Demokratie, Zumutung und Versprechen

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Die Hölle, so wusste Jean-Paul Sartre, «das sind die Anderen». In eine besondere Spielart dieser Hölle versetzt uns die Demokratie, die uns als Staatsform nicht nur ein großes Versprechen politischer Freiheit gibt, sondern auch die Zumutung auferlegt, die «Anderen» mit all ihren abweichenden Meinungen, Bedürfnissen und Interessen tatsächlich zu ertragen und mit ihnen in friedlicher Ko-Existenz zu leben. Ja, Demokratie ist eine Zumutung. Sie ist anstrengend, langwierig, bisweilen schlicht ermüdend. Viel bequemer ist es, wenn ein vermeintlich starker Mann (seltener eine starke Frau…) durchregiert, wenn man sich nicht allzu viele Gedanken machen muss. Genau mit diesem Versprechen einer radikalen Reduktion von Komplexität locken die Feinde der Demokratie.

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Aufrüstung ohne Limit und jedem seine Atombombe ?

Bild: Arman_Parnak auf Pixabay

Wer Atomwaffen hat, kann andere Länder überfallen. Die Nato bombardierte  Belgrad, um die Kosovaren vor Milosevic zu schützen. Dass Putin nicht mit der gleichen Härte begegnet wird,  liegt einzig und allein daran, dass er über Atomwaffen verfügt und es sich daher verbietet, Moskau oder St. Petersburg zu bombardieren. Bei dem Angriff gegen Ukraine dienen die Atomwaffen nicht länger als bedrohliche, aber nichtsdestotrotz friedenssichernde Abschreckung, sondern als ‚Schutzschirm‘ für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Der Krieg wird zwar weiterhin konventionell geführt, aber wegen der russischen Atomwaffen liefern die Verbündeten nicht alle Waffen, die die Ukraine gerne hätte. Die atomare Abschreckung verhindert den Krieg zwischen Atommächten, den Überfall auf Länder ohne atomaren Schutz dagegen nicht.

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Lange Schatten über dem Wahlergebnis

Bild: Satya_1 auf Pixabay

Mir kommt´s so vor, als habe sich eine große, massige, auftürmende Wolke vor das Ergebnis der Bundestagswahl geschoben. Sonne zeitweise weg. Wetterleuchten. Aufkommender Wind. Man beginnt zu frösteln. Ob das Wetter umschlägt, aus der Wolke Gewitter auf uns hinunterschlagen werden oder ob anderes geschieht, ist nicht zu erkennen. Man schließt die Fenster, kurbelt die Jalousie zurück. Jedenfalls verschattet dieses Gebilde mit seinen Eventualitäten das Ergebnis der Bundestagswahl. Obgleich diese Wahl unser Gemeinwesen durchschüttelt.

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Deals, Moneymaking, hemmungslose Macht

Bild: geralt auf Pixabay

Die Aufgaben einer möglichen neuen rot-schwarzen Koalition im Inneren (siehe Merz als ein wiederauferstandener Scholz) sind zwar sehr ambitioniert, fallen aber nicht grundsätzlich aus dem Rahmen dessen, was in der Bundesrepublik Deutschland im Lauf der Jahrzehnte passiert ist. Sicher, das dauerhafte Erstarken der AfD markiert eine Zäsur mit hohem Bedrohungspotential. Die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Schritte jedoch werden von einem Wandel gefordert, den man mit Fug und Recht epochal nennen kann.

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Merz als ein wiederauferstandener Scholz

Friedrich Merz, den die KI erst noch kennenlernen muss, springt über seinen eigenen Schatten.

Die Zeitenwende mit Russlands nicht endendem Angriffskrieg, der Trumpschen Zerstörungswut und einem deutschen Wahlergebnis, das viele Hoffnungen nicht erfüllt hat, vermag politische Ergebnisse hervorzubringen, die man für kaum oder überhaupt nicht für möglich gehalten hatte. „Was gestern unvorstellbar war, gilt heute als objektiv unabdingbar.“ (Thomas Fischer)
Der Bundestag ist voll funktionsfähig und seine gesetzgebende oder gesetzändernde Kraft hört nicht mit dem Wahltermin für einen neuen Bundestag auf, sondern erst mit dem Zusammentreten des neu gewählten Bundestages, genauso wie die Regierung bis dahin voll und danach geschäftsführend bis zur Wahl des neuen Bundeskanzlers und der Ernennung einer neuen Bundesregierung im Amt bleibt. Das jetzt Mögliche und Nötige kann deshalb ohne weitere schuldhafte Verzögerung verwirklicht werden – innenpolitisch sowie auch außen- und verteidigungspolitisch (dazu Deals, Moneymaking, hemmungslose Macht).

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Verrat – eine Frage des Datums

Klaus Lang, der langjährige Spitzen-Funktionär der IG Metall und Arbeitsdirektor in der Holding Georgsmarienhütte GmbH, analysiert anhand der CDU-Programme und deren intellektuellen und politischen Untiefen sowie dem „kollektiven Beschweigen“ (Hermann Lübbe) in der Partei die fast zwangsläufige Entwicklung zur Verbiegung von Kanzlerkandidat Friedrich Merz vor der AfD im Januar 2025. Als Untiefen identifiziert er etwa den pauschalen Bezug auf das christliche Weltbild oder die Identifizierung von „Werten“, die beliebig und undefiniert bleiben, in Verbindung mit rechtlichen Normen, die im Gegensatz zu jenen justiziabel sind. Lang sieht in der Entwicklung der CDU allerdings weder eine Tendenz zum Rechtsradikalismus noch gar zum Faschismus, wie einige Aufgeregte vermuten. Sehr wohl handelt es sich seiner Analyse nach aber um eine konservative Radikalisierung zum „technokratischen Konservatismus“.

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Reflexhafte Nato-Kritik ist geschichtsvergessen

Screenshot: Website ISE Institut für seltene Erden und Metalle AG

Trump droht dem vor laufender Kamera heruntergemachten ukrainischen Präsidenten, sein Land der Vogelfreiheit preiszugeben, sollte es das Rohstoffgeschäft ablehnen, das er mit Putins Hilfe den US-amerikanischen Industrien zuschanzen will. Trump tritt als der ideelle Gesamtkapitalist auf, der die territoriale Souveränität dem Recht des Stärkeren opfern will. Die US-Regierung gibt dem zentralen Artikel des Völkerrechts einen Tritt, da der Artikel mit der MAGA-Kampagne kollidiert. Die republikanische Partei favorisiert den Hobbeschen Naturzustand. Make America great again verspricht dem verführbaren Teil der US-Amerikaner Beuteanteile, während die herrschende Clique um Musk darin mehr als ein bloßes Versprechen sehen kann. Das ökonomische Interesse an Seltenen Erden rangiert vor dem Völkerrecht.

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Trump & Putin wollen Selenskyis Rücktritt

Europäischer Ukraine-Gipfel am Sonntag, 02. 03. 2025 in London (Screenshot: ARD-Tagesschau)

Was für eine Tragödie. Was für ein Farce. Der Mann, der seinem Land Hoffnung und Widerstandskraft gab, als es von Russland überfallen wurde und wie kein anderer den ukrainischen Freiheits- und Widerstandswillen verkörpert, wird vor der Weltöffentlichkeit zusammengefaltet und soll sich dann noch bei Trump entschuldigen. Der neue Häuptling im Weißen Haus fordert seinen Skalp. Alle die jetzt darüber reden, Selenskyj hätte sich besser so servil wie Macron oder Starmer verhalten sollen, müssen glauben, dass es in Selenkyjs Macht gestanden hätte, den Eklat zu vermeiden. Für Trump, Vance und Co ist die Bloßstellung Selenskyjs aber Teil ihrer Strategie, sich möglichst schnell mit Putin zu einigen. Putin will einen Regierungswechsel in Kyjiw und Trump erledigt es für ihn. Eine weitere Forderung Putins für eine Ende des Krieges wird vor laufenden Kameras erfüllt. Selenkyj hätte Trump die Füße küssen können und der „Eklat“ wäre nicht vermieden worden.

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Die Demokratie mobilisieren

Soll/kann es in der deutschen Politik jetzt wie gewohnt weitergehen mit zähen Koalitionsverhandlungen und einer Regierungspraxis mit langen Abstimmungs- und Entscheidungswegen oder bedarf es, Stichwort Ausnahmezustand, anderer politisch-institutioneller Wege und welche könnten es sein?
Das ist die dritte Frage zur politische Lage, die das Bruchstücke-Team sich und einem Kreis seiner Autor:innen gestellt hat. Auch darauf zehn Antworten.

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Handlungsbereit oder depressiv und regressiv


Welche sind die beiden wichtigsten Aufgaben, die sich der neuen Bundesregierung stellen und welche Koalition hätte die Kompetenz, sie mit Aussicht auf Erfolg in Angriff zu nehmen?
So lautet die zweite Frage zur politische Lage, die das Bruchstücke-Team sich und einem Kreis seiner Autor:innen gestellt hat. Dazu zehn Antworten.

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Wie blöd dürfen wir sein?

Populisten – system(at)isch seziert 

„Der Staat, die Demokratie bedürfen des Schutzes vor manipulativen Algorithmen und dem Größenwahn demokratiefeindlicher Tech-Milliardäre“, betont der Systemforscher Fritz B. Simon im Interview mit Wolfgang Storz. Es sei noch kein angemessener Umgang gefunden worden mit der Tatsache, dass das Internet und Online-Plattformen die Kommunikationsstrukturen unserer Gesellschaft grundlegend verändert haben und teilweise sogar prägen. „Eine wirksame Antwort darauf ist existentiell.“ Simon kritisiert, dass im Wahlkampf fast alle nur noch darum konkurrierten, wer am besten Mauern um Deutschland herum bauen und das Land von Ausländern befreien könne. Dafür müsse auch den Massenmedien Verantwortung zugeschrieben werden, weil sie die Botschaft verstärkten, alle Probleme der Welt seien auf illegitime Migration zurückzuführen.

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Erstarrte Stimmung, erwartbare Abstimmung

Drei Fragen zur politischen Lage nach der Bundestagswahl hat das Bruchstücke-Team sich und einem Kreis der Blog-Autor:innen gestellt. Die Antworten publizieren wir in drei aufeinander folgenden Beiträgen, beginnend mit den Reaktionen auf diese erste, zweiteilige Frage: Die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 fand unter sehr besonderen Umständen statt: Putins Russland führt in Europa einen Angriffskrieg. Die Folgen des Klimawandels werden auch in Europa zunehmend spürbar. Die US-Regierung unter Trump unterstützt offen rechtsradikale Parteien, scheint mit Russland zu kooperieren und droht, Europa den militärischen Beistand zu entziehen. Stimmen Sie dieser Beschreibung zu? Haben sich diese außergewöhnlichen Umstände im Wahlergebnis niedergeschlagen?

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Gerade nochmal gut gegangen?

Foto: M. Lucan auf wikimedia

Am Tag nach der Wahl: CDU und CSU sind mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte stärkste Fraktion im neuen Bundestag und werden voraussichtlich mit Friedrich Merz den nächsten Bundeskanzler stellen. Wahlsiegerin hingegen ist die AfD, die ihren Stimmenanteil verdoppeln konnte und in Ostdeutschland zur stärksten Partei gewählt wurde. Insgesamt entfielen auf die Parteien, die im Wahlkampf das Nationale, »unser Land« bzw. »Deutschland« in den Mittelpunkt ihrer Kampagne stellten, also AfD, Union und BSW, rund 55% der Stimmen. Demgegenüber erhielten die Parteien »links der Mitte« – SPD, Grüne, Linkspartei – nur knapp 37%, so wenige Stimmenanteile wie noch nie. Im Folgenden 13 Punkte: zunächst Bemerkungen zu politischen Tiefenströmungen, die sich im Wahlergebnis womöglich spiegeln, anschließend zu einigen Aspekten des Ergebnisses selbst.

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Bewährungsprobe für die bürgerlichen Eliten

Am Wahlabend nach der ersten Hochrechnung: eine Zeitenwende ohne Pardon und Ausreden. Zwei narzisstische Männer mit Großmachtphantasien glauben, die Welt mit ihren „deals“ beherrschen zu können: Bedenken gegen einen Diktatfrieden in der Ukraine oder eine gigantische Umsiedlung der Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland lässt der US-Präsident als „moralischen Müll“ auf den Haufen der Geschichte werfen. Der einstige KGB-Mann Putin und der gewählte „Dealer“ Trump setzen sich mit militärischen Mitteln oder „Executive Orders“ über das Völkerrecht und eine internationale Ordnung hinweg, die mühsam genug nach zwei Weltkriegen mit Millionen von Toten, die meisten in Russland, und grausamsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zustande gekommen ist. Zwischen diesen beiden Männern die Europäer, in deren Ländern die beiden Weltkriege gewütet haben, unter anderen in Tschechien, Polen, dem Baltikum, der Ukraine, Griechenland, Frankreich. Und mitten drin Deutschland, das zweimal Kriegstreiber war. Politische, wirtschaftliche und militärische Eliten aus dem konservativen deutschen Bürgertum und dem Adel haben beide Katastrophen nicht verhindert. Das ist eine historische Belastung, die bis in die Gegenwart reicht.

Und in diesem Moment, nach dieser Wahl mit dem dramatischen Ruck nach rechts fällt dieser bürgerlichen Elite die Verantwortung für die liberale Demokratie zu, für ein Weitergelten rechtstaatlicher Regeln, für einen Zusammenhalt der EU, für ein neues Vertrauensverhältnis zu Frankreich und Polen vor allem, für ein Verteidigungsbündnis mit oder vielleicht auch ohne die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Herausforderungen treffen einen Friedrich Merz, der keinerlei Regierungserfahrung hat, aber durch seinen zehnjährigen Vorsitz in dem einflussreichen Think Tank „Atlantik-Brücke“ mit Wirtschaft, Medien und Politik hierzulande und in den USA bestens vernetzt ist. Was diese deutsch-amerikanischen Verflechtungen in Instituten wie dem Aspen Institut oder Stiftungen wie dem German Marshall Fund wirklich wert sind und ob sie den Furor aus Washington beeinflussen können, wird jetzt zu beweisen sein. Die Zeit der Wertebeschwörung und der unverbindlichen „meetings“ in vornehmen Clubs ist vorbei. Die konservativen Christdemokraten haben in einem angespannten und gefährlichen politischen Moment von den deutschen Wählerinnen und Wählern den Auftrag bekommen, eine tragfähige Regierung zu bilden, in klarer Abgrenzung zur AfD, wenn Merz und die CDU/CSU glaubwürdig bleiben wollen. Die populistischen Sprüche aus den Wahlkampfarenen und die Angstkampagnen zum „Untergang des Abendlandes“ sind von gestern: Die Verantwortung, die auf Friedrich Merz lastet, ist groß. Für politisches Herumtaktieren bleibt keine Zeit. Das müssen alle wissen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen: In den politischen Parteien, im Institut der Deutschen Wirtschaft, den Arbeitgeberverbänden, den Vorständen der Banken und Medienhäuser, in Brüssel, in der Nato. Es ist eine Bewährungsprobe für die Konservativen, ob sie gegen die Trumps und Putins dieser Welt die liberale, republikanische Demokratie verteidigen wollen und können.

Innenansichten einer Rechtsaußen-Rede

Bild, KI generiert

Nehmen Sie an, was Ihr Volk Ihnen sagt, auch wenn es überraschend ist, auch wenn Sie nicht einverstanden sind.“ (J.D. Vance) Der US-Vizepräsident hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede gehalten, die ein gut bekanntes politisches Verhalten in ziemlich reiner Form zum Ausdruck bringt. Um der endlosen Kontroverse über Zuschreibungen wie rechtspopulistisch, faschistisch, rechtsradikal, nationalsozialistisch etc. auszuweichen, bezeichne ich die dazugehörige Politik als „weitrechts“ oder „rechtsaußen“. Jetzt zur Analyse. Sie stellt sich nicht der entscheidenden Frage, weshalb die Weitrechten gegenwärtig in so vielen Ländern so große Zustimmung und solchen Zulauf bekommen. Sie reagiert auf das empörte Kopfschütteln, das die Vance-Rede ausgelöst hat. Wie sehr ich auch Empörung und Ablehnung teile – die Rede ist ja kein Fall Vance, schon gar kein Vance-Ausrutscher, sondern repräsentiert handlungsleitende Grundpositionen der amtierenden Regierung der Vereinigten Staaten. Deshalb möchte ich zu begreifen versuchen, welche innere Logik, welchen Eigen-Sinn diese Rede erkennen lässt.

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bruchstücke