Gefühle triumphieren über Fakten

(Bild: Wikimedia Commons)

Die chinesische Regierung steht wegen ihres Umgangs mit den Uiguren in der Provinz Xinjiang und der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong massiv in der Kritik. Sobald jedoch von der deutschen Politik eine klarere Haltung zu diesen oder anderen Problemen verlangt wird, verweisen Gegenstimmen auf die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China. In einem Heidelberger Forschungsprojekt haben wir uns den Umgang der deutschen Presse mit China genauer angesehen und die Abhängigkeitsthese auf ihren Sachgehalt überprüft.

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Kippt das deutsche Exportmodell?

Beendet Covid-19 das Schmarotzer-Dasein der deutschen Volkswirtschaft, auf das hier alle so stolz sind? Mit gravierenden Folgen für Arbeitsplätze und Wirtschaftsstruktur, mit mental-kulturellen Einschnitten für das Selbstverständnis des Landes? Seit gut 20 Jahren feiert sich Deutschland wegen seiner enormen Exportüberschüsse: wie toll wettbewerbsfähig die Branchen mit ihren Autos, Chemikalien und Maschinen seien. Die Devise: allen anderen Ländern viele Waren verkaufen, bei ihnen aber möglichst wenig einkaufen; so wurde das Land immer wieder Export-Weltmeister. Viel spricht dafür, dass die jetzige Gesundheits-Krise dieser gefährlich einseitigen Wirtschaftsstruktur den Garaus macht. Die Debatte läuft, jüngst hat sich sogar der Christdemokrat Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident, eingeschaltet: Es sei Zeit, „die Exzesse der Globalisierung“ zu überdenken.

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Warum Öffentlich-Rechtliche Medien?

Der Zauber einer alten Radioskala
(Foto: Maximilian Schönherr / Wikimedia Commons)

Frequently Asked Questions, abgekürzt: FAQ, sind ein seit den frühen Internettagen bewährtes Format der Wissensvermittlung. Gerade hat die Heinrich-Böll-Stiftung eine Broschüre des Mediensoziologen Volker Grassmuck herausgegeben, die verspricht, “Auskunft zu einigen häufig gestellten Fragen” über öffentlich-rechtliche Medien zu geben. Eine Leseempfehlung.

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Warum stehen Lehrende wie Sendemasten vor den Lernenden?

Die Hörsäle von heute, ‘Lost Places’ von morgen?
Hier der Hörsaal von gestern des Instituts für Anatomie der FU Berlin in Dahlem
Foto: Fabian Arlt

Weil Bildung seit Februar 2020 unversehens im Ausnahmezustand stattfindet, ist sie selbst in einen Ausnahmezustand geraten. Musste das so kommen? Nein. Es ist so gekommen, weil eine sehr alte Erfahrung besagt, dass das Lernen am besten so funktioniert, wie wir es seit langem erproben, kennen und gewohnt sind. Als wir dann mit der Digitalisierung das Schwungrad der Weltveränderungen angeworfen haben, ließen wir das Lernen weitgehend außen vor, weil es ja bereits gut funktionierte und es ökonomisch uninteressant schien.

Jetzt belehren wir uns unter Druck eines Besseren: Wir verändern die Bildung – und damit uns alle – durch die Kontaktbeschränkungen und erfahren, dass etwas funktioniert. Was wäre, wenn wir den Umstand zum Anlass nehmen und mit der Idee von Bildung neu anfangen?

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Wohltat statt Wohlfahrt – wie sich Überreiche Macht und Vermögen sichern

Bild: John Hain auf Pixabay

Wie gelingt es den Vermögenden, sogar in größten Krisen weitgehend ungeschoren davon zu kommen? Dieses Thema des Buchautors Martin Schürz müsste das Thema dieser Monate sein: Wenn die Regierungen in der EU so enorm viele Schulden machen und Steuergelder en masse in die Hand nehmen, um die globale Gesundheits- und Wirtschaftskrise wenigstens halbwegs zu bewältigen — da müssen Millionäre und Milliardäre doch gehörig bluten, um diese exorbitanten Schulden schnell wieder abbauen zu können. Nein? Nein!


Martin Schürz ist Wirtschaftswissenschaftler und Psychoanalytiker, arbeitet mit traumatisierten Jugendlichen und erforscht zugleich seit Jahren die Welt der Überreichen. Sein Buch ist auch reich an Fakten, obwohl seine These lautet: Gerade bei diesem Thema führen Fakten nicht weit. Weil Gefühle ausschlaggebend sind.

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Bisher keine „rechte Landnahme“ in der Zivilgesellschaft

Ist die Zivilgesellschaft Hort der Demokratie oder das Einfallstor für rechts? Dieser Frage widmet sich die druckfrische Studie „Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts. Interventionsversuche und Reaktionsmuster“, die an der Universität Kassel im Fachgebiet „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“ erarbeitet, von Wolfgang Schroeder verantwortet, von der Otto Brenner Stiftung finanziert und publiziert wurde. Methodisch transparent, konzeptionell klug, theoretisch-begrifflich auf hohem Niveau – ein solches Lob kann man angesichts der allgemeinen Studien-Inflation nur selten aussprechen, diese Studie hat es verdient. Den vier AutorInnen gelingt es nicht nur, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus gut konturiert voneinander abzugrenzen. Sie schaffen es auch, die oft hilflos-schwammig verwendete Bezeichnung „Zivilgesellschaft“ als Analyse-Werkzeug präzise zu handhaben.

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„Wir erreichen mehr, wenn wir nicht laut werden“

Der One-World-Bear am Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Berlin
(Foto OTFW / Wikimedia Commons)

Wer führt eigentlich noch eine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklungszusammenarbeit? Die Erfolge von BMZ-Minister Gerd Müller, CSU, sind überschaubar – aber die deutschen Hilfsorganisationen hat er nicht zu fürchten. Die fliegen lieber zum Zwecke der Spendenakquise Prominente als Testimonials in Dürregebiete als harte, nachvollziehbare politische Forderungen zu formulieren. Lieber schreiben sie Anträge für neue millionenschwere Projekte, als mit provozierenden Fragen einen neuen Nord-Süd-Diskurs anzustoßen.

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Ist das Internet zur Facebook-Repräsentanz degeneriert?

Das Internet steht seit langem unter Beschuss von Kritikern. Es soll eine „Wüste“ (Clifford Stoll) geworden sein. Es soll von wenigen Konzernen beherrscht sein. Es soll seinen ursprünglichen Visionen untreu geworden sein.Das Internet scheint eher ein Dschungel als eine Wüste zu sein. Es wird in der Tat von wenigen Konzernen beherrscht. Und bei den Visionen ist die Frage, ob diese in der Frühphase des Web auf realistischen Optionen basierten.
Stefan Münz, Informatiker-Urgestein und Verfasser des ehedem wohl meistverbreiteten Leitfadens zum Basteln von Websites auf Basis von HTML, bezeichnete Facebook, Google & Co. als „Sargnägel für das Internet“. Im Spiegel-Interview klagt er, die Grundidee des Internets gehe verloren. Sind fatalistische Einschätzungen berechtigt?

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Nachrichtenjournalismus und die Sicherung der digitalen Öffentlichkeit

Kultstätte Newsroom (hier: Al Jazeera)
(Foto: Wittilama / Wikimedia Commons)

Nachricht und Kontext

Viele Journalistinnen und Journalisten sehen in der Nachricht das zentrale und wichtigste Produkt ihres Geschäfts. Schnell, präzise, nüchtern und neutral hilft sie dem Publikum, im Weltgeschehen auf dem Laufenden zu bleiben. Morgens, zum Einstieg in den Tag, abends, als sein Résumé, und dazwischen gelegentlich im Alarmmodus, wenn sich etwas Besonderes ereignet hat – der Fluss der Nachrichten fordert immer wieder unsere Aufmerksamkeit und belohnt uns dafür mit der Chance, informiert an einer gemeinsamen Öffentlichkeit teilzuhaben.

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Auf Wunder ist nicht zu hoffen

Ohne seine “dynamic systems” hätten Grenzen des Wachstums nicht prognostiziert werden können. Jay Wright Forrester begann in den 1950er-Jahren am legendären Massachussetts Institute of Technology (MIT) seine Karriere als Entwickler komplexer Computermodelle. | Foto: MIT Archives

Appelle erreichen die Einverstandenen. Bei allen anderen, so wird jeder Psychologe bestätigen, helfen sie nicht. Der Appell spricht nur die an, die kommunikativ eh über die passend sensiblen Synapsen verfügen, denn er ähnelt nun mal der Predigt. Die Rhetorik der Predigt hat ihre Berechtigung vor gefestigten Gemeinden mit anschließender kollektiver Buße oder gerechtigkeits-erregter Steinigung eines Ungläubigen. Sozialgeschichtlich müsste die Predigt als Kommunikationsform erledigt sein. Sie ist den Verwicklungen heutigen sozialen Geschehens nicht gewachsen: Auch die Alarmglocken, die sie läuten lässt, und der Nachhaltigkeits-Weihrauch, den sie verstreut, retten die politische Predigt nicht. Zunächst ein historisches Ratespiel.

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Konjunkturpaket: Wie ein Taschentuch für den Glaspalast

Naturverständnis in Zeiten von Corona (Foto: Torsten Schäfer)

Wer sich mit Klima, Natur und Umwelt beschäftigt, der taucht auch tief in die Viruskrise hinein. Denn es gibt viele Parallelen, aber auch klare Unterschiede. Während das Coronavirus unerwartet kam, trifft das Gegenteil auf die Klima- und Umweltproblematik zu: Wir leben im Anthropozän und wissen das auch mehrheitlich. Und dennoch besteht ein eklatanter Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des Virus und der ökologischen Problematik: Beides sind primär soziale Sachverhalte.

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Neues vom Narrenschiff

Der deutsche Fotograf und Journalist Janko Puls lebt mit seiner Frau seit 2006 im East Village in Manhattan. In einem langen, leidenschaftlichen Brief, den er am 02. Juni 2020 verfasst und an seine Freunde geschickt hat, schildert er das Leben inmitten der aktuellen Unruhen, unter Corona, unter Donald Trump, in einer Stadt und einem Land, die er liebt, und die ihn zur Verzweiflung treiben. Mit seinem Einverständnis dokumentieren wir den lesenswerten Text und bieten ihn als edition bruchstuecke #1 auch als pdf zum Download an.

Proteste am Washington Square Park in NYC im Juni 2020
(Foto: David Shankbone / flickr)

New York City, 02. Juni 2020

Es ist still draußen. Ich sitze mitten in Manhattan, New York City, NY, an meinem Schreibtisch am Fenster, mit Blick auf den grünen Hinterhof und die Fenster der tenement buildings im nächsten Block. Ich höre gerade nur ein paar Vögel zwitschern. Keine Autos. Keine Stimmen, keine Flugzeuge, keine Hubschrauber. Aber ich weiß, dass das die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist. Ein Moment der Sammlung im Auge eines Orkans.

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Edle Ziele, doch wo ist der Weg?

Um die Jahrhundertwende waren Elektroautos bereits ebenso praktikabel wie Gasautos. Mit dem Aufkommen der alkalischen Batterie, die von Thomas Edison erfunden wurde, schien es nur eine Frage der Zeit, bis die Idee der elektrischen Energie auf die pferdelose Kutsche übertragen wurde. Natürlich würde es Werbung geben, um diese Autos zu verkaufen. Die Baker Motor Vehicle Company aus Cleveland, Ohio, baute die Baker Electric – einer der erfolgreichsten Hersteller von Elektroautos zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Weiterentwicklung des Otto-Motors ließ Elektroautos aber schnell wieder vom Markt verschwinden. | Foto: Hemmings

Der persönliche PKW ist ökologisch gesehen ein Anachronismus. Private Autos stehen absolut mehrheitlich dumm in den Städten herum. Ein integriertes öffentliches Verkehrssystem vom selbstfahrenden Taxi bis zum ICE ist zukunftsweisend. Ja. Aber! Wo finden sich die genauen Wege?
Oder mit den Worten des geschätzten Soziologen Armin Nassehi:
„Das Problem ist, dass wir nur noch Ziele haben. Ziele formulieren kann jeder. Ich habe kürzlich einen Vortrag vor den versammelten deutschsprachigen Klimaforschern gehalten, 400 Leute, die sagten, dass sie den Politikern immer erklärten: Ihr müsst den CO-Ausstoß um soundsoviel Prozent senken oder auf diese oder jene Technologie setzen. Und die unterschreiben dann Klimaschutzziele, teilweise mit bestem Wissen und Gewissen – aber es gelingt schon deshalb nicht, weil man das Ziel bereits für den Weg hält. Wer ein genaues Ziel vorgibt, scheitert womöglich daran, dass das Ziel schon wie die Lösung aussieht. Dabei ist es der Weg dorthin, um den es geht.“ (taz, 19.06.2019)

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Als die IG Metall das Auto noch nicht liebte

Die Frankfurter IG Metall-Zentrale. Foto: Bruno /Germany auf Pixabay

VW, Daimler, BMW und ihresgleichen haben bisher vom Steuerzahler fast alles erhalten, standen sie doch für d i e Leitbranche der deutschen Wirtschaft. Der IG Metall, Deutschlands größter Gewerkschaft, kam das gelegen. Die Konzerne konnten es sich sogar erlauben, jahrelang technisch-innovatorisch nicht vorne, lediglich im Betrügen Spitze zu sein — das ist jetzt beendet. Im Kampf um eine neuerliche generelle Kaufprämie, faktisch: Abwrackprämie, haben sie jüngst eine Niederlage erlitten, die sie als historisch empfinden müssen. Dass dieser Abstieg — gestern noch Leitbranche, heute eine unter anderen — gravierende Folgen haben wird, auch für die Arbeitsplätze, ist klar; vor allem in Anbetracht erheblicher Überkapazitäten. Was tun? Wollten sie das Beste für die Arbeitsplätze und sich geplant (nicht zufällig, chaotisch) in eine gute Zukunft retten, würden sie spätestens jetzt alles daran setzen, ihre Auto- zu einer Mobilitätsindustrie umzubauen. Aber was tun sie stattdessen? Konzerne und Gewerkschaft rennen weiter Schulter an Schulter in ihre Sackgasse der individuellen Mobilität hinein. Tragisch ist diese Mut- und Ideenlosigkeit vor allem für die IG Metall. Denn die war in den 1990er Jahren unter ihrem legendären Vorsitzenden Franz Steinkühler schon einmal viel weiter.

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