Das Nationale, das Planetare und die öffentliche Irreführung

Wahlplakat des FPÖ-Spitzenkandidaten Herbert Kickl in den niederösterreichischen Fluten (Screenshot: twitter .com/VPiCd6259b | https://twitter.com/ColetteMSchmidt/status/1835344948872216660)

#1 Wo stehen wir? Mitten in einer deutschen Öffentlichkeit, in der sich alles um Migration dreht, besser: um deren Verhinderung. Praktische Lösungen für real existierende Probleme spielen im Wettlauf der Niedertracht nur am Rande eine Rolle; er wird von der Mechanik der Aufmerksamkeitsökonomie angetrieben: Wer kann noch lauter »Überforderung« sagen, wer noch ungerührter Forderungen wider allen Anstandes erheben? Mit Fakten kommt man in dem Lärm nicht weit, eine Zahl hier nur als Beispiel: Der Anteil der Kommunen, die sich als »überlastet« mit der Unterbringung von Geflüchteten sieht, ist von Oktober 2023 bis Mai 2024 von gut 40 auf knapp 23 Prozent zurückgegangen. Unter ostdeutschen Kommunen sind nicht einmal 8 Prozent »überlastet«. Dabei wird der parteipolitische Überbietungskampf ja gerade aus »Rücksicht« auf angenommene Haltungen »der Bevölkerung« in den derzeit wählenden Bundesländern betrieben. Wer auf rechtsstaatliche, ökonomische, demografische Argumente wert legt, ja einfach nur auf einen gesunden Menschenverstand und etwas Haltung, wird mit allen Varianten von »Ausländer raus« konfrontiert. Apropos Überforderung: Sechs von zehn Kommunen gehen laut Daten der KfW-Forschung davon aus, dass sie nur einen geringen Teil der für Klimaschutz und Anpassung benötigten Investitionen oder gar nichts davon stemmen können.

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Sozial, digital, ganz egal?

 

Bild: geralt auf Pixabay

Soziale Medien? Die falsche und unsinnige Übersetzung des englischen «social» ist selbst bei seriösen Medien nicht auszurotten. Unterdessen behauptet zwar niemand mehr, Facebook, X, Whatsapp, Youtube oder Instagram seien soziale Institutionen, die «dem Gemeinwohl dienen, die menschliche Beziehungen fördern und die wirtschaftlich Schwächeren schützen», wie es im Duden heisst und wie es dem deutschen Sprachverständnis entspricht. Trotzdem reden und schreiben selbst öffentlich-rechtliche Medien weiterhin regelmässig von «sozialen Medien». In Zeitungen wie der «NZZ» oder dem «Tages-Anzeiger» liest man immer wieder – manchmal sogar in Titeln – von «sozialen Medien» oder «sozialen Netzwerken».

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Von der Wachstums-Zwangswirtschaft befreien

Bild: geralt auf Pixabay

Um den Wachstumsimperativ zu beseitigen, müsste nach den Worten Christoph Deutschmanns das kapitalistische Eigentumsarrangement, das heißt, die Zuweisung des Eigentums über die Produktionsmittel an eine separate Klasse von Eigentümern neben den Arbeitenden, aufgehoben werden. „Wären die Arbeitenden die alleinigen Eigentümer über die Produktion, müsste die Produktion nur noch die Kosten, einschließlich der Einkommen der Arbeitenden, decken. Aber sie müsste keinen Gewinn mehr erbringen, und auch in ‚schlechten‘ Jahren mit sinkenden Umsätzen ginge die Welt nicht unter“, sagt der Tübinger Wirtschaftssoziologe im Interview mit Wolfgang Storz.

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Satire? Hartgesottener Zynismus

Bild: Ksv_gracis auf Pixabay

Wer oder was ist ein „Comedian“? Nach der Häufigkeit der Nennung des Wortes während der vergangenen Tage kommen Comedians bezogen auf ihre Bedeutung kurz hinter Trump und Kamala Harris. Noch vor Papst Franziskus. Comedians sind Leute! Leutselig sind sie deshalb aber noch lange nicht. Sie kennen das Wort leutselig noch? Wird nicht mehr häufig in den Mund genommen. Wer andere Menschen freundlichen Gesichts auf sich zukommen lässt und ebenso freundlich auf andere zugeht, der ist leutselig. Das tun Comedians nicht. Comedians sagen, sie wollten Spaß machen. So viel Spaß machen, dass der ansteckend wirkt. Auf andere, die keine Comedians sind. Der Duden beschreibt Comedians als  „humoristische Unterhaltungskünstler“. Darin stecken drei Zuschreibungen, die ich nicht teile. Comedians sind nicht humoristisch aufgelegt. Sie unterhalten auch nicht, es sei denn man ist Masochist. Und drittens hat der Duden Kunst durch Dreistigkeit ersetzt.

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Was trägt die Demokratie? Till van Rahden vermisst die Horizonte demokratischer Kultur

Foto: dontworry auf wikimedia commons

In den 1960er Jahren, als christliche Konfession noch ein gesellschaftlich relevantes Identitätsmerkmal war, als die Kirchen noch einigermaßen gefüllt waren, man aber auch bei „Mischehen“ von Katholiken und Protestanten die Nase rümpfte, trieb den Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Bockenförde die Sorge um, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in einem freiheitlichen und säkularen Staat zu sichern sei, der sich ganz bewusst nicht auf die Gemeinschaft im Glauben, die Ordnung der Kirche und geteilte Heilserwartungen stützt. Der freiheitliche Rechtsstaat sieht sich demnach mit dem Paradox konfrontiert, dass er die Zustimmung der Bürger zu seinen Grundprinzipien nicht erzwingen kann, ohne seinen Charakter als freiheitlicher Staat zu verlieren1. Er fasste dieses Dilemma in dem als „Böckenförde-Diktum“ berühmt gewordenen Satz zusammen: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

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Wir sind kein Volk

Heimat: Naturpark Erzgebirge im Vogtland (Foto: Kora27 auf wikimedia)

Mein Vogtland grüßt mit 37% AfD bei der Thüringenwahl und ich nehme es irgendwie persönlich. Vielen Dank, es ist immer schön, wenn der Ekel nachlässt. Aber aus dem Affekt heraus darf man sich nicht die Welt erklären. Das haben bedeutende Vorbilder erklärt, Brecht, Gremliza, Gysi usw. Auch die Literatur, Religion, Musik und der Sozialkundeunterricht lehren uns mit solchen unvorteilhaften Situationen umzugehen. All you need is love. Jesus und Maria, John Lennon und Madonna empfehlen ganz viel Liebe. Denn die rabaukenhaften Aufmärsche der Jungrüden und -mädel, das abschreckende Outfit, die martialischen Tattoos, der SA-Gedächtnishaarschnitt, die Zündeleien an Flüchtlingsheimen (das geht nun wirklich nicht, Landsleute), die Übergriffigkeiten gegen die Presse, der empörte Dauerton, die Strassenjagden auf Schwarze, Homos, Lesben, Punks – sind sie nicht Zeichen dafür, wie sehr die Menschen im Osten an ihrem schweren Los leiden? Dass sie Zuwendung brauchen, Anerkennung, das alte Problem der DDR, der gefürchtete Schrei nach Liebe.

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Wie viel ist 2 plus 2 vorurteilsfrei?

Bild: creozavr auf Pixabay

Den ehrenwerten Bemühungen, die Wissenschaft zu dekolonisieren, kann sich auf Dauer auch die sogenannte Königsdisziplin nicht entziehen. Nicht ganz grundlos wurden in der Mathematik eurozentrische, rassistische und suprematistische Züge entdeckt. Angelsächsische Bildungsinitiativen haben bereits Empfehlungen ausgearbeitet, die Lehrpläne zu reformieren, um ethnomathematische Aspekte stärker zu berücksichtigen. Ein bisschen populistisch nehmen alle diese Ansätze Anstoß an der als rassistisch empfundenen Vorschrift, dass Zwei plus Zwei unbedingt Vier sein müsse. Zwar wurde diese Regel zuerst im Nahen oder Fernen Osten aufgestellt. Schwer zu sagen, wer damals von wem abgeschrieben hat, die Ägypter von den Mesopotamiern oder die Perser von den Chinesen?

Bruchstücke geht vom 1. August bis zum 8. September in eine Sommerpause und wünscht
IHNEN ALLEN EINE GUTE FERIENZEIT

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Im „Staatsvolk“: Gefährliches Grollen

Linke Politik braucht ein Programm, für welche elementaren Grundsätze von sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und Verteidigung der Demokratie sie eintreten will, sagt Sighard Neckel im Interview mit Wolfgang Storz und benennt „die gravierendsten Fehler der politischen Linken“. Sarah Wagenknecht zählt er nicht zur Linken, auch weil ihr beim Bürgergeld, unisono mit den Konservativen und der AfD, als erstes die „Gefahr des Missbrauchs“ einfällt – „was sie vor allem dazu benutzt, die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Was soll an alledem links sein?“

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„Kriegstaugliches Mindset“ per Gesetz

Bayern beschließt ein bundesweit erstes „Bundeswehrförderungsgesetz“ und verpflichtet Schulen und Hochschulen zu engerer Kooperation mit der Bundeswehr. Kritiker befürchten eine fortschreitende Militarisierung im Bildungsbereich.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern rief zu einer Demonstration gegen das Bundeswehrförderungsgesetz auf.
Screenshot: Website GEW Bayern
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Olaf Scholz, Bundeskanzler 2025ff

Bild: geralt auf Pixabay

In seiner Sommerpressekonferenz wurde Bundeskanzler Olaf Scholz vor wenigen Tagen gefragt, ob er es nicht wie der US-Präsident machen und auf eine erneute Kandidatur verzichten wolle. Weshalb sollte er? 14 Monate vor der nächsten Bundestagswahl, die voraussichtlich auf den 28. September 2025 terminiert wird, einige Anmerkungen zur gegenwärtigen Lage der Parteien sowie zu sich im Bund abzeichnenden Koalitionsperspektiven 2025.

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Poker zwischen Parlament und Elysee

Foto, 2018: Celette auf wikimedia commons

Das Bild, das die politisch Verantwortlichen im Palais Bourbon, dem Sitz der französischen Nationalversammlung, in diesen Sommertagen am Beginn der Olympischen Spiele abgeben, ist ein Trauerspiel. Von dem Schwung des „désistement“ (des Verzichts, der einen Sieg des Rassemblement National verhinderte), von dem sehr kurz ausgebrochenen Verständnis für ein demokratisches Miteinander, das die Wählerinnen und Wähler als Signal von unten nach oben gegeben haben, ist nichts mehr zu spüren. Dennoch häufen sich aus Gewerkschaften, Kunst, Wissenschaft und Politik die beschwörenden Appelle, aus der Kultur des désistement mehr zu machen. Nach dem eigentlichen Supersieger im zweiten Wahlgang, dem Monsieur D (ésistement) wird nun Monsieur C gesucht, der Monsieur Compromis, der Herr des Kompromisses. Wird es ein Warten auf den berühmten Herrn Godot, der niemals kam?

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Ewige Sehnsucht nach Eindeutigkeiten

„Folgt den Wissenschaften!“ lautet der Ruf, mit dem Greta Thunberg und die von ihr mitinitiierte Bewegung „Fridays for Future“ vor einigen Jahren die Öffentlichkeit aufgerüttelt haben. Die Fakten zur Klimaveränderung lägen auf dem Tisch. An ihnen ließe sich nicht rütteln. Es sei an der Politik, schlicht die Konsequenzen aus den Fakten zu ziehen, sie nicht zu zerreden und auf Zeit zu spielen, weil angesichts der Klimakrise möglicherweise harte und unangenehme Entscheidungen zu treffen sind. Schließlich: Anders als mit politischen Gegnern, Geschäftspartnern oder Gewerkschaften, wo man Konflikte mit Kompromissen aus dem Weg räumen kann, könne man mit der Physik nicht verhandeln. Dazu komme, so die Klima-Aktivisten, der Zeitfaktor. Für langwierige Verhandlungen fehle angesichts der fortgeschrittenen Erderwärmung schlicht die Zeit. Es müsse etwas geschehen, wenn man die Menschheitskatastrophe noch abwenden wolle, orientiert an den Fakten der Klimaforschung, radikal und jetzt.

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›Ich will, ich darf und mir kann keiner‹

Bild: geralt auf Pixabay

#1 Seit über einem Jahr stellt jeder Monat einen weltweiten Temperaturrekord auf; so war es auch im Juni. Ein Experte vom Copernicus-Klimawandeldienst wird hier mit den Worten zitiert, »das ist mehr als nur eine Seltsamkeit der Statistik«. Und es hat Folgen, eine eher drollige ist, dass die Tage länger werden. Das lässt sich aushalten, was man von Hitzewellen immer weniger sagen kann. Joachim Müller-Jung hat hier neue Studien dazu vorgestellt, was die Erhitzung für die Ernährungsbasis bedeutet – sie wird verheizt. Bei dem derzeit als realistisch geltenden »mittleren« Klimaszenario würde die globale Produktion der dreißig wichtigsten Agrarprodukte – gemessen am Jahr 2020 – bis 2050 um sechs Prozent weltweit sinken. Das hieße für rund 500 Millionen Menschen zusätzlich: bisher nicht gekannte Unsicherheiten in der Nahrungsversorgung.

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Ohne große Botschaften keine kleinen Schritte?

Es geht in dem neuen Buch Armin Nassehis nicht um Kleinigkeiten: Der Autor möchte klären, warum moderne Gesellschaften sich so schwertun, auf kollektive Herausforderungen – von Migrationsbewegungen und der COVID-Krise bis hin zum Klimawandel – zeit- und sachgerecht zu reagieren. Damit greift er ein in aktuellen politischen Debatten weit verbreitetes Unbehagen auf, versucht, es auf den Punkt zu bringen und seine strukturellen Ursachen zu erhellen. Es ist nicht das erste Mal, dass Nassehi sich mit diesem Thema beschäftigt; es stand bereits im Mittelpunkt seiner 2021 erschienenen Monografie „Unbehagen“.[1] Leser/innen, die sich tiefer in die Argumentation Nassehis einarbeiten möchten, sei zumindest ein Blick auch in dieses Buch empfohlen. Das neue Buch, „Kritik der großen Geste„, das auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet, lässt sich wohl als Versuch verstehen, die Botschaft des Autors noch weiter auszuarbeiten und einem breiteren Publikum zu vermitteln.

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Gegen den blinden Glauben an Wirtschaftswachstum

Olivier De Schutter (Foto: Heinrich Böll Stiftung auf wikimedia commons)

Wirtschaftswachstum ist nicht die Lösung zur Beseitigung der weltweiten Armut, warnt Olivier De Schutter, der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte. De Schutter zufolge hat die traditionelle Strategie der Förderung des Wirtschaftswachstums zur Bekämpfung der Armut einen Planeten am Rande des Klimakollapses geschaffen, auf dem eine Elite Reichtum hortet, während Millionen in extremer Armut leben. In seinem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat beschrieb De Schutter die Umweltzerstörung und die Ungleichheit, die durch die derzeitige Wirtschaftspolitik verursacht werden. Er forderte Regierungen und internationale Organisationen auf, das Bruttoinlandsprodukt nicht länger als Maßstab für den Fortschritt zu verwenden, sondern sich auf die Menschenrechte und das soziale Wohlergehen zu konzentrieren.

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