein neues Grundsatzprogramm geben. Der Entwurf spiegelt die politisch-soziale Rechtsentwicklung der Partei und der Republik. Der Podcast, gesprochen von Jana Gebauer, fasst die Analyse zusammen, die Klaus Lang auf bruchstücke in drei Teilen vorgelegt hat. Sie steht auch als Longread zur Verfügung. Lang ordnet den Entwurf historisch ein, beleuchtet dessen Einlassungen und Auslassungen und kritisiert, wie unter der Überschrift „Humanität und Ordnung“ das individuelle Recht auf Asyl „im Handstreich beseitigt wird“.
Interessenpolitik und Menschenrechte – eine Erwiderung
Selbstverständlich ist es legitim und aus meiner Sicht sogar zwingend geboten, auf die Demokratisierung der Welt als einen unverzichtbaren Moment auf dem Weg zu einer dauerhaften und nachhaltigen Ächtung von Krieg zu pochen; selbstverständlich ist es angesichts der zunehmenden Verbreitung von Autokratie und Faschismus im Denken und Handeln geboten, die Staats – und Lebensform der westlichen Welt, die in ihr gewährleisteten Regeln von Freiheit und Zivilgesellschaft als (allerdings unvollendete) Grundlagen und Errungenschaften der liberalen Demokratie und des sozialen Rechtsstaats zu verteidigen – auch und aktuell vielleicht besonders gegenüber Russland. In seinem Beitrag „Interessenpolitik – mit oder ohne Menschenrecht“ ist Klaus Lang „fassungslos“, dass nicht alle, die diese Position teilen, ihm auch in seiner Perspektive auf den Ukrainekrieg folgen und wie er meinen, durch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine „den Bombenterror Russlands und den Vormarsch seiner Truppen“ stoppen zu können „sowie der Ukraine erkennbar die Chance zu geben, verlorene Gebiete zurückzuerobern“. Erst danach, so meint er, könnten „Verhandlungen … in Angriff genommen werden“. Ich hingegen bin der Meinung, Verhandlungen müssten sofort in Angriff genommen werden – und will das im Folgenden erläutern.
Weiterlesen →„Die Sprache des Kapitalismus“
Mit Begriffen wurde schon immer Politik gemacht, sie schaffen Realitäten und festigen Machtstrukturen. Von »Reform« sprachen SPD-Kanzler Gerhard Schröder und sein Arbeitsminister Franz Müntefering, als sie kurz nach der Jahrtausendwende mit der Agenda 2010 auf einen neoliberalen Kurs einschwenkten und den drastischsten Sozialabbau der deutschen Nachkriegsgeschichte durchsetzten. Sie nutzten dabei einen sprachlichen Terminus, den ihr sozialdemokratischer Parteifreund Willy Brandt einst ganz anders verwendet hatte: als eine positiv besetzte Beschreibung für gesellschaftliche und emanzipatorische Veränderung. Ein Jahrzehnt danach berief sich der damalige CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble auf die »Schwäbische Hausfrau«, um die „schwarze Null“ volkstümlich zu verankern.
Weiterlesen →Für eine Kernsanierung des Hauses der sozialen Hilfe
Der deutsche Sozialstaat ist im internationalen Vergleich weit entwickelt. Mit einer Sozialschutzquote von 29,2 Prozent im Jahr 2022, dem Anteil der Sozialausgaben am BIP, wird Deutschland in der Europäischen Union nur von wenigen Ländern übertroffen. Rund 13.500 Euro gab Deutschland im Jahr 2022 pro Kopf der Bevölkerung für Sozialleistungen aus1. Allerdings mehren sich die Zweifel, ob der Sozialstaat in seiner jetzigen Form noch effektiv und zukunftsfähig ist. Im Laufe der Jahre wurden immer mehr soziale Leistungen eingeführt und die vorhandenen weiter ausdifferenziert. Das System wurde damit immer komplexer und intransparenter. Die Leistungen sind untereinander oft schlecht abgestimmt. Es gibt eine verwirrende Vielzahl von Zuständigkeiten und auch die Begrifflichkeiten in den verschiedenen, die Leistungen regelnden Rechtskreisen sind oft nicht kompatibel.
Weiterlesen →Vom NS-Hinrichter zum Rechts-Professor
An einem schwülen Sommertag im August 1984 betritt ein korrekt gekleideter Herr mit randloser Brille das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in der Wiener Wipplingerstraße, stellt sich dem Archivleiter als der emeritierte Rechtsprofessor Erich Schwinge aus Marburg in der Bundesrepublik vor und ersucht um Einsicht in die Akte „Reschny, Anton“.
Vor dreißig Jahren, am 30. April 1994, starb in Marburg an der Lahn ein allseits geschätzter Bürger, der in der Nazizeit als Kriegsgerichtsrat Todesurteile fällte und nach dem Krieg zum ehrenwerten Rechts-Professor aufstieg: Erich Schwinge – eine exemplarische Täter-Karriere in der frühen Bundesrepublik.
Interessenpolitik – mit oder ohne Menschenrecht
Von Anfang an hat der Krieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine eine russisch-imperialistische und eine global-politische Komponente. Die Wiederherstellung des Macht- und Einflussbereichs der Sowjetunion, des alten Zarenreiches, ist die eine Seite. Die andere richtet sich gegen die Staats – und Lebensform der westlichen Welt, gegen Demokratie und Rechtsstaat, gegen Freiheit und Zivilgesellschaft. Das stellte Robert Habeck zu Ostern 2024 noch einmal klar heraus. Und das ist gut so. Das ist Ausdruck politischer Überzeugung, kein Dogmatismus.
Weiterlesen →Joseph Croitoru erhellt die islamistische Geschichte der Hamas
Mit einem brutalen Überfall auf rund ein Dutzend israelische Militärbasen, fast dreißig (Dorf) Gemeinden und ein Rockfestival mit über viertausend Besuchern in der Wüste Negev hat die Hamas am 7.Oktober 2023 die Schlagzeilen der Welt erobert. Über 2500 schwer bewaffnete Terroristen durchbrachen an einem jüdischen Feiertag den vermeintlich unüberwindbaren Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen, töteten oder verbrannten über tausend Menschen und entführten über zweihundert Frauen, Kinder, Männer. Die Hamas übernahm für diese in der Geschichte Israels beispiellose Gewalttat ihrer Qassam-Brigaden die Verantwortung. Sie löste einen militärischen Gegenschlag Israels aus, der ebenso beispiellos ist. Wer aber ist die Hamas, der Israel als Vergeltung für das Massaker den Krieg bis zur Vernichtung erklärt hat?
Weiterlesen →Ein Besuch im Meinungskeller kritischer Kritiker
Es ist 238 Jahre her, seit Matthias Claudius seinen Urian auf eine Weltreise schickte und dichtete:
„Wenn jemand eine Reise tut
so kann er was erzählen,
drum nehm ich meinen Stock und Hut
und tät das Reisen wählen“.
Das ist heute völlig anders. Der Bundeskanzler reist nicht mit dem Stock in der Hand nach China, sondern er hält die Hände frei, um die Hände anderer Leute schütteln zu können. Und er berichtet nicht selber, sondern andere berichten. So zum Beispiel der grüne Europaabgeordnete Reinhold Bütikofer, der dem Deutschlandfunk erzählte, Olaf Scholz vertrete in China die Interessen der Großkonzerne, freilich nicht die des Mittelstands. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz übte nach Auskunft des Deutschlandfunks Kritik.
So aufgeklärt wie nötig, so fromm wie möglich oder – umgekehrt?
Der bürgerliche Staat1 hat ein Versäumnis gutzumachen. Die Erwartungen der Ankommenden, denen seine Existenz eine Perspektive für ihre eigene liefert, könnten ihn über dieses Versäumnis belehren. Sie denken, ja, was denken sie eigentlich? Dass er ein frommer Staat ist? Er ist aber kein frommer Staat. Er, der die unterschiedlichsten Glaubensrichtungen toleriert, hütet nicht das, was allen Glaubensrichtungen gemeinsam ist, das Fromme, und er verlangt es auch nicht. Er verlangt, dass man weniger glaubt. Weniger heißt, maßvoll, mit weniger Inbrunst. Steht über dem Eingang zur danteschen Hölle, „Lass alle Hoffnung fahren“, so sollte über dem Eingang zum Staat stehen: „Sei weniger gläubig!“ Höchst verwunderlich für die, die religiöser Verfolgung entkommen sind. Kamen sie nicht, um ohne Furcht gläubig zu sein? Sind sie etwa vom Regen in die Traufe gekommen?
Weiterlesen →Wie sich Wertschätzung in „kontraproduktive Obsession“ verwandelt
Kurz vor der deutschsprachigen Veröffentlichung seines neuen Buches „Im Zeitalter der Identität“ geriet der amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk in die Schlagzeilen. Eine US-Journalistin wirft ihm vor, sie vergewaltigt zu haben. Mounk bestreitet das, bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung. Doch der gravierende Vorwurf wirft einen Schatten auf den 1982 geborenen Autor, dem zuvor eine steile wissenschaftliche Karriere gelungen war.
Weiterlesen →Informative Streitschrift über Intoleranz
Susanne Schröter, Professorin für Ethnologie und Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt, setzt sich seit vielen Jahren für eine differenzierten und realistischen Blick auf den Islam ein, warnt vor den Gefahren des Islamismus und kritisiert die Politik der Islamverbände, denen der Staat ihrer Meinung nach allzu oft auf den Leim gehe. Sie hat sich damit nicht nur Freunde gemacht. Linke Aktivisten sind immer wieder mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ und des „antimuslimischen Rassismus“ zur Stelle und versuchen, Tagungen und öffentliche Diskussionsveranstaltungen zu stören, die Schröter mit ihrem Forschungszentrum veranstaltet.
Weiterlesen →„Unsere Partner haben das besserwisserische, koloniale Gehabe der reichen Länder satt.“
Es war eine weite Reise, die Parteichef Lars Klingbeil Anfang März auf sich nahm. Und manchmal war es auch ein Ritt auf der Rasierklinge. Ob beim Parlamentspräsidenten in Namibias Hauptstadt Windhuk oder bei der resoluten südafrikanischen Außenministerin in Johannesburg – Klingbeil hatte eine Menge Fragen zu beantworten. „In aller Deutlichkeit“ und nicht nur einmal, wie er hinterher bekannte, sei ihm dabei der Hinweis auf die „double standards“ des Westens und damit auch der Bundesregierung begegnet. Es ist der gleiche Vorbehalt, dem sich auch Außenministerin Annalena Baerbock oder Entwicklungskollegin Svenja Schulze bei ihren Reisen ausgesetzt sehen, in Johannesburg genauso wie in Neu-Delhi, Brasilia, Bamako oder Dakar. Es ist der immer offensiver vorgetragene Hinweis der Länder des Südens, dass der reiche Norden, wenn es um Menschenrechte, Kriegsverbrechen, Demokratie und universelle Werte überhaupt geht, häufig mit zweierlei Maß messe.
Weiterlesen →Hyperventilierende Konformität oder Wenn wir nichts tun, machen wir nichts falsch, aber auch nichts richtig
Rolf Mützenich gebührt Anerkennung, die Frage aufgeworfen zu haben, ob nicht parallel zur entschlossenen Waffenhilfe an die Ukraine auch über Wege zum Einfrieren des Krieges und zu einen Waffenstillstand diskutiert werden sollte. Er ist allerdings eine Antwort schuldig geblieben, wie denn dies angesichts von Putins Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit gelingen soll. Rolf Mützenich, seit zwei Jahren bevorzugtes Ziel verletzender Kritik, war dafür erneut einen Sturm der Entrüstung, Beschimpfung und Beleidigung ausgesetzt.
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