Macht hat, wer warten (lassen) kann  

Intromusik: terrasound.de

Andere warten zu lassen, sendet eine eindeutige Botschaft: Ich habe gerade Wichtigeres zu tun, du bist noch nicht dran. Wer eine solche Demonstration nötig hat, leidet offenkundig unter dem Eindruck, dass seine eigene Wichtigkeit unterschätzt wird. Da haben sich in diesen Tagen in Teheran die zwei Richtigen getroffen. Wer, wie Putin, den Papst und die Queen warten lässt, und wer, wie Erdogan, Putin warten lassen kann, muss nun wirklich der größte amtierende Herrscher seiner Zeit sein… oder eben ein ganz besonderer Vollpfosten.

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

Weitere Folgen von ‚Auch das noch!‚ zum Hören gibt es hier, wer nachlesen möchte, findet hier einen monatlichen Rückblick.

Kultur ist Luxus. Wer braucht da noch Systemrelevanz?

Deutschland wird von dringlichen Themen getrieben. Die documenta hat sich in der Top-Liste erfolgreich nach vorne geschoben. Wie sie das geschafft hat, darum müssten sich Medienwissenschaftler:innen kümmern. Ich äußere provisorisch den Verdacht, dass Medieneffekte eine vehemente Rolle gespielt haben, die die Klärung von Relevanz über Medieneffekte hinaus behindert haben. Jenseits des politischen Gewichts des „Skandals“ wurde wie erwartbar in Kassel auch wieder über die „Systemrelevanz“ von Kunst & Kultur diskutiert. Reden wir nicht über die dabei unterstellte Identität von „Kunst“ und „Kultur“. Das wird gerne in einen Topf geworfen. Ich tue das hier auch, verrühre sie aber hoffentlich nicht zu einem Brei. Die bekannte Ausgangslosung der Kunst-Kultur-Relevanz-Diskussion: „Kaum jemand bestreitet wohl, dass Kultur wesentlich ist für eine vitale Demokratie und Zivilgesellschaft.“ (mittendrin-kassel.de, ganz aktuell) Genau das möchte ich hiermit bestreiten. Nicht vehement – Emotionalisierung gibt es schon genug -, eher unbefangen begründend und zu Widerspruch animierend.

Kultur ist, wenn… 01
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„Und vor ihm her tanzt die Angst“

Collage: Andreas Galling-Stiehler

Angst vor Ansteckung, Krankheit, Tod; Angst vor der Schuld, andere anzustecken. Angst der Politik, die Kontrolle zu verlieren und nicht mehr entscheidungsfähig zu sein und vielleicht auch Angst davor, in Verdacht zu geraten, anderen Angst machen zu wollen – Angst ist im Zusammenhang mit der Pandemie ein klärungsbedürftiges Phänomen.

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Hitzeschutz: Sind Arbeiter „selbst verantwortlich“?

Foto: Ivan Radic auf wikimedia commons

Nachdem in Oregon ein Landarbeiter wegen Hitze starb, passte der US-Bundesstaat die Gesetze an. Seit dem 15. Juni 2022 gelten ausgerechnet in einem der nördlichen Bundesstaaten der USA die strengsten Regelungen für Menschen, die draussen arbeiten. Künftig müssen Arbeitgeber in Oregon ab einer Temperatur von 27 Grad (80 Grad Fahrenheit) kühles Wasser und Schattenplätze bereitstellen und zusätzliche Pausen gewähren. Arbeiter und Arbeiterinnen müssen geschult werden, wie sie Hitzeschäden vermeiden können und was im Notfall zu tun ist.

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… dann ist Herbst: Es muss j e t z t gehandelt werden

Seit Ausbruch der Covid 19- Pandemie läuft eine Debatte über den bestimmenden Einfluss im Dreiecksverhältnis

  • zwischen der Forschung im Viren- Infektionsbereich,
  • der Anwendung von Forschungsergebnissen
  • und den politisch entscheidenden Menschen in Parlamenten und Exekutive.

Im Miteinander oder Gegeneinander in und zwischen diesen drei Handlungsfeldern wird entschieden – es muss tatsächlich entschieden werden, die Lage klärt sich nicht von selbst -, ob die Pandemie ausläuft oder nicht. Und es ist eine Binse, dass solche „Lagen“ enorm viel Verwirrung stiften können. Minister Lauterbach kontra Stiko- Mertens, „Bild“ kontra Drosten, Stöhr kontra Lauterbach, Kubicki kontra Wieler etc.

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Apokalypse deluxe

Intromusik: terrasound.de

Das Modell mit Zukunft scheint der Schutzbunker am Strand zu sein, am liebsten mit Swimmingpool, Poolbar und Aquarium. Ursachen von Katastrophen ignorieren, für den Umgang mit den Folgen individuelle Lösungen suchen, wer keine findet oder sie nicht bezahlen kann, hat Pech gehabt. „Prepping“ findet immer mehr Fans, das hohe Lied der Resilienz wird nicht zufällig gesungen

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

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Wo führt er hin?

Foto: fsHH auf Pixabay

Was spricht heute für das Urteil, dass die deutsche Bundesregierung in Sachen Krieg gegen die Ukraine in historischer Dimension versagt? Wer dieses Urteil teilt, kann das vortragen:
Die deutsche Politik trägt eine besondere Verantwortung für das Geschehen, hat sie doch sogar nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 als einzige in der EU mit ihrem engagierten Festhalten an dem Projekt Nord Stream 2 gegenüber Wladimir Putin klar signalisiert: Das Geschäft geht weiter. Es geht uns zwar auch um Werte, aber mehr noch um Energiepreise. Trotz dieser besonderen Verantwortung ragt die deutsche Politik bis heute, viele Wochen nach Kriegsbeginn, wiederum hervor: mit ihrer ausgeprägten Unentschiedenheit. Was kennzeichnet das Verhalten der Regierung Olaf Scholz?

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Gescheitertes Denken kommt oft vor

Gefangenendilemma (Bild: Giulia Forsythe auf wikimedia commons)

Wieder ist ein „offener Brief“ publiziert worden, der für eine Beendigung des Krieges in der Ukraine und für Verhandlungen statt Waffenlieferungen plädiert. Niemand bei Trost ist dagegen, dass dieser schreckliche Krieg so schnell wie möglich endet, und wahrscheinlich wären den meisten Beobachtern Verhandlungen lieber als Kampfhandlungen. Den Autorinnen und Autoren müsste also eine große Zustimmung entgegenschallen – aber das ist nicht der Fall. Genau besehen ist dieser [am 29. Juni 2022] auf ZEIT-online publizierte Aufruf eher ein Bewerbungsschreiben für Radiointerviews und Talkshoweinladungen (und das nicht ohne Erfolg), aber von der Sache her ist dieses Dokument ein wahrer Offenbarungseid, ein Dokument gescheiterten Denkens.

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Kompromiss und Radikalität

„Schönheit ohne Kompromisse“ (Foto: jtgrothe auf Flickr)

Kompromiss bedeutet Vereinbarung. „Das lateinische compromissum (von compromittere, versprechen) meint im römischen Zivilprozeß zunächst die Vereinbarung zweier oder mehrerer streitender Parteien, sich dem Spruch eines selbstgewählten Schiedsrichters zu unterwerfen. Später bezeichnet es die schiedsrichterliche Entscheidung selbst.“1
Es gibt zwei ausgeprägte Haltungen, Kompromisse abzulehnen, wegen Mangels an Kompromisswürdigkeit und wegen Mangels an Radikalität. Und dann ist da noch der faule Kompromiss.

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Motiviert die empörte Darstellung des Schuldesasters, daraus zu lernen?

Die Misere im deutschen Schul- und Bildungssystem ist seit über zwanzig Jahren bekannt und benannt. Über Gründe und Hintergründe der offenkundigen Gewöhnung an Schulskandale, abgehängte Schüler, benachteiligte Migrantenkinder, verwahrloste Schulgebäude und eine frustrierte Lehrerschaft sprach Jutta Roitsch mit Marianne Horstkemper, der ehemaligen Professorin für Schulpädagogik in Potsdam, die in Berlin Schulen wissenschaftlich begleitet und Lehrerkollegien beraten hat.

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Duscholux, was für ein prophetischer Name  

Intromusik: terrasound.de

Es begann im Knast und zwar in dem Jahrzehnt, in dem die deutsche Nation aus der Taufe gehoben wurde. Französische Gefängnisinsassen waren in den 1870er Jahren die ersten europäischen Menschen unter einer Dusche. 100 Jahre später wird die Dusche zum Wellness-Erlebnis, heute bekommt Duscholux plötzlich eine ganz andere Bedeutung und die deutsche Öffentlichkeit entdeckt als zentrales Menschheitsproblem, wie oft und wie lange geduscht werden darf. By the way: Was ist ein Matrose, der eine Woche lang nicht geduscht hat? Ein Meerschweinchen.

Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr

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Wie geht nachhaltig?

Wenn man Nachhaltigkeit politisch im Sinne der nachhaltigen Entwicklung und der „Transformation unserer Welt“ der UN-Agenda 2030 versteht, beschreibt „nachhaltig“ vor allem den Wandlungsprozess und  den transformativen Weg zu dem mit den Nachhaltigkeitszielen beschriebenen stabilen und dauerhaften Zustand des Mensch-Planeten-Systems. Als Adjektiv zur Bezeichnung des Prozesses und des Weges zur Nachhaltigkeit, kann „nachhaltig“ dann auch auf einzelne Prozessschritte oder einzelne Wegstrecken angewendet werden. Allerdings nur dann, wenn die weiteren Schritte und Streckenabschnitte, die zum nachhaltigen Zustand führen, auch benannt werden können und benannt werden.
Ich meine daher, dass man im nachhaltigkeitspolitischen Kontext  nur das als „nachhaltig“ bezeichnen sollte, was die Zielerreichung in absehbarer Zeit in sich trägt und  was in einer „Roadmap“ zur Nachhaltigkeit verortet werden kann, welche die weiteren notwendigen Maßnahmen und Schritte umfasst und abbildet.
Sollte also in einer  Roadmap zur Nachhaltigkeit plausibel dargestellt werden können, dass eine vorübergehende Nutzung von Erdgas, der Betrieb von Gaskraftwerken sowie weitere politische Entscheidungen, etwa zur Energiewende und zum sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, zum Erreichen der Transformation beitragen, könnten diese – aber nur dann –  als nachhaltig bezeichnet werden. Grundsätzlich verlangen die Transformation und die drängende nachhaltige Entwicklung zu den SDGs, das vorherrschende vermeintlich eindeutige und eher statische Nachhaltigkeitsverständnis zurücktreten zu lassen zugunsten eines dynamischen und prozessualen Verständnisses, das auch Ergebnis eines kommunikativen Austausches ist. Einfacher wird die Aufgabe dadurch freilich nicht – aber vielleicht letztlich effektiver.

Eine Neue Linke in den USA, so pragmatisch wie grundsätzlich

Wer in den 60er Jahren groß wurde, durfte im Fernseher Bonanza erleben, Hoss, Adam und Little Joe, die Jungs von der Ponderosa-Ranch. Wer in den gegenwärtigen Vereinigten Staaten groß wird, der muss mit den Bonanza Billionaire leben, den drei Multimilliardären, denen die Hälfte des US-amerikanischen Privatvermögens zukommt. Im Fernsehen oder beim Nachfolger Netflix gäbe ein solches Schurkenstück vielleicht einen netten Plot ab, aber wer möchte in der Realität einer solch extremen Klassengesellschaft leben? Der von Hegel „geistiges Tierreich“ genannte Kapitalismus kennt in den USA besonders kapitale Exemplare. Das Gehege fehlt weitgehend, die Wildbahn ist frei. Doch das könne sich ändern, lautet die These des Buchs. Die Chance für eine Einhegung stünde gut; selbst ein demokratischer Sozialismus sei nicht mehr ausgeschlossen.

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Männer und Frauen, die Mumm haben (müssen)

Beschäftigen wir uns heute mit einem gesellschaftlichen Dauerthema – mit einem Minderheiten-Thema. Die Minderheit, die ich meine, wurde mit ihren Rechten in Gesetzen verankert. Ihr gehören einige Hunderttausend an, meist Männer, leider zu wenige Frauen. Wie viele dieser Minderheit tatsächlich angehören, weiß keiner. Man schätzt, wie erwähnt, einige Hunderttausend. Sozial- und wirtschaftspolitisch gesehen, gehört diese Minderheit seit über 100 Jahren zum „Bestand“, sie ist sozusagen Teil der DNA unserer Republik. Keine Ahnung, über wen und was ich schreibe?

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Unfairer Energiemarkt – Städte als Hoffnungsträger

Screenshot: Website REN21. Renewables now

Die grüne Revolution nach Covid-19 blieb aus. Aber es gibt Hoffnung – eine wichtige Rolle dabei spielen Städte. Nach den ersten Lockdowns versprachen Politiker weltweit, die Covid-Krise zu nutzen, um grüne Technologien nach vorne zu bringen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Zwei Jahre später ist klar: «Build Back Better» ist gescheitert. Aber nicht überall. Das resümiert die Organisation REN21 (Renewable Energy Policy Network for the 21st Century), der mehr als 80 nationale und internationale Organisationen, Industrieverbände, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Hochschulen angehören, in ihrem Jahresbericht.

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