Die verquere Wut einer sich selbst verleugnenden Klassengesellschaft

Die Nachricht, VW investiere hohe Summen in deutsche Batteriewerke, traf in der Wirtschaftspresse auf skeptische Stimmen, gelten diese Standorte doch als besonders ineffizient und renditeschwach. Unternehmerisch sinnvoll sei dies keineswegs, es sei halt politisch gewollt, so die Kommentare. Finanzfachleute haben ihre eigene Vorstellung von Rentabilität, und Politik gehört nicht zu ihrem Metier. Ihnen gelten Produktionsstätten mit einem Ertrag von drei Prozent als unrentabel, würden sie doch keinen ordentlichen GWB, keinen Geschäftswertbeitrag leisten. Der GWB ist eine für die Unternehmensführung zentrale Kennziffer, ein polyglotter Vorstand spricht gerne auch vom Shareholder Value.

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Alles wie immer, nur schlimmer – auf ins nächste Krisenjahr

Foto: Fabian Arlt | Intromusik: terrasound.de

Als Erbschaft dieser Zeit rutscht ein Verschwörungsgeschwurbel mit in das Jahr 2022 hinüber, das einem die Haare zu Berge stehen lässt. Aber sind ordentliche Frisuren wirklich so wichtig? Nötiger sind null Toleranz für Gewalttaten, mehr Geduld und Diskussion mit Freunden wirrer Gedanken und wüster Worte.

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

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Dem Weltmarkt ausliefern, macht abhängig

Bild: geralt auf Pixabay

Es beginnt erneut eine Debatte – die in Deutschland gemieden, mehr: weggedrückt wird – über die extreme Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Ausland. Wirtschaftlich höchst fragil, ökologisch bedenklich – Kritik daran gibt es deshalb schon lange, im Ausland. Aber Deutschlands Eliten aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik sehen in der Schräglagen-Exportwirtschaft nur die Lösung, kein Problem. Jetzt hat das Problem die Oberfläche durchstoßen. Die negativen Folgen einer exzessiven Globalisierung sind im Alltag zu spüren. Vor wenigen Tagen setzte Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident, dieses Thema auf die Tagesordnung: Die EU brauche „ein neues europäisches Wachstumsmodell“; sein Land übernimmt im Januar die EU-Ratspräsidentschaft. Und Franz Fehrenbach, jahrelang Spitzenmanager des einflussreichen Stiftungs-Konzern Robert Bosch, zieht in einem Interview diese Bilanz: „Wir sind zu abhängig von anderen Regionen.“

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Wie sich Unternehmen Klimaneutralität zusammenkaufen

Symbolische Darstellung von CO2-Äquivalenten bei Protesten in Wien 2018 © cc-by-sa systemchange not climatechange/Flickr

Vom Mineralwasser bis zur Tiefkühlkost, mit ein paar CO2-Zertifikaten ist vieles schnell «klimaneutral». Die Organisation «Foodwatch» hat in Deutschland Pouletbrüste der Rewe-Kette zur dreistesten Werbelüge des Jahres erklärt. Das Poulet der Rewe-Eigenmarke an sich ist ganz in Ordnung. Nur: «klimaneutral», wie es auf der Verpackung steht, kann es auf keinen Fall sein, das sieht auch der Uninteressierteste ein. Die emissionsfreie Herstellung von Pouletfleisch ist nicht möglich. Ist sie doch, sagt Rewe. Und zwar mit einem Trick: Das Unternehmen hat sich die Pouletbrust einfach nachhaltig gemacht – durch den Kauf von Klimazertifikaten.

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Wissenschaftliche Redlichkeit sähe anders aus

Vor hundert Jahren knüpfte Leo Trotzki das Gelingen des Sozialismus an die permanente Revolution. Daraus wurde nichts. In der Gegenwart knüpft der oberste Funktionär der deutschen Universitäten und Fachhochschulen, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt, an den revolutionären Russen mit einem steilen Vergleich an. „Die deutsche Hochschulpolitik bietet das Bild eines weichgespülten Trotzkismus,“ schreibt er in dem Buch „Exzellent!?“ und fährt fort: „sie folgt dem Modell der permanenten Reform. Seit 50 Jahren wird an Institutionstypen, Karrierewegen, Qualifikationsprofilen und Lehrplänen herumgeschraubt, als handele es sich um beliebig einsetzbare Bauteile.“ Gleichwohl könne die deutsche Universität jeden Vergleich mit den englischen und amerikanischen Hochschulen bestehen, lautet Alts verblüffendes Urteil. Exzellent eben, ohne Fragezeichen. Ein erstaunlich abrupter Befund nach über zweihundert Seiten Beschreibung eines permanenten Niedergangs.

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Pazifistische Offiziere in der Militärkaste

Im Mittelpunkt dieses Buches, eines Standardwerks, stehen Porträts von 18 Offizieren, die — jeder für sich — mit einem „außergewöhnlichen Kraftakt“ (Wolfram Wette) aus einem „geschlossenen Systems des militaristischen Denkens“ ausbrachen. Wolfram Wette, renommierter Militärhistoriker, skizziert in seinem Vorwort und in seinem (auch für Nicht-Wissenschaftlerinnen) gut lesbaren, etwa dreißigseitigen Essay knapp und wissenschaftlich verdichtet die Welt, in der diese pazifistischen Offiziere lebten. Erst vor diesem Hintergrund ist das heutige Publikum fähig, den Wagemut, das Selbstbewusstsein und die Leistung dieser Menschen angemessen zu würdigen.

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Die Klimabahn – Chance und Risiko für die Grünen

Vor 42 Jahren bin ich Grüner in Baden-Württemberg geworden, um die sich abzeichnende ökologisch-ökonomische Katastrophe, die „Selbstzerstörung unserer Zivilisation“ zu verhindern. So formulierte es ein damaliger schwäbischer Mitstreiter, der aufrechte, damals sehr selbstkritische Winfried Kretschmann. Mich bewegte schon in den 1980er-Jahren die Verkehrspolitik. Mein Motiv: Das Schattendasein der Bahn zu beenden, die Vernachlässigung dieser eigentlich tollen Alternative zum Auto nicht länger hinzunehmen.

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„Wo die Liebe hinfällt, bleibt sie eben nicht einfach liegen“

Intromusik: terrasound.de

Werfen wir in den Tagen des Festes der Liebe einen Blick auf den öffentlichen Alltag der Liebe, auf das Liebesaus in den bunten Blättern, auf das Wischundweg der Dating-Portale.

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

Weitere Folgen von ‚Auch das noch!‚ gibt es hier.

Natur und Kultur – oder Corona als Motor der Transformation der Demokratie?

Die sich schon in der Finanzkrise 2008 abzeichnende und durch Corona noch einmal deutlich beförderte Renaissance des Staates beinhaltet zweifellos neue Chancen für linke Politik, aber auch neue Herausforderungen für eine konstruktive Bearbeitung von Kontroversen um deren Anlage, Ausrichtung und Begründung. Ein solcher linker Zukunftsdiskurs mobilisiert Beteiligung nicht durch das Wiederholen von Gewissheiten der Vergangenheit, sondern greift Widersprüche, Streitpunkte und Konflikte auf, um die gegenwärtigen Aufgaben im Blick nicht nur auf die Zukunft, sondern auch auf die Vergangenheit zu verstehen und anzugehen. Dazu neun Thesen.

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Im 2021ten Jahr nach Christi Geburt: Die ersten R2G-Weihnachtstage


Das bruchstücke-Team wünscht angenehme Feiertage (Bild: Marion Uhrig-Lammersen)

Das bruchstücke-Blog-Programm für den Rest des Jahres:

25. 12. Ingrid Kurz-Scherf:
Natur und Kultur oder Corona als Motor der Transformation der Demokratie
26. 12. Joe Kerr: Auch das noch (Podcast)
„Wo die Liebe hinfällt, bleibt sie eben nicht einfach liegen“
27. 12. Hendrik Auhagen: Die Klimabahn – Chance und Risiko für die Grünen
28. 12. Wolfgang Storz: Pazifistische Offiziere in der Militärkaste (Rezension)
29. 12. Jutta Roitsch:
Wissenschaftliche Redlichkeit sähe anders aus (Rezension zur Lage der deutschen Universität)
30. 12. Klaus West: Das Autofahren, die Vernunft und die Freiheit (I)
31. 12. Daniela Gschweng: Wie sich Unternehmen Klimaneutralität zusammenkaufen

Auf alten Gleisen zu neuen Zielen: Mit Fortschritt gegen die desaströsen Folgen des Fortschritts

Profitables Wachstum, diese große Strategie der Moderne, dient auch den rotgelbgrünen Modernisierern als Kompass (Bild: geralt auf Pixabay)

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am 15. Dezember 2021 seine erste Regierungsvorlesung gehalten. Mit etwas zeitlicher Distanz fällt auf, dass sie schon am nächsten Tag vergessen war. Ihr Aufmerksamkeitswert reichte kaum an das Ernennungszeremoniell im Bundespräsidialamt heran. Als Rede glich sie, musikalisch gesprochen, einem Drehorgelkonzert, fußballerisch gesprochen, einem torlosen Unentschieden. Wusste Olaf Scholz nicht, dass er seine erste Regierungserklärung als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland nur einmal halten kann?
Er wusste es ganz genau, wäre meine These. Der Rede hätte die Botschaft gefehlt, kritisieren viele. Schön wär’s. Als Wahlkämpfer ist Scholz mit dem Versprechen aufgetreten, ich will nichts von euch außer eurer Stimme. Als Bundeskanzler ist er mit der Botschaft angetreten: Lasst euch nicht stören, von mir nicht und auch von sonst nichts, die R2G-Regierung wird für den nötigen Fortschritt sorgen, alles wird gut ausgehen.

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Für mehr Reform, weniger PR in Sachen ÖRM

Eine Initiative schlägt dezent Alarm. Und fast alle im kritischen Medienbetrieb und darum herum, mit höherem Rang und Namen, haben schon unterschrieben. Dieses Anliegen ist ihr erstes: „Die öffentlich-rechtlichen Medien stehen unter Trollfeuer und brauchen breite Unterstützung!“ Nun stimmen fast alle, abgesehen von den Trollen und der AfD, darin überein, wie unverzichtbar, wertvoll und so weiter die öffentlich-rechtlichen Medien (ÖRM) für die Demokratie sind. Da fast alle darin übereinstimmen, die ÖRM also auf einem breiten Fundament an Zustimmung ruhen — ist es um sie machttechnisch wirklich so schlimm bestellt, dass wir jetzt auch noch öffentlich zum gefühlt 100. oder 324. Mal beteuern müssen, Ihr seid so gut und so wichtig? Ist doch der Apparat der ÖRM mit seinem acht Milliarden Euro-Budget und seinem politisch bestens (notfalls bis in die Unabhängigkeit) vernetzten Management doch gegen Angriffe gefeit, wie kaum ein anderer. Was sollen dem die paar hunderttausend oder wenige Millionen Trolle und die rechtsradikale AfD schon groß antun können?

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»Atomenergie und Demokratie sind nicht kompatibel«

Kommt die Wiederbelebung der Atomenergie in Deutschland? „Es gibt interessant klingende Forschungsprojekte, aber es sind eben nur Papierreaktoren. Vieles von dem, was jetzt als neue Lösung präsentiert wird, war schon mal da: Die Ruinen eines mit Natrium gekühlten Reaktors oder eines Thoriumreaktors können in Kalkar, Hamm-Uentrop oder Jülich besichtigt werden“, sagt Sylvia Kotting-Uhl. Sie war von 2005 bis zur jüngsten Bundestagswahl für die Grünen im Bundestag. Ab 2018 war sie Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Als profilierte Kritikerin der Atomenergie hat sie sich ein beachtliches Renommee erworben, während dieses Thema in ihrer Partei seine vormals zentrale Bedeutung allmählich verliert. Im Interview mit Detlef zum Winkel kritisiert sie „das unhinterfragte Kolportieren der Behauptung, Atomkraft sei ein Beitrag zum Klimaschutz“.

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